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Bewährte Feldbusse könnten auch bleiben

Zur Rolle von OPC UA und TSN speziell in der Antriebstechnik
Bewährte Feldbusse könnten auch bleiben

OPC UA und Time-Sensitive Networking (TSN) sind in aller Munde. Wir wollten deswegen wissen, welche Rolle beides speziell in der Antriebstechnik spielt. Im Trendinterview betonen alle Branchenexperten die Bedeutung von beidem für die Industrie-4.0-Kommunikation, kommen bei der Frage der Antriebssteuerung aber durchaus zu unterschiedlichen Einschätzungen.

Johannes Gillar und Michael Corban, Chefredaktion elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: OPC UA kann in Verbindung mit TSN durchaus auch in der Antriebstechnik von Bedeutung werden. Vorab interessiert uns jedoch, ob es technische Gründe gibt, zumindest in Teilbereichen weiter auf die bewährten Feldbus-Protokolle zu setzen?

Brandl (Bosch Rexroth): Für die Kommunikation zwischen unseren Antrieben und Steuerungen bieten wir auch in unserer neuen Automatisierungsplattform ctrlX Automation die bewährten Feldbussysteme an. Die Steuerung ctrlX Core setzt für anspruchsvolle Anwendungen (zum Beispiel Motion-Funktionen) aktuell auf Ethercat, damit Kunden die Vorteile einer ausgereiften, für ihre Anwendungen sehr gut geeigneten Kommunikationslösung mit einem etablierten Ökosystem und einem breiten Komponentenangebot nutzen können. Die Architektur der Automatisierungsplattform ist dabei so modular, dass eine Migration auf eine neue Kommunikationstechnologie einfach möglich ist, sobald diese den erforderlichen Reifegrad erreicht hat und die notwendige Performance, Offenheit und Komponentenverfügbarkeit bietet.

Broszeit (KEB Automation): Ziel von OPC UA in Kombination mit TSN ist es, gleiche oder bessere Performance als bestehende Feldbussysteme zu ermöglichen. Es gibt Anwendungen, in denen die technischen Vorteile von OPC UA nicht maßgeblich zur Verbesserung beitragen, allerdings ergeben sich aus dem Einsatz von Ethernet-Technologie und Standardprotokollen eine Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten, gerade bei der Einbindung in weitere Netzwerke. Anwendungen, die diese Option nicht benötigen oder sie über Gateways bereitstellen, werden sicher in Teilbereichen noch über einen langen Zeitraum proprietäre Feldbussysteme einsetzen. Bei der Einführung von OPC UA werden solche Brown-Field-Szenarien die Regel sein. Die Umstellung aller in einem System verwendeten Feldbusse auf OPC UA in einem Schritt ist ein eher unwahrscheinliches Szenario.

Burghardt (Danfoss Drives): Feldbusse wurden entwickelt, um die herkömmliche Ansteuerung von Geräten über Steuerleitungen zu ersetzen und Messwerte auslesen zu können. Die Vielzahl der verfügbaren Feldbusse zeigt, dass es branchenabhängig unterschiedlichste Anforderungen an diesen Datenaustausch gibt. Auch wenn OPC UA immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird das nicht alle Feldbusse oder gar Steuerleitungen zu 100 Prozent ersetzen. Neben dem technischen Aufwand, ein Bussystem zu ersetzen, liegt der Fokus von OPC UA originär nicht auf der Steuerung der Geräte, wie dieses typischer Weise bei Feldbussen der Fall ist.

Dehnavi (Mitsubishi Electric): Die aktuellen Feldbussysteme sind zwar ausgereift und bewährt, jedoch gibt es in Amerika, Asien und Europa unterschiedliche Bussysteme. Dies bedeutet hohe Kosten für die deutsche Exportwirtschaft. Damit wir uns in Zukunft nicht mehr für einen Feldbus mit seinen spezifischen Verdrahtungsmöglichkeiten und Diagnosetools entscheiden müssen, macht ein einheitliches Netzwerk Sinn. Dies sollte alle Anwendungskriterien in Bezug auf Datensicherheit, Bandbreite und so weiter abdecken. Und das wird unserer Meinung nach TSN sein.

