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Wer an das Skispringen denkt, hat zuerst die großen internationalen Veranstaltungen vor Augen. Diese werden unter anderem auf den Großschanzen in Oberhof, Oberstdorf oder Innsbruck ausgetragen. Die Skisprunganlage in Oberstdorf liegt am östlichen Ortsrand von Oberstdorf unterhalb des Schattenbergs. Errichtet wurde die Großschanze 1950 und danach mehrfach umgebaut. Die letzten Modernisierungen fanden 2017 statt. Seit 1953 richtet Oberstdorf dort das Auftaktspringen zur Vierschanzentournee aus. Neben diesen Schanzen gibt es in Oberstdorf noch eine der größten Skiflugschanzen der Welt mit einer Hillsize von 235 m und einem Schanzenrekord von 242,5 m. Der Sprungturm an sich ist 72 m hoch. Die Anlauflänge für die Springer beträgt 118 m bei einer Anlaufneigung von 38,7°. So lässt sich eine Geschwindigkeit von bis zu 108 km/h erzielen.
Vielfältige Herausforderungen
Die Weite eines Sprungs wird von der Kante des Schanzentisches bis zum Punkt der Landung gemessen. Dabei befindet sich der Sportler je nach Schanzengröße etwa 4 bis 9 s in der Luft. Mit Hilfe der Videotechnik ist es möglich, Trainer und Sportler mit Videoaufnahmen und objektiven Daten zu unterstützen, dass eine Optimierung der Sprungleistung möglich ist:
- Der Skispringer selbst sieht seine Körperhaltung nicht
- Der Trainer steht nur an einem Punkt neben der Schanze und erhält damit kein exaktes Bild über die gesamte Flugdauer.
- Die Erfassung der Körperhaltung mit einer Kamera stellt lediglich eine punktuelle Lösung dar. Dazu muss die Kamera parallel zum Springer und in Flugbahnhöhe montiert sein. Dieser fliegt aber nur für den Bruchteil einer Sekunde im an der Kamera vorbei.
Die ccc software gmbh in Leipzig hat gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) eine ausgeklügelte Lösung geschaffen, die inzwischen sowohl stationär als auch mobil eingesetzt wird. Als mittelständischer IT-Dienstleister und Softwareentwickler erarbeitet ccc software seit 1990 moderne Konzepte und Softwareprodukte für verschiedene Branchen. Im Hochleistungssport werden beispielsweise Plattformen und Videosysteme zur Trainingsoptimierung und Wettkampfsteuerung angeboten. Die entsprechenden Multikamerasysteme sind jeweils auf die individuellen Anforderungen der Kunden zugeschnitten. Das 1992 gegründete IAT fungiert als zentrales Forschungsinstitut des deutschen Spitzen- und Nachwuchsleistungssports mit Sitz in Leipzig.
Automatisches Auslösen von Lichtschranken und Kameras
Für die mobile Nutzung an Sprungschanzen stellten sich die IAT-Mitarbeitenden aus dem Team von Dr. Sören Müller, Fachgruppenleiter Skispringen/Nordische Kombination im Fachbereich Kraft-Technik, ein Videoanalysesystem vor. Dieses sollte Geschwindigkeitsmessungen und Aufnahmen aller relevanten Phasen eines Skisprungs vornehmen können. Ziel war es, den Trainern und Athleten sofort nach dem Sprung über ein Infosystem Videos zur Verfügung zu stellen. Damit soll das Training effektiv unterstützt werden. Des Weiteren lassen sich mit den Aufnahmen biomechanische Analysen zur Körper- und Skihaltung in Form von Anstellwinkeln zur Flugbahn ermitteln. Das IAT-Team sprach sich dabei für eine ganzheitliche, moderne und zukunftssichere Hard- und Softwarelösung aus, welche im Training und bei Wettkämpfen ganzjährig eingesetzt werden kann. Während eines anderen Projekts in Oberstdorf entstand die Idee, wie sich der Wunsch in die Wirklichkeit umsetzen lässt: Verwendung von Lichtschranken, Triggern der Kameras sowie Steuerung des Systems durch eine SPS von Phoenix Contact. Dabei steht der Trainer oder Sportwissenschaftler in diesem Szenario mit einem Mobile Client – zum Beispiel einem Laptop – an der Schanze. Nachdem er dem Sportler die Freigabe zum Sprung erteilt hat, startet die Kameraaufnahme automatisch. Sie löst jeweils bei der Durchfahrt des Springers durch eine Lichtschranke aus. Nach Ende des Sprungs wird die Videoaufnahme automatisch beendet und auf einem Server gespeichert. Der Trainer/Sportwissenschaftler erhält dann nach etwa 20 s einen automatischen Zusammenschnitt der seitlichen Perspektiven als Video. Er ist somit zeitnah über den Sprungverlauf informiert und kann dem Athleten sofort ein Feedback geben.
