elektro AUTOMATION: Worin liegt die Bedeutung von TSN für die Automatisierung, ist TSN beispielsweise mit OPC UA eine Alternative zu Echtzeit-Feldbussen und -Protokollen bis in die Feldebene oder nur eine Echtzeit-Erweiterung bestehender industrieller Ethernet-Kommunikationslösungen?
Dr. Oliver Kleineberg (Belden): Die klare Antwort ist ja. OPC UA, transportiert über TSN, ist eine leistungsfähige Gesamtlösung für eine universelle, herstellerneutrale Echtzeit-Kommunikation bis auf die Feldebene. Wir gehen davon aus, das OPC UA über TSN vor allem deshalb eine attraktive Lösung wird, weil sich Gerätehersteller zu diesem System bekannt haben, die in der Vergangenheit oft konkurrierende Echtzeit-Ökosysteme unterhalten haben. Viele Kunden werden diese gestiegene Investitionssicherheit honorieren. Aber auch bestehende Ethernet-Feldbus-Ökosysteme können von TSN als Transportmechanismus profitieren. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn durch TSN ein Migrationspfad bewährter Technologie in TSN-Netze aufgezeigt wird, der über die Feldebene hinausgeht.
elektro AUTOMATION: Erste Interoperabilitäts-Workshops haben stattgefunden. Als TSN-Ready-gekennzeichnete Managed Switche sowie TSN-ertüchtigte PC-Erweiterungskarten sind verfügbar. Doch wieweit ist die Standardisierung der einzelnen Teile für Hard- und Software (ASbt, Qbu, Qbv, etc.) vorangeschritten. Ist die Entwicklung von Lösungen auf dieser Basis schon heute möglich bzw. wann ist die Technologie in Seriengeräten verschiedener Hersteller für den Industrie-Einsatz verfügbar?
Kleineberg: Die Spezifikation der IEEE 802.1-TSN-Standards, die neue Hardware erforderlich machen, ist abgeschlossen. Hersteller von Produkten können bereits entwickeln – ohne Angst haben zu müssen, auf ein bewegliches Ziel zuzuarbeiten. Im Bereich der Software-Spezifikationen sind einige Dokumente nahe der Fertigstellung, beispielsweise P802.1Qcc, das die zentralen und dezentralen Konfigurationsmodelle beschreibt. Andere Standards sind noch in einem frühen Stadium, beispielsweise das P802.1CS-Link-Local-Registration-Protocol. Diese können aber nach deren Fertigstellung per Software-Update nachgeliefert werden. Aus diesem Grund erwarten wir, dass schon 2018 erste Seriengeräte im Markt verfügbar werden.
elektro AUTOMATION: Die Nutzung von TSN mit Profinet/Profisafe, Sercos, Powerlink, OPC UA, etc. setzt evtl. auch Engineering-Funktionalitäten bzw. Entwicklungstools voraus. Welche Unterstützung benötigt der Industrie-Anwender dafür zukünftig?
Kleineberg: Dies hängt insbesondere davon ab, welche Topologien und Konfigurationsmechanismen zusätzlich zu den Mechanismen verwendet werden sollen, die das Industrieprotokoll auch ohne TSN unterstützt. Grundsätzlich muss sich das Engineering in Bezug auf die Fähigkeiten eines Industrieprotokolls nur dann ändern, wenn die Fähigkeiten des Protokolls selbst angepasst werden. Sollen neue Mechanismen für Scheduling oder neue Netzwerktopologien unterstützt werden, die TSN als Mehrwert über die Mechanismen des Industrieprotokoll hinaus bietet, so muss dies entweder im Engineering des jeweiligen Protokolls abgebildet oder ein dediziertes Konfigurationswerkzeug für TSN zusätzlich verwendet werden. Denn ohne Konfiguration kann der Mehrwert der meisten TSN-Funktionen nicht genutzt werden.