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Die Namur gibt die Anforderungen vor

Trendinterview: Eigensicheres Ethernet für die Prozesstechnik
Die Namur gibt die Anforderungen vor

Längst hat Industrial Ethernet auch in die Prozessautomation Einzug gehalten. Doch wie bei allen neuen Technologien gibt es auch hier noch viele offene Fragen. Um Ethernet auch im Ex-Bereich einsetzen zu können, müssen darüber hinaus besondere Anforderungen erfüllt sein. Was genau zeichnet Eigensicheres Ethernet aus und wieweit sind die Entwicklungsarbeiten vorangeschritten? Sechs Experten diskutieren diese Fragen im aktuellen Trendinterview.

elektro AUTOMATION: Welche Anforderungen muss das Standard-Ethernet erfüllen, damit es als Eigensicheres Ethernet den Normen und Empfehlungen der Prozessindustrie entspricht?

Engel (Endress+Hauser): Die Prozessindustrie hat eine sehr deutliche Vorstellung von intelligenten Messsystemen, ausgestattet mit digitaler Kommunikation, in die auch ein eigensicheres Ethernet einzuordnen ist. Dabei steht nicht nur die Übertragungsbandbreite im Vordergrund sondern eher Anforderungen wie Leitungslängen von mindestens 1000 m im Ex Bereich, eine einfache Handhabung durch das Instandhaltungspersonal sowie eine robuste Anschlusstechnik. Hinzu kommt die Forderung, Geräte über Ethernet zu speisen. Ähnlich FISCO (Fieldbus Intrinsically Safe Concept) soll eine vereinfachte Betrachtung zum Explosionsschutz des Netzwerks möglich sein. Die Messlatte liegt also hoch und diese Anforderungen sind zumindest zu erfüllen. Die NAMUR präzisiert die gestellten Erwartungen an ein Feldbussystem, respektive an ein eigensicheres Ethernet.
Ficker (Siemens): Für die Prozessindustrie gelten wichtige grundlegende Eigenschaften, die eine Kommunikation zum Feldgerät erfüllen muss, wie zum Beispiel die Eignung für den explosionsgeschützten Bereich. Daneben gibt es weitere Punkte, die für eine erfolgreiche Einführung von Ethernet-Geräten in der Prozessindustrie grundlegend sind. Eine wesentliche Eigenschaft einer heutigen Ethernet-Leitung ist, dass die Daten auf vier oder acht Drähten übertragen werden. In der Prozessindustrie haben sich aber schon seit Jahrzehnten Geräte mit einer Datenübertragung auf zwei Drähten etabliert. Dabei erfolgen sowohl der Datenverkehr als auch die Stromversorgung über die gleichen Drähte. Und damit noch nicht genug: Es sind überdies Leitungslängen gefordert, die ohne ein verstärkendes Elektronikelement Distanzen bis zu 1000 m überbrücken können. Darüber hinaus sind natürlich die besonders hohen Anforderungen an Robustheit oder an die Umwelteigenschaften, die in der Prozessindustrie üblich sind, ebenfalls zu berücksichtigen.
Fritsch (R. Stahl): Die Anforderungen an Ethernet sind zunächst grundsätzlich identisch oder sehr ähnlich zu den Anforderungen an bereits heute in der Prozesstechnik eingesetzte Feldbusse, wie ja u.a. in der NAMUR-Empfehlung NE74 beschrieben. Bei Ethernet hat sich aber schon eine große Vielfalt an unterschiedlichen Protokollen verbreitet bzw. beginnt sich zu verbreiten, sodass zumindest das Physical Layer einheitlich sein muss. In wie weit sich die Protokollvielfalt noch eindämmen lässt, wird sich zeigen, aber eine Interoperabilität und Durchgängigkeit auf der Physical-Layer-Ebene ist eine der wichtigsten Anforderungen. Sobald das zu aufwändig, komplex oder gar proprietär wird, schwindet die Akzeptanz der Anwender. Hierzu ist dann bei eigensicherem Ethernet auch eine Standardisierung der sicherheitstechnischen Ex-i-Parameter – ähnlich zu FISCO bei Feldbussen – sehr sinnvoll, um Geräte unterschiedlicher Hersteller problemlos miteinander verbinden zu können. Eine weitere Herausforderung ergibt sich durch die eingeschränkte Leitungslänge