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Experten: Kollaborative Robotik verändert die Sicherheitstechnik

Die ISO/TS15066 ist ein hilfreiches Tool
Expertengespräch: Kollaborative Robotik verändert die Sicherheitstechnik

Expertengespräch: Kollaborative Robotik verändert die Sicherheitstechnik
Ist das Risiko schließlich zu groß, gilt es, entsprechende Maßnahmen zur Risikoreduzierung zu finden, bis das verbleibende Restrisiko auf ein vertretbares Maß reduziert wurde Bild: Kuka
In vielen Bereichen der Industrie arbeiten Mensch und Roboter mittlerweile ohne Schutzzäune zusammen. Wie sich eine gefahrlose Mensch-Roboter-Kollaboration ohne Schutzzäune aus Sicht der Roboterhersteller erreichen lässt, erläutern die Experten im aktuellen Trendinterview.

Die Fragen stellte Johannes Gillar, stv. Chefredakteur, elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Um die Bediener zu schützen, arbeiten typische Industrieroboter in der Fabrik bisher hinter Schutzzäunen, was die Interaktion mit dem Werker erschwert bzw. unmöglich macht. Wie lässt sich eine gefahrlose Mensch-Roboter Kollaboration erreichen?

Albrecht Hoene (Kuka): Ziel der Mensch-Roboter-Kollaboration ist es, wie der Begriff schon sagt, dass Mensch und Roboter eng zusammenarbeiten und miteinander kollaborieren. Das Thema Sicherheit ist dabei natürlich ein zentraler Aspekt. Für die Zusammenarbeit mit dem Menschen muss ein Roboter in der Lage sein, seine Geschwindigkeit zu begrenzen, drohende Kollisionen zu erkennen und seine Kräfte auf ein sicheres Maß zu beschränken. Bei unserem LBR iiwa, dem weltweit ersten in Serie gefertigte sensitiven Leichtbauroboter für die Industrie, haben wir diese Herausforderungen mit Gelenkmomenten-Sensoren gelöst, die in allen sieben Achsen verbaut sind. So kann der LBR iiwa seine Umwelt sicher ‚fühlen‘, Kollisionen sicher erkennen und Kräfte sicher beschränken.

Andreas Schunkert (Universal Robots): Sicherheits-Applikationen in der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) gibt es gemäß der geltenden EN ISO 10218 in verschiedenen Arten. Die zwei verbreitetsten sind der sichere überwachte Halt, in welchem der Roboter oft über einen Laserscanner, der den Roboter beim Eintritt einer Person in den Gefahrenbereich stoppt, abgesichert wird sowie die Kraft- und Leistungsüberwachung, die den Roboter bei einer Kollision mit einem Menschen oder einem Gegenstand stoppt. Oft macht es Sinn, beide Varianten miteinander zu kombinieren, um die Gefährdungen für den Mitarbeiter so gering wie möglich zu halten. Grundsätzlich sollte jedem Anwender bewusst sein, dass im Rahmen der Risikobeurteilung einer MRK-Applikation einiges zu beachten ist, weshalb diese nicht von einem Laien durchgeführt werden sollte.

Richard Tontsch (Yaskawa): Technisch lassen sich die Arbeitsbereiche von Robotern über sichere Steuerungen eingrenzen, wobei der Arbeitsraum des Roboters von der Steuerung selbst begrenzt wird. Darüber hinaus können Arbeitsräume rund um den Roboter, z.B. über Lichtschranken oder Lasersensoren, gesichert werden. Jedoch kommt auch der Ausbildung der Bediener und Programmierer eine große Bedeutung zu. Eine Maschine kann zwar immer möglichst gut abgesichert werden. Dem Bediener muss aber auch bewusst sein, dass kein System die physikalischen Gesetze außer Kraft setzt, und er muss wissen, worauf er achten muss, um das System sicher zu betreiben.

elektro AUTOMATION: Für eine sichere MRK müssen Roboter in der Lage sein, Menschen und Gegenstände wahrzunehmen und schnell auf sie zu reagieren. Sind die heute verfügbaren Sensorsysteme und Sicherheitsalgorithmen in der Lage dies zu gewährleisten?

