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FPGAs zünden den Turbo

Trendinterview: Steuerungstechnik ermöglicht schnellere Reaktionszeiten
FPGAs zünden den Turbo

Fast alle Aufgaben im Maschinen- und Anlagenbau lassen sich mit einer Standard-SPS lösen. Wie schnell eine Reaktion erfolgen kann, bestimmen unter anderem die Geschwindigkeit der SPS-internen Datenverarbeitung oder die Zykluszeit, mit der Daten in der Peripherie abgefragt werden. Gelegentlich findet sich das Konzept, Daten dezentral – und damit wesentlich schneller – zu verarbeiten, häufig spielen dann FPGAs eine Rolle. Ein pauschaler Vergleich verschiedener Systeme ist allerdings kaum möglich, weil stets die konkret zu lösende Aufgabe betrachtet werden muss. Vier Steuerungs-Experten wagen dennoch eine Stellungnahme.

elektro AUTOMATION: Auf welche Weise ermöglichen Sie schnelle Reaktionszeiten im Mikrosekunden-Bereich – gemessen vom Anliegen des Eingangssignals bis zur Ausgabe des Ausgangssignals? Welche Zeiten sind erreichbar und wie lösen Sie diese Aufgabe technisch, beispielsweise per FPGA (Field Programmable Gate Array)?

Eisenbeiss (Siemens): Bei der Berechnung der Reaktionszeit spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen die Zykluszeit der CPU und zum anderen die Taktzeit des Rückwandbusses, um die zentralen I/Os zu synchronisieren und die Erfassungs-Zeit der I/O-Module entsprechend zu reduzieren. Die Bussynchronität und die reduzierte Erfassungszeit haben wir bei der Simatic S7-1500 in Kombination mit den ET-200MP-I/Os für den zentralen Aufbau realisiert. Bei der Anbindung der dezentralen Peripherie ist die Buszykluszeit entscheidend. Hier tragen das Performance-Upgrade der neuen Profinet-Spezifikation mit 31,25 µs und die Taktsynchronität erheblich zur verkürzten Klemme-Klemme-Reaktionszeit bei. Der Bus kann dabei auch weiterhin für Standard-TCP/IP-Funktionalitäten wie zum Beispiel für Webserver-Zugriffe genutzt werden.
Kerscher (Sigmatek): Diese Frage ist einfach zu beantworten. Waren vor 10 bis 15 Jahren noch 8- und 16-bit-Controller im Einsatz, so ist im heutigen Zeitalter der Multi-Core-Prozessor-Familien die Performance gegenüber der damaligen Steuerungs-Technologie wesentlich gestiegen. Waren damals Steuerungen im Millisekundenbereich Spitzenklasse, bewegen wir uns heute im Bereich von zirka 1 µs. Dies entspricht unserer S-DIAS-Baureihe, wo die Updatezeit von 1280 I/Os unter 60 μs liegt. Um solche Zykluszeiten zu erreichen, kommen hier Multi-Core-Prozessoren zum Einsatz. Die zusätzlich eingesetzten FPGAs übernehmen heute viele Funktionen, die früher durch konventionelle Bausteine wie Mikroprozessoren abgedeckt wurden, und entlasten damit den eigentlichen Prozessor. Zudem konnte mit der Einführung der FPGAs auch die Baugröße der Boards deutlich verkleinert werden.
Papenfort (Beckhoff Automation): Wir erreichen Reaktionszeiten im µs-Bereich auf der Basis unserer schnellen EtherCAT-I/O-Baugruppen mit minimaler Verzögerung und präzisen Synchronisationseigenschaften sowie EtherCAT, dem schnellsten Industrial-Ethernet-Bus, und einem Industrie-PC als leistungsstarker Plattform, auf dem unsere Automatisierungssoftware TwinCAT für die Programmabarbeitung in Echtzeit sorgt. Mit diesem Aufbau aus Standardkomponenten realisieren wir eine Zykluszeit von 12,5 µs und Reaktionszeiten von weniger als 40 µs. Unsere bewusste Entscheidung für die zentrale Steuerungslösung bietet den Vorteil, dass das gesamte Prozessabbild zur Verfügung steht und somit entsprechende Geschwindigkeits- und Positionswerte berücksichtigt werden können. Lokal parametrierte beziehungsweise programmierte FPGAs haben wir früher verwendet, als noch keine so schnellen I/O-Baugruppen wie unsere EtherCAT-Klemmen und EtherCAT als schnelles Bussystem existierten. Heute verwenden wir solche Lösungen nicht mehr, weil damit nur eine schnelle Reaktion auf Basis der lokalen I/O-Signale möglich ist und quasi für jede Applikation eine andere Hardware benötigt wird.