Zykluszeit von weniger als 0,5 ms
Die Herausforderung bei einer solchen Lösung besteht unter anderem in der sehr kurzen Signaldauer. Die sieben seitlich der Abfahrtspur installierten Kameras müssen schließlich rechtzeitig auslösen. Zur Erkennung der Signale ist es daher zwingend notwendig, dass die Zykluszeiten der Steuerung weniger als 0,5 ms betragen. Die Kommunikationszeit zwischen Steuerung und Lichtschranke erweist sich als entscheidend, denn der Sportler ist nur sehr kurz im Bild. Die Kamera muss also unverzüglich auslösen, damit ein sinnvoller Zusammenschnitt der Videosequenzen möglich ist. Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus den korrekten Einstellungen für das SPS-Programm, um den hohen Geschwindigkeiten der Skispringer gerecht zu werden. Und darüber hinaus kommt der Wetterfestigkeit eine große Bedeutung zu. Das Steuerungssystem muss deshalb der Schutzklasse IP68 entsprechen und gegen Kälte resistent sein. Die SPS und sämtliche anderen Komponenten sollen auch bei einer Temperatur von -20 °C zuverlässig funktionieren.
Offene Steuerungsplattform PLCnext Technology
Anhand der beschriebenen Rahmenbedingungen haben sich die Verantwortlichen für eine Axioline-Steuerung AXC F 3152 aus dem umfangreichen Portfolio dieser Produktfamilie entschieden. Rechts an die Steuerung wird ein Axioline-F-Modul mit 16 digitalen Eingängen angereiht, um die von den Kameras weitergeleiteten Daten aufzunehmen und an die SPS zu senden. Im Schaltkasten befindet sich ferner eine robuste Stromversorgung Uno Power, die sich neben ihren kompakten Abmessungen durch einen zuverlässigen Gerätestart selbst bei -40 °C sowie einen Weitbereichseingang auszeichnet. Aufgrund der niedrigen Leerlaufverluste unter 0,3 W und eines optimierten Wirkungsgrads von über 94 % spart die Stromversorgung im Vergleich zu handelsüblichen Produkten viel Energie ein. Verdrahtet werden alle Geräte mit der werkzeuglosen Push-in-Anschlusstechnik, was Zeit und Geld spart.
Beim AXC F 3152 handelt es sich um eine hoch performante Steuerung auf Basis des offenen Ecosystems PLCnext Technology. Sie beinhaltet drei unabhängige Gigabit-Ethernet-Schnittstellen, von denen zwei TSN-Ready sind. Bis zu 63 Axio-I/O-Module lassen sich direkt an die SPS anreihen, die abgesehen von der IEC61131 ebenfalls eine Hochsprachenprogrammierung erlaubt. Ergänzend zur schnellen Zykluszeit hat der erweiterte Temperaturbereich von -25 bis 60 °C die Verantwortlichen überzeugt. Der AXC F 3152 kommuniziert via OPC UA-Protokoll direkt mit den Kameras, wobei die Signale mit einem Zeitstempel versehen sind. Der für den Aufbau des mobilen Koffers und das Steuerungsprogramm zuständige Integrator Hotho Data GmbH wurde von den Applikationsingenieuren von Phoenix Contact jeweils zeitnah unterstützt, um die systemischen Einstellungen für die anspruchsvollen Zeitbedingungen rund um die Lichtschrankenerfassung zu lösen. Schließlich muss das System auch bei Schneefall und Regen funktionieren und durch den Wind aufgewirbeltes Laub und Staub dürfen ebenfalls nicht zu Störungen führen.
Zukünftige Auslegung auf Funkkommunikation
Mit der Videolösung kann das IAT nun an sämtlichen Schanzen Analysen vornehmen – und das unabhängig von der vor Ort installierten Hardware. Damit ist das Projektziel erfüllt und zugleich werden Hardwarekosten eingespart. Ein solcher mobiler Koffer lässt sich außerdem in weiteren Sportarten einsetzen – etwa beim Langlauf, Balkenturnen oder Turmspringen. Wenn die einzelnen Komponenten dann noch kabellos Daten austauschen, würden sich die verbliebenen Verkabelungsaufwände für die Steuerung und die Kameras weiter reduzieren. Dazu müssten WLAN Access Points verwendet werden, die Phoenix Contact in Schutzart IP67 sowie mit einem erweiterten Temperaturbereich anbietet. (ge)
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