Hoene: Definitiv. Laut der Roboternorm ISO 10218-1 gibt es vier verschiedene Arten der Mensch-Roboter-Kollaboration, die unterschiedlich abgesichert werden. Bei der MRK mit ‚sicherheitsbewertem sicheren Halt‘ wird die menschliche Sicherheit z. B. mit Lichtgittern gewährleistet, bei der MRK mit ‚Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung‘ z. B. mit Kamerasystemen oder Scannern und bei der MRK mit Handführung durch das Drücken eines Zustimmtasters. Die vierte Art, die MRK mit ‚Kraft- und Leistungsbegrenzung‘, ist sozusagen die Königsdisziplin. Hier findet eine tatsächliche Kollaboration zwischen Mensch und Roboter statt. Dies ist mit dem Kuka LBR iiwa möglich, bei dem wir die angesprochenen Gelenkmomenten-Sensoren verwenden. Diese können den Menschen taktil erkennen und so eine besonders hohe Sicherheit gewährleisten.

Schunkert: Die auf dem Markt erhältlichen Sicherheitssysteme werden kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert – ein Ende ist hier noch lange nicht erreicht. Zum heutigen Zeitpunkt sind durchaus bereits Sicherheits- und Sensorsysteme vorhanden, die eine MRK-Applikation sicher gestalten können. Jedoch bedarf es einer individuellen Betrachtung jeder Applikation und eines individuellen Einsatzes dieser Systeme. In Zukunft sind aber auch Sicherheitssysteme gefragt, welche sich adaptiv und automatisch auf die jeweilige Situation und den jeweiligen Einsatzort einstellen. In diesem Gebiet besteht noch Handlungsbedarf. Gerade für die MRK ist es wichtig zu sagen, dass der Begriff ‚Cobot‘ kein fest definierter Begriff ist und die Roboternorm nicht vorgibt, welche eingebauten Sicherheitsfunktionen ein Cobot haben muss. Daher ist es wichtig, sich mit dem gewünschten Einsatzszenario des Roboters auseinander zu setzen und sich beim Hersteller zu erkundigen, welche Sicherheitsfunktionen der Cobot von Hause aus mitbringt. Hier ist nämlich Cobot nicht gleich Cobot, es gibt erhebliche Unterschiede.

Tontsch: Die heutige Technologie – zumindest jene Sensorik, die im Roboter verbaut ist, – entspricht sehr hohen Sicherheitsstandards. Die Motoman HC10-Serie von Yaskawa erfüllt z.B. Performance Level (PL) d Kategorie 3 nach DIN EN ISO 13849-1. Auch bei der Absicherung von Handlings-Objekten mit Hilfe von Machine Vision gibt es Möglichkeiten, dass die Anlage über die Bilder, die eine Kamera liefert, lernt, was gefährlich ist und was nicht. Es geht in der Praxis jedoch nicht nur darum, was technisch möglich ist, sondern auch darum, was wirtschaftlich abbildbar ist. Und da helfen oft der gesunde Menschenverstand und die schlaue Kombination von herkömmlichen Methoden mit neuer Technologie.

elektro AUTOMATION: Normen wie die ISO/TS 15066 legen die Leistungs- und Kraftbegrenzungen für „kollaborierende Roboter“ fest. Reichen diese und ähnliche Normen bzw. Standards heute aus oder besteht hier vor dem Hintergrund der Entwicklung hin zu autonomen selbstlernenden Robotern weiterer Anpassungsbedarf?

Hoene: Die Normen sind schon heute als eher restriktiv anzusehen. Wir sprechen hier etwa von strengen Regelungen bei der Ausfallwahrscheinlichkeit oder der Ein-Fehler-Sicherheit. Die hier erreichte Sicherheit übersteigt die im privaten und häuslichen Bereich oder die an Bahnhöfen mit schnell durchfahrenden Zügen bei weitem. Wie sich dies in Zukunft entwickeln wird, ist aber kaum verlässlich vorherzusagen.

Schunkert: Die Technische Spezifikation ISO TS 15066 ist ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Anwendung von kollaborativen Roboterapplikationen. Speziell für die Kraft- und Leistungsbegrenzung liefert der Anhang A einen guten Anhaltspunkt für die Validierung einer MRK-Applikation. Damit die ISO TS 15066 im europäischen Raum hundertprozentige rechtliche Gültigkeit erreicht, wäre es wünschenswert, dass sie im Zuge der aktuell stattfindenden Überarbeitung der Roboternorm ISO 10218 komplett in diese integriert wird. Für den Einsatz von selbstlernenden Robotern, die ihre Aufgaben ständig anpassen oder selbstständig neue Tätigkeiten übernehmen, wäre eine erhebliche Veränderung in der bestehenden Normungsgrundlage erforderlich. Solange diese voraussetzt, dass die bestimmungsgemäße Verwendung einer Maschine definiert wird und alle Risiken im Rahmen dieser Anwendung untersucht werden, ist der Einsatz von selbstlernenden Robotern außerhalb der Forschung nicht umsetzbar.