Sandhöfner (B&R): Unsere reACTION Technology senkt die Reaktionszeiten in der Automatisierung auf 1 µs. Wir haben diese neue ultraschnelle Steuerungstechnik mit Standard-Hardware realisiert, die sich IEC-61131-kompatibel programmieren lässt. Bei der Entwicklung dieser Technologie haben wir uns das Ziel gesetzt, die Signalverarbeitungszeit weitestgehend in die I/O-Module selbst zu integrieren. Das entlastet die Zentralsteuerung wesentlich, so dass auch die SPS kleiner dimensioniert werden kann. So gelingt ohne Mehrkosten auf der SPS-Seite eine immense Leistungssteigerung. Unsere neue Technologie beruht auf einem I/O-Modul mit integriertem FPGA. Für einen FPGA-Chip haben wir uns entschieden, weil er Signale äußerst schnell parallel verarbeiten kann. Maschinenbauer können die FPGAs allerdings wie gewohnt in der Automatisierungssoftware Automation Studio handhaben und programmieren. Selbst für das Debugging des reACTION-Codes kann der Anwender sein Werkzeug wie gewohnt nutzen.
elektro AUTOMATION: Können Sie anteilig angeben, wie viele Anwendungen diese sehr kurzen Reaktionszeiten erfordern? Können Sie einige prägnante Beispiele nennen? Wo liegt die Grenze des Machbaren?
Eisenbeiss (Siemens): Im Gesamtmarkt des Maschinen- und Anlagenbaus liegt der Anteil der Applikationen, bei denen die Klemme-Klemme-Reaktionszeiten im Mikrosekunden-Bereich liegen – also unter 0,5 ms –, bei etwa einem Prozent. Ein Beispiel wäre das Verpacken in der Zigarettenindustrie. Man muss hier aber unterscheiden zwischen dem Bedarf an schnellen Reaktionszeiten und der Mikrosekunden-genauen Erfassung und Ausgabe von Signalen. Bei der schnellen Reaktion mit einer logischen Verarbeitung limitieren die minimale Zykluszeit der SPS und die Synchronisation mit der Erfassung der E/A-Signale die erreichbare Reaktionszeit.
Kerscher (Sigmatek): Nun, die Anforderungen wachsen mit der Komplexität der Anwendungen, welche natürlich gerade im Bereich Motion Control immer höher gesteckt werden. Am deutlichsten sieht man das am weit verbreiteten CAN-Bus, der bei acht synchronisierten Achsen mit einer Zykluszeit von 4 ms an seine Grenzen stößt. Bei hochdynamischen Mehr-Achs-Systemen setzen wir dagegen heute auf die Echtzeit-Ethernet-Bus-Technologie, etwa den VARAN-Bus. Diese Technologie hat nur wenige physikalische Einschränkungen. Speziell in der Kunststoffindustrie sind kurze Zykluszeiten im Mikrosekundenbereich ein zentrales Thema – immer höhere Stückzahlen bei verkürzten Durchlaufzeiten und höchsten Qualitätsansprüchen fordern dies.
Papenfort (Beckhoff Automation): Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Reaktionszeit zwar ein wichtiges Kriterium ist und wir von den Werten hier auch in einem Bereich liegen, der bisher für alle Anforderungen ausreichend ist. Wichtiger als eine schnelle lokale Reaktion ist jedoch eine schnelle Reaktion in Verbindung mit einer konstanten Reaktionszeit, die wir mit Hilfe der Distributed-Clocks-Funktionalität von EtherCAT systemweit realisieren können.