bzw. Störfestigkeit beim Standard-Ethernet, sofern auf herkömmliche Kupferkabel gesetzt wird. Damit hängt auch die Verwendbarkeit von Ethernet-Infrastrukturkomponenten ab wie Steckverbinder, Switches usw., die teilweise erst für den Einsatz im rauen Prozessalltag tauglich gemacht werden müssen. Ein Ethernet für PA muss sowohl einfach zu installieren und zu warten sein, aber trotzdem robust und verfügbar seinen Dienst verrichten. Damit sind wir dann auch bei dem Spagat, dass einerseits die sogenannten COTS-Komponenten (Commercial of the Shelf) genutzt werden sollen, um preiswerte und bewährte Hardware verwenden zu können und dabei auch an deren Entwicklungsfortschritt zu partizipieren, andererseits das alles aber für den Einsatz in der Prozessindustrie und nicht zuletzt in explosionsgefährdeten Bereichen verwendbar sein muss.
Gienke (ABB Automation): Aus Sicht von ABB muss ein eigensicheres Ethernet zunächst die grundlegenden Kundenanforderungen z.B. gemäß der NAMUR NE74 erfüllen, und den Kunden in die Lage versetzen, seine Automatisierungsaufgaben effizient zu lösen. Gleichzeitig muss es natürlich die Vorzüge, die zum Erfolg des Ethernets geführt haben, für den Kunden nutzbar machen. Zu nennen wären hier die hohe Übertragungsgeschwindigkeiten, die hohe Flexibilität in der Netzstruktur, die Kosteneffizienz durch hohe Stückzahlen und die Verfügbarkeit von effizienten Planungs- und Diagnosewerkzeugen. In der Handhabung, Installation und Diagnose muss die Technologie ähnlich einfach sein wie die heute noch häufig verbreiteten 4..20 mA, um auch Anwender zu überzeugen, die heute noch nicht auf Feldbustechnologie setzen. Ein weiterer wesentlicher Faktor für einen Markterfolg ist die Entwicklung eines einheitlichen herstellerübergreifenden Standards. Kein Anbieter wird in der Lage sein, einen proprietären Standard am Markt zu etablieren, aus Sicht der Hersteller ist dies auch nicht wünschenswert. Das Feedback der Anwender ist hier eindeutig. Der technische Standard muss begleitet werden von einem für den Endanwender einfach anzuwendenden Verfahren, mit dem die Sicherheit des Netzwerkes im Sinne des Explosionsschutzes nachgewiesen werden kann. FISCO gibt hier ein gutes Beispiel, andere Verfahren sind ebenfalls denkbar. Wichtig ist, dass dieses Verfahren auch für heterogene Netzwerke geeignet ist. Eine weitere Forderung an einen Standard ist, dass er sowohl im europäischen Markt als auch in anderen Teilen der Welt von den Zertifizierungsbehörden akzeptiert wird. Im Betrieb sollte die Technologie die heute etablierten Vorzüge der eigensicheren Feldbusse aufgreifen. Zu nennen ist hier eine integrierte Speisung der Feldgeräte, ebenso die Möglichkeit Geräte im Betrieb sicher vom Netz zu trennen und wieder hinzuzufügen zu können. Die Installationstechnik muss dabei fehlertolerant zu sein, z.B. gegen Verpolung. Gegenüber den heute verwendeten Ethernet-Standards für den Physical Layer wie z.B. 100BaseT sollte die Technologie deutlich längere Distanzen überbrücken können, um in der Prozessautomatisierung einsetzbar zu sein. Schließlich muss die Technologie dem sehr rauen Umfeld gewachsen sein.
Hennecke (Pepperl+Fuchs): Für die Diskussion ist eine Unterscheidung des Einsatzes von Ethernet erforderlich: Es ist zu differenzieren, ob Ethernet als H2-Bus, also als Backbone in der Leitwarte oder als H1-Bus zur Kommunikation zu den Feldgeräten eingesetzt werden soll. Im Bereich H2 ist der Einsatz von Ethernet in der Prozessindustrie bereits Stand der Technik. Um für die Prozessindustrie geeignet zu sein, spielen Faktoren wie die erreichbaren Kabellängen, der Explosionsschutz sowie die Einsatzfähigkeit im Außenbereich eine Rolle. Temperatur, mechanische Belastung wie Vibration sowie der einfache Umgang mit der