Jänicke (Schneider Electric): Ehrlich gesagt gibt es vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten kaum noch gute Gründe für das Festhalten an herkömmlichen Bussystemen. Im Austausch mit unseren Partnern und Kunden gehe ich davon aus, dass sich TSN mit OPC UA schon zeitnah als neuer weltweiter Standard für fast alle Antriebs-Anwendungen etablieren wird. Auch wenn wir dafür natürlich nicht alles neu erfinden müssen. Bestimmte Definitionen und Funktionen der heutigen Feldbussysteme können und müssen wir übernehmen.

Klipphahn (ABB): Aus meiner Sicht wird OPC UA die Feldbusse im ersten Schritt nicht ersetzen, sondern ergänzen. Über die Feldbusse läuft die essenzielle Kommunikation, die zwischen den Geräten zum Betrieb nötig ist. Die oben genannten Anwendungsfälle sind zwar grundsätzlich auch realisierbar, benötigen aber sehr viel Konfiguration und Abstimmung. So müssen die Daten manuell verknüpft, über SPS-Programme abgefragt und weiter transportiert werden. Darüber hinaus muss der Feldbus so berechnet und ausgelegt werden, dass es aufgrund der vermehrt zu transportierenden Daten zu keinen negativen Einflüssen kommt. Daher wird dies heute nur dort angewendet, wo der dazu nötige Aufwand gerechtfertigt ist. Hier kommt nun OPC UA ins Spiel. Da es sich um eine standardisierte, maschinenlesbare Schnittstelle handelt, können solche Systeme sehr einfach und unabhängig vom Feldbus automatisch erstellt und erweitert werden. Damit sinkt die Schwelle für die Nutzung deutlich.

Lange (Lenze): Mit den aufkommenden Ethernet-basierten Protokollen war ein erster Optimierungsschritt bei den Feldbus-Protokollen in Richtung Gerätekonfiguration und interoperable Schnittstellen zwischen Controller und Gerät vollzogen. Mit Industrie 4.0 und OPC UA erleben wir jetzt einen Paradigmen-Shift von der Geräte- hin zu einer System-Sicht. So lassen sich Funktionen geräteübergreifend ausprägen und Hierarchieebenen überwinden. Diese Sichtweise dient auch dem Anlagenbediener und ist Basis für Industrie-4.0-Anwendungen, wie systemweites Asset Management und Diagnose, System-Logbuch oder ein geräteübergreifendes Oszilloskop. Um diesen Schritt zu vollziehen, bedarf es einer gewissen Entwicklung. Aktuell ist ein Großteil der Produkte noch mit einem klassischen Feldbus-Protokoll ausgestattet. Für die Prozessdatenkommunikation und die Kernaufgabe eines Automatisierungsprodukts reicht das auch aus. Auch hier setzt sich die OPC Foundation für einen ganzheitlichen Lösungsansatz ein. Die Field-Level-Communication-Initiative, in der Lenze mitarbeitet, widmet sich diesem Thema mit OPC UA over TSN. Noch sind die bestehenden Feldbus-Lösungen bei der Echtzeitfähigkeit im Vorteil, weil sie ausgereifte, abgestimmte Systeme sind. Bei Industrie-4.0-Anwendungen stoßen diese aber an ihre Grenzen.

Lutz (OPC Foundation): Lösungen auf der Basis herkömmlicher Feldbussysteme sind im Markt fest etabliert. Sie benötigen jedoch für eine Bereitstellung von entsprechenden Informationen über OPC UA entweder ein übergelagertes Gateway oder einen sogenannten ‚Second Channel‘, der parallel zum jeweiligen Feldbusprotokoll einen OPC-UA-basierten Zugriff auf die Gerätedaten ermöglicht. Die Zielsetzung der Field-Level-Communications-Initiative – kurz FLC-Initiative – der OPC Foundation ist es, auf Basis von OPC UA und mit entsprechenden Erweiterungen für die Feldebene einen einheitlichen ‚nativen‘ Datenaustausch über OPC UA zu ermöglichen, der alle Use Cases abdeckt: den zyklischen Echtzeitdatenaustausch zwischen Steuerungen und Feldgeräten ebenso wir die durchgängige (zumeist azyklische) Kommunikation mit übergeordneten Scada- oder MES/ERP-Systemen bis hin zu Cloud-Lösungen. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, hat man sich entschlossen, hier auf den etablierten Motion-Spezifikationen CIP Motion und Sercos aufzusetzen. Ähnlich verhält es sich mit der Safety-Lösung für OPC UA, die auch mit Motion für sichere Motion-Anwendungen kombiniert werden kann. Hier wurde auf das etablierte Safety-Protokoll Profisafe aufgesetzt.