Sandhöfner (B&R): Herkömmliche I/O-Technik arbeitet mit einer minimalen Reaktionszeit von rund 1 ms. Eine Reaktionszeit in dieser Größenordnung ist jedoch für eine Reihe von Anwendungen zu langsam, denn gerade in diesen Applikationen hat die Reaktionszeit in der Regel einen direkten Einfluss auf die Qualität des Produktes. Zum Beispiel muss der Druck beim Formen von PET-Flaschen präzise geregelt werden. Je präziser die Druckregelung erfolgt, desto dünner kann die Wand der Flasche sein. Weitere Beispiele aus dem Spritzgießbereich sind eine exakte Umschaltung von Drehzahl- oder Positions- auf Druck-Regelung beim Schließen der Form. Auch in der Druckindustrie sind schnelle Funktionen nötig. Wenn Papier in eine Maschine läuft, muss die Kante bei einer sehr hohen Geschwindigkeit genau erkannt werden.
elektro AUTOMATION: Was sind zum Vergleich die kürzesten Reaktionszeiten, die Sie – falls angeboten – mit einer Standard-SPS erreichen können?
Eisenbeiss (Siemens): Unter kürzesten Reaktionszeiten kann man die Klemme-Klemme Reaktionszeit oder das exakte Erfassen von Eingängen und daraufhin das genaue Schalten der Ausgänge verstehen. Für beides haben wir eine Lösung. Die neue Simatic S7-1518 und die Standard-Digital-E/As erreichen eine Klemme-Klemme-Reaktionszeit von 260 µs inklusive einer logischen Verarbeitung des Signals in der CPU – und das auch in dem Fall, in dem die CPU durch andere Vorgänge belastet wird. Um Eingänge exakt zu erfassen und Ausgänge genau zu schalten, gibt es die Time-based-I/O-Module mit einer Reaktionszeit unter 10 µs. Dies funktioniert auch bereits bei den CPUs aus dem unteren Leistungssegment, etwa der Simatic S7-1511.
Kerscher (Sigmatek): Mit unserem Steuerungssystem S-DIAS liegen wir heute schon bei zirka 1 µs. So lässt sich beispielsweise bei einer maximalen Ausbaustufe von 64 Teilnehmern pro CPU- oder Bus-Interface-Module mit bis zu 1280 I/Os eine Updatezeit von unter 60 µs realisieren. Dies bietet unseren Kunden die Möglichkeit, mit einem sehr kompakten und preislich attraktiven System eine High-Performance-Applikation zu realisieren – und das obendrein noch völlig individuell, ganz nach Kundenwunsch.
Papenfort (Beckhoff Automation): Beckhoff bietet eine große Auswahl an PC-basierten Steuerungen an. Im Vergleich zu Standard-SPSen können Zykluszeiten von 1 ms oder kleiner auf PC-basierten Steuerungen von uns realisiert werden.
Sandhöfner (B&R): Wir erreichen die Reaktionszeit von 1 µs mit jeder unserer Steuerungen. Da bei der reACTION Technology die Signalverarbeitung direkt im Modul erfolgt, sind Reaktionszeiten nicht von der zentralen Steuerung abhängig oder vom vorhandenen Systembus. Die Technologie bietet daher immer die gleiche schnelle Performance – unabhängig von der Anzahl der Teilnehmer am Systembus, der Auslastung des Busses oder der CPU-Last. Da die reACTION Technology die Zentralsteuerung wesentlich entlastet, können Kosten auf der SPS-Seite eingespart werden. Das bedeutet, dass Maschinenbauer mit einer Steuerung, die im Millisekundenbereich arbeitet, eine 1000fach schnellere Reaktionszeit erreichen können. Für welche Prozessorgröße der SPS sich der Anwender entscheidet, hängt damit nicht von Spitzengeschwindigkeiten in speziellen Funktionen ab, sondern allein von der durchschnittlichen Auslastung der Applikation.
elektro AUTOMATION: Abschließend eine Frage mit Bezug auf das Leitthema der Hannover Messe ‚Integrated Industry – Next Steps‘. Folgt man Prof. Zühlke vom DFKI, konnte sich die SPS-Technologie erfolgreich durchsetzen, weil die Programmierung standardisiert und vereinfacht wurde. Dies fehlt für die ‚Smart Factory‘ bislang. Welche Schritte müssen aus Ihrer Sicht unternommen werden, um Industrie 4.0 in ähnlicher Weise zum Erfolg zu führen?
