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„Hohe Torsionsbelastungen haben wir im Griff“

Interview: Kabel für die Robotik sind standardmäßig Sonderanfertigungen
„Hohe Torsionsbelastungen haben wir im Griff“

Die Robotik hat insbesondere in der Automobilindustrie ein festes Zuhause, baut ihre Einsatzbereiche aber beständig aus. Damit die Fertigungsanlagen nicht still stehen, kommt auch Komponenten wie den eingesetzten Leitungen für Energie, Daten und mehr eine hohe Bedeutung zu. Die Lapp Gruppe verfügt hier über Spezial-Know-how, wie Frank Rothermund, Market Manager Robotics bei der U.I. Lapp GmbH erläutert.

Interview: Michael Corban, Chefredakteur elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Herr Rothermund, insbesondere die Bewegungsabläufe von Knickarmrobotern fordern Sie als Kabelhersteller. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Ihre französische Tochter Lapp Muller?
Rothermund: Die Robotik ist gekennzeichnet durch extreme Biege- und Rotationsbewegungen, was von den integrierten Leitungen und Kabelsystemen ein Höchstmaß an Flexibilität, Stabilität und Langlebigkeit fordert. Versagt eine Komponente, kann eine stillstehende Fertigungsstraße einen Millionenschaden verursachen. Deswegen befasst sich die Lapp Gruppe mit ihrem Robotikspezialisten Lapp Muller seit mehr als 30 Jahren intensiv mit dem Thema Robotik – wir fertigen den Anforderungen entsprechende Steuer- und Datenleitungen, Sonderleitungen sowie entsprechende Konfektionen; sowohl für Systemintegratoren, Instandhaltungsbetriebe und Roboterhersteller. Was sich daraus ergeben kann, zeigt das Beispiel Comau. Dieser Roboterhersteller stellt unter anderem Schweißanlagen mit 18 Robotern für die Automobilindustrie her, die bei über 100 Schweißpunkten 1700 Karosserien am Tag fertigen können. Bei dieser Belastung kann Comau acht Jahre Garantie auf die Roboter geben.
elektro AUTOMATION: Comau hat diesen Wert für diese Belastung angegeben, Sie selbst rechnen dagegen in Belastungszyklen…
Rothermund: …weil für die Lebensdauer eines Kabels nicht so sehr die Zeit entscheidend ist, sondern die Anzahl der Bewegungszyklen. Acht Jahre in der Anwendung bei Comau bedeuten rund 10 Millionen Zyklen. Das haben wir getestet und konnten auch bestätigen, dass die Leitung diese Belastung aushält. Unser Ziel ist es immer, unseren Kunden valide Zahlen zu liefern – mit Blick auf die zu erwartenden Biege- und/oder Torsionszyklen. Hinsichtlich der Torsion testen wir gemäß den Anforderungen des Kunden – und diese können was Torsionsgrad, Länge, Geschwindigkeit und Frequenz angeht sehr unterschiedlich sein. Eine der extremsten Anwendungen, die wir je hatten, forderte beispielsweise einen Torsionswinkel von 1000 Grad pro Meter, jeweils im und gegen den Uhrzeigersinn, bei 50 Drehungen pro Minute. Das ist wie gesagt ein extremes Beispiel, aber auch bei der Verlegung der Leitungen im Innern des Armes eines Knickarmroboters treten sehr hohe Torsionsbelastungen auf. Ein außen verlegtes Schlauchsystem würde hier geringere Anforderungen stellen. Mit entsprechend torsionsfähigen Kabeln konnten wir deshalb Comau dabei unterstützen, als erster Roboterhersteller die Leitungen innen im Roboterarm zu verlegen, was im Einsatz einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bot und weiter bietet.
elektro AUTOMATION: Wie definieren Sie den Produktlebenszyklus für eine Leitung?
Rothermund: Wir testen unsere Komponenten mit Blick auf die elektrischen Übertragungswerte – entsprechen diese nicht mehr denen zu Beginn des Tests, brechen wir ab und haben die gesuchte Lebensdauer gefunden. Denkbar ist also durchaus, dass mit verringerter Leistungsfähigkeit die Lebensdauer noch einmal deutlich höher liegt. Zu beachten ist bei der Lebensdauer aber stets, dass natürlich weitere Randbedingungen wie Temperaturschwankungen oder der Einsatz zusammen mit abrasiven Medien wie Aluminiumstäuben die Lebensdauer ebenfalls beeinflussen.
elektro AUTOMATION: Gefordert ist ja bei der Herstellung von Leitungen, die Packungsdichte weiter zu erhöhen. Welche Rolle spielen dabei insbesondere Einkabellösungen für die Antriebe?