Vathauer (MSF Vathauer): Die derzeit verfügbaren Feldbussysteme sind ausgereift, so dass man nun basierend auf den Ethernet-basierten Kommunikationssystemen einen OPA-UA-Server oder einen OPC-UA-Client installieren kann. Der Vorteil ergibt sich aus der nahezu echtzeitfähigen sowie aus der sehr performanten Kommunikation, der bereits standardisierten und etablierten Installation sowie der Einbindung in bekannte Steuerungssysteme.

elektro AUTOMATION: Ist alternativ gerade die Kombination aus OPC UA als Protokoll und der via TSN (Time-Sensitive Networking) echtzeitfähigen Ethernet-Kommunikation geeignet, wirklich alle Aufgaben zu erfüllen, die sich bei der Steuerung von Antriebssystemen ergeben?

Brandl (Bosch Rexroth): Wir sind überzeugt, dass OPC UA in Verbindung mit TSN in der Lage ist, die Anforderungen an die Kommunikation zwischen Steuerung und beliebigen Peripheriekomponenten mindestens ebenso zu erfüllen wie heutige etablierte Feldbuslösungen. Darüber hinaus bieten diese Technologien zusätzliche Möglichkeiten, wie zum Beispiel integrierte Security-Mechanismen und damit die Voraussetzung für die Konvergenz der IT- und OT-Kommunikation. Deshalb engagiert sich Bosch Rexroth auch in den Arbeitsgruppen der OPC Foundation, um die Spezifikation voranzutreiben. Die Steuerungsplattform ctrlX Core ist bereits auf den Einsatz dieser neuen Technologien vorbereitet, um eine Umsetzung der Spezifikation per Software-Update zu ermöglichen.

Broszeit (KEB Automation): Technisch ist OPC UA mit TSN sicher geeignet, auch harte Echtzeit-Anforderungen zu erfüllen. Allerdings werden in den Geräten hierzu erheblich mehr Ressourcen benötigt, als bei bestehenden Lösungen. Die transparente Einbindung gerade einfacher und damit preissensitiver Komponenten in ein OPC-UA/TSN-Netzwerk ist sicher noch eine Herausforderung. Es ermöglicht aber die einfache Koexistenz von Realtime- und Nicht-Realtime-Anwendungen in einem Netzwerk. Die Herausforderung liegt in der Konfiguration und Administration. OPC UA mit TSN bietet ein performantes, echtzeitfähiges Kommunikationssystem mit vielen zusätzlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel der Integration von Security, erfordert aber auch erhebliches Know-how in der Anwendung.

Burghardt (Danfoss Drives): Das Hauptziel der Implementierung von OPC UA via TSN liegt genau darin, diese Steuerung technologisch zu ermöglichen. In wie weit das tatsächlich der Fall sein wird, ist schwer vorherzusagen. Auch wenn OPC UA via TSN stark diskutiert wird, sind Teile der benötigten Standards noch in der Entwicklung.

Dehnavi (Mitsubishi Electric): Aus Sicht von Mitsubishi Electric ist CC-Link IE TSN schon heute für die Anbindung einfacher E/As, Sicherheitsfunktionen und zeitkritischer Motion-Applikationen optimal geeignet. Hierbei wird der IEEE-Standard für TSN bereits unterstützt. Da wir über ein einheitliches Netzwerk verfügen, wird der Verdrahtungsaufwand deutlich reduziert und es werden keine unterschiedlichen Feldbussysteme benötigt. Noch ist die Konfiguration der herstellerübergreifenden TSN-Netzwerke allerdings etwas sperrig und wenig kundenfreundlich. Bei diversen TSN-Testbeds wird aber gerade mit Hochdruck an einer für alle zufriedenstellenden Lösung gearbeitet. Denn die Anbieter haben erkannt, wie wichtig Interoperabilität für die Kunden ist.