Eisenbeiss (Siemens): Die autonome Produktion der Industrie 4.0 wird die technologische Komplexität in den industriellen Wertschöpfungsprozessen gegenüber dem heutigen Stand noch einmal deutlich erhöhen. Dabei steigen der Vernetzungsgrad und die Kommunikationslast in der Automatisierungsebene. Profinet eignet sich hier als Bussystem, um hohe nichtdeterministische Datenmengen und Echtzeitdaten über dasselbe Medium abzudecken. Für die Beherrschung dieser Komplexität werden entsprechende Softwaretools zum Entwurf und Bau solcher Systeme und Anlagen sowie deren Betrieb benötigt. Gerade auf diesem Gebiet leistet Siemens erhebliche Pionierarbeit und stellt in seiner ‚Digital Enterprise Platform‘ schon heute viele der notwendigen Software-Produkte und -Systeme bereit. Die notwendige Transformation hin zur autonomen Produktion wird jedoch evolutionär über einen relativ langen Zeitraum hin erfolgen.
Kerscher (Sigmatek): Aus unserer Sicht sollten die SPS und die Leitebene noch wesentlich stärker miteinander kommunizieren. Mit dem All-in-one-Engineering-Tool LASAL ist die Kommunikationsmöglichkeit bereits gegeben. Das heißt, ERP-Systeme können direkt mit der SPS kommunizieren und aktuelle Prozessdaten bidirektional austauschen. Durch die Verflechtung mit der Leitebene kann der Fertigungsprozess optimiert werden. Ein weiterer Punkt ist die Vernetzung der verschiedenen Steuerungen im Fertigungsablauf. Dadurch ist es möglich, den kompletten Durchgriff von der Leitebene beziehungsweise dem ERP auf einzelne Prozesse in der Fertigungskette zur realisieren. Somit kann man auf neue Erfordernisse schnell reagieren und bei Bedarf frühzeitig in die Fertigungskette eingreifen.
Papenfort (Beckhoff Automation): Bei PC-basierten Steuerungen werden mit TwinCAT 3, neben den PLC-Programmiersprachen nach IEC 61131-3 3rd Edition, auch C/C++ und Matlab/Simulink unterstützt. Damit kann für jede Aufgabe die passende Programmiersprache ausgewählt werden. Eine neue Programmiersprache für Industrie 4.0 ist sicherlich nicht erforderlich. Wichtig ist, dass die Steuerungen miteinander und mit einer MES-/ERP-Ebene kommunizieren. Voraussetzung hierfür ist die Standardisierung der Kommunikation: Hier stehen mit den Beckhoff-Steuerungen einerseits die standardisierte, schnelle, deterministische, horizontale Kommunikation über das EtherCAT Automation Protocol (EAP) und andererseits die vertikale, azyklische Kommunikation nach dem OPC-UA-Standard zur Verfügung. Der Netzwerkanschluss ist bei PC-basierten Steuerungen inklusive.
Sandhöfner (B&R): Eine moderne Fertigung muss zukünftig weitestgehend alle Kundenwünsche individuell erfüllen. Darüber hinaus steigen die Anforderungen an die Produktionsqualität sowie an die Nachweispflicht und die Nachhaltigkeit des gesamten Produktionsprozesses. Lösungen für all diese Anforderungen müssen optimal aufeinander abgestimmt sein. Ein dezentrales und modulares Automatisierungssystem muss heute bereits Funktionen der darüber liegenden Automatisierungspyramide beherrschen. Gleichzeitig müssen die dezentralen Automatisierungsmodule automatisch über ein zentrales Produktions- und Prozesssteuerungssystem für jeden einzelnen Auftrag konfiguriert und angepasst werden können. Anwender müssen die Möglichkeit haben, auch bestehende Anlagen schrittweise für die Zukunft anzupassen und mit steigender Anforderung das System mit weiteren Funktionsumfängen zu erweitern. Mit den APROL Solutions Energy Monitoring, Condition Monitoring und Process Data Acquisition, die auf unserem Prozessleitsystem APROL basieren, bieten wir dafür die passenden Lösungen. co
Hannover Messe: Halle 9

DIE EXPERTEN
  • Heinz Eisenbeiss, Leiter Simatic Marketing, Siemens-Division Industry Automation, Siemens AG, Nürnberg
  • Konstantin Kerscher, Vertriebsleiter Deutschland, Sigmatek GmbH, Landau
  • Dr. Josef Papenfort, Produktmanager TwinCAT, Beckhoff Automation, Verl
  • Markus Sandhöfner, Geschäftsführer, B&R Deutschland, Bad Homburg
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