Tontsch: Normen bilden immer nur einen Rahmen und eine Orientierung, die bei der Entwicklung von Systemen beachtet werden müssen. Wenn wir nun über autonome und selbstlernende Systeme sprechen, dann müssen wir diesen auch die Normen beibringen. Das wird sicher in Zukunft möglich sein. Auf dem Weg dorthin müssen diese Systeme jedoch mit unvorstellbaren Datenmengen zu allen eventuellen Ereignissen ‚gefüttert‘ und zusätzlich alle Komponenten einer Anlage permanent überwacht werden. Am Ende ist es eine Frage des Vertrauens, ob wir die Kontrolle an eine Maschine abgeben werden. Da das Umfeld, in dem autonome Roboter arbeiten werden, mehr Variablen hat und damit komplexer ist, muss sicher auch die Norm erweitert werden.

elektro AUTOMATION: Welche Rolle spielt bei der sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration die Bewertung der Gesamtanwendung (Stichwort Risikobeurteilung)?

Hoene: Man muss immer die gesamte Anwendung beurteilen und im Blick haben. Einen sicheren Roboter gibt es in dem Sinne nicht, sondern immer nur einen in die Gesamtanwendung integrierten Roboter. Um diese zu bewerten, muss man vor der Umsetzung einer Anwendung unterschiedliche Szenarien durchspielen, mögliche Risiken antizipieren und diese beurteilen – zum Beispiel, wo die Berührung mit einem Menschen möglich sein könnte. Ist das Risiko schließlich zu groß, gilt es, entsprechende Maßnahmen zur Risikoreduzierung zu finden, bis das verbleibende Restrisiko auf ein vertretbares Maß reduziert wurde. Absolute Sicherheit ohne Restrisiko kann und wird es allerdings nie geben.

Schunkert: Eine MRK-Applikation ist als eine Maschine zu betrachten, die im europäischen Raum unter die Maschinenrichtlinie fällt. Diese fordert, dass im Rahmen der CE-Konformität eine Risikobeurteilung durchgeführt werden muss. Hierbei ist der ‚nackte‘ Roboter nur ein Teil der gesamten Applikation. Erst ein Greifer oder ein anderes End-of-Arm-Tool sowie ein Programm geben der Gesamtapplikation die Möglichkeit, für eine bestimmte Tätigkeit eingesetzt zu werden. Für diese Maschine muss eine Risikobeurteilung umgesetzt werden, in welcher bei MRK-Applikationen für die Risikoeinschätzung oft Kraft- und Druckmessungen und/oder eine energetische Berechnung durchgeführt werden müssen. Hier ist wieder die ISO TS 15066 zu nennen, welche eine sehr gute Hilfestellung dazu liefert.

Tontsch: Die Risikobeurteilung der Gesamtanlage spielt die wichtigste Rolle. Ein sicherer Roboter macht noch keine sichere Anlage. Daher muss immer die Gesamtanlage mit allen Aspekten begutachtet und beurteilt werden. Die Interaktion des Menschen mit der Anlage muss dabei über Technologie abgesichert sein und der kollaborative Teil der Anlage so gestaltet werden, dass ein Mensch dabei nicht zu Schaden kommen kann.

Auch das Institut für Arbeitsschutz

in der DGUV informiert über das Thema

http://hier.pro/irIrm


„Einen sicheren Roboter gibt es in dem Sinne nicht, sondern immer nur einen in die Gesamtanwendung integrierten Roboter.“

Albrecht Hoene, F&E Director Human Robot Collaboration bei Kuka in Augsburg
Bild: Kuka

„Bei MRK-Applikationen muss für die Risikoeinschätzung oft eine Kraft- und Druckmessungen oder eine energetische Berechnung durchgeführt werden.“

Andreas Schunkert, Head of Technical Support Western Europe bei Universal Robots in München
Bild: Universal Robots

„Dem Bediener muss aber auch bewusst sein, dass kein System die physikalischen Gesetze außer Kraft setzt.“

Richard Tontsch, Manager Marketing Robotics Division, Yaskawa Europe in Eschborn
Bild: Yaskawa

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