Jänicke (Schneider Electric): Ja, insbesondere wenn wir von Industrie 4.0 sprechen, ist die über TSN geregelte Echtzeitkommunikation eine ideale Lösung für die Steuerung von Antriebssystemen – gerade wenn es um komplexe Anwendungen mit sehr vielen einzelnen Antrieben geht. Die wirklich passgenaue Modellierung eines sehr effizienten Motiondesigns lässt sich in solchen Fällen nur auf Basis von echtzeitfähiger Datenkommunikation realisieren. Außerdem steigern wir mit der Echtzeit-Datenverfügbarkeit auch die Qualität unserer Analysen und Auswertungen. Wenn ich die Anlage in Echtzeit überwachen und steuern kann, lassen sich Ineffizienzen, Schwachstellen und Fehler schneller erkennen und beheben.

Klipphahn (ABB): Mit TSN wird die Voraussetzung zur Echtzeitkommunikation geschaffen. Ich gehe davon aus, dass langfristig OPC UA damit auch die Feldbuskommunikation mit abbilden wird. Einfach aus Effizienzgründen. Dies wird natürlich erst einmal bei einfachen Anwendungen der Fall sein und sich später weiterverbreiten.

Lange (Lenze): Ein Großteil der Antriebs-Projekte kann sicherlich mit OPC UA mit TSN gelöst werden. Ausschlaggebend ist jedoch die benötigte Kommunikations-Performance. TSN ist letztlich eine Toolbox aus Unter-Standards, die die Ethernet-Kommunikation ‚echtzeitfähig‘ machen. Diese Unter-Standards erlauben je nach Kombination mehr Flexibilität oder Performance im System. Lenze sieht hier einen großen Mehrwert bei der Flexibilität der Kommunikations-Infrastruktur. Plug&Produce ist hier unsere ‚Vision‘. Würden wir an Performancegrenzen stoßen, könnten wir unterlagert immer noch auf bewährte Protokolle wie Ethercat zurückgreifen und ‚nur‘ die Industrie-4.0-Kommunikation über OPC UA realisieren. Die FLC-Initiative der OPC Foundation legt fest, wie TSN für die Prozessdaten-Kommunikation genutzt wird.

Lutz (OPC Foundation): Mit Ethernet-TSN wird eine deterministische Datenübertragung über Ethernet ermöglicht, welche gerade bei Echtzeitanwendungen wie etwa Motion Control oder hochsynchronen I/Os unabdingbar ist. Ethernet-TSN hat darüber hinaus auch noch den Vorteil, die Konvergenz von IT- und OT-Technologien zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass verschiedene IT- und OT-Protokolle eine gemeinsame Netzwerkinfrastruktur nutzen können. Um eine bestmögliche Protokolleffizienz und kurze Zykluszeiten zu erreichen, werden die Prozessdaten über OPC UA PubSub und ein direktes Layer-2-Mapping des OPC-UA-Protokolls ausgetauscht. Mit diesem Lösungsansatz können auch anspruchsvolle Anforderungen hinsichtlich der Steuerung beziehungsweise Regelung von Antriebssystemen erfüllt werden. Der große Vorteil einer durchgängigen OPC-UA-basierten Lösung, die auch alle Anforderungen aus der Fabrik- und Prozessautomatisierung erfüllt, ist, dass ein einheitliches Kommunikationsprotokoll und ein einheitliches Informationsmodell beziehungsweise eine einheitliche Semantik über alle Ebenen hinweg, also vom Feld bis in die Cloud – und auch in umgekehrter Richtung – verfügbar ist.

Vathauer (MSF Vathauer): TSN-Netzwerke sind eine gute Alternative zu der bereits etablierten Feldbuskommunikation. Die Integration eines OPC-UA-Protokolls in ein TSN-Netzwerk kann bei bestimmten Anwendungen sowohl aus technischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht Sinn machen.

www.abb.de

www.boschrexroth.com

www.danfoss.de/drives

www.keb.de

www.lenze.com

https://de3a.mitsubishielectric.com

www.msf-technik.de

www.opcfoundation.org

www.schneider-electric.de


Im Überblick

Noch haben die klassischen Feldbusse ihre Stärken – aber OPC UA und TSN haben auch in der Antriebstechnik das Potenzial zur ‚Weltsprache‘.


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