Rothermund: Das kommt vor allem der Gewichtsreduzierung zugute. Ich spare ja pro Servomotor eine Leitung durch die integrierte Datenleitung ein und damit auch zwei Steckverbinder; bei sechs Achsen summiert sich das und kommt der Nutzlast zugute. Noch spannender wird es, wenn es um maßgeschneiderte Lösungen geht. Die Nutzung von Standardware führt bei komplexen Anwendungen wie der Robotik schnell zu unbefriedigenden Kompromissen, die im Praxiseinsatz zu Problemen führen können. Wir übernehmen deswegen mit dem Bereich Market Management Robotics die oft aufwändige und beratungsintensive Entwicklung individueller Lösungen in Kooperation mit den Kunden – bis hin zu ‚exotischen‘ Sonderleitungen, die wir auch in geringen Mengen anbieten.
elektro AUTOMATION: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Rothermund: Hier sei erneut auf die Automobilindustrie verwiesen, in der etwa Marktführer wie Nelson Bolzenschweiß-Technik oder Dürr sich auf uns verlassen, um den Betrieb ihrer Anlagen sicherzustellen. Nelson als Spezialist für Bolzenschweißgeräte ergänzt beispielsweise Fertigungsroboter mit Spezialwerkzeugen, um Bolzen zu setzen und fest mit der Karosserie zu verschweißen. Angefragt wurden wie hier wegen einer Spezial-Leitung für einen 6-achsigen Roboter, dessen Verkabelung über alle Achsen geführt werden sollte und daher all diesen Knickbewegungen und Rotationen folgen können muss. Hinzu kam der nur begrenzt zur Verfügung stehende Platz, was dazu führte, dass alle benötigten Komponenten – also die Schweißleitung, Daten- und Signalkabel sowie auch die Luft- und Schutzgasschläuche – in einem Außenmantel zusammengeführt wurden. Das resultierende Kabel hat einen signifikant kleineren Querschnitt als die einzelnen Kabel, die bei Verwendung von Standardprodukten notwendig gewesen wären. Eine zusätzliche Herausforderung war zudem die elektromagnetische Verträglichkeit mit Blick auf die hohen Ströme der Masse-Schweißleitung.
elektro AUTOMATION: Wie lässt sich die Erfüllung der EMV-Anforderungen hier überhaupt sicherstellen?
Rothermund: Die empfindlichen Daten- und Signalleitungen mussten hierfür mit einem zusätzlichen Kupferschirm geschützt werden. Das ist aber nicht ganz trivial, da es bei gleichzeitig hohen Anforderungen an Biegeradien und Torsionsfähigkeit sehr schwer ist, dies alles unter einen Hut zu bringen. Insbesondere im Robotikumfeld macht es vor allem die zusätzliche Torsionsbewegung unmöglich, ein über Kreuz geflochtenes Schirmgeflecht einzusetzen; gefordert ist hier eine Schirmumlegung. Eine Umlegung besteht aus einer spiralförmigen Umwicklung mit Kupferdrähten beziehungsweise Kupferfolie in nur einer Laufrichtung. Das hat sich bei langlebigen, standzeitintensiven Produkten bewährt, auch wenn die elektromagnetische Abschirmung zunächst geringer als die eines Kabelgeflechts ist. Der Verschleiß ist aber geringer. An dieser Stelle macht sich unser Know-how bezahlt. Für Nelson konnten die Robotics-Spezialisten von Lapp Muller auf diese Weise die gewünschte komplexe und vor allem robotertaugliche Hybridleitung entwickeln.
elektro AUTOMATION: Und wie lösen Sie die Abschirmaufgabe beim Übergang zum Anschluss der Leitung?
Rothermund: Das ist der kritische Part – der beste Schirm und das beste Kabel nutzen nichts, wenn es nicht gelingt, Störfelder auch an dieser Stelle unter Kontrolle zu behalten. Eine sanfte Lösung bieten wir etwa mittels der Skintop Brush an, bei der sich in der Kabelverschraubung eine Kupfer-Bürste sowohl um das Geflecht als auch um die Umlegung legt – und die Bewegungen mitmacht. So können wir eine mechanisch schonende und umfassende Abschirmung realisieren. Ansonsten gilt auch hier: Gefragt sind Sonderlösungen, die eben diesen Anforderungen genügen.
elektro AUTOMATION: Und dafür stehen Ihre Kollegen bei Lapp Muller immer bereit, um auch in Ausnahmefällen eine Lösung zu finden?
Rothermund: So ist es – unsere Stärke ist hier, dass wir aufbauend auf unserem Engineering-Know-how auch Testsysteme herstellen können, so dass sich die Systeme intensiv vorab testen lassen. Auf diese Weise lassen sich auch die hohen Anforderungen der Roboterhersteller erfüllen – Sonderanfertigungen sind quasi Standard im Bereich der Robotik.
elektro AUTOMATION: Herr Rothermund, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Messe Motek: 9/9307
„Eine der extremsten Anwendungen, die wir je hatten, forderte einen Torsionswinkel von 1000 Grad, jeweils im und gegen den Uhrzeigersinn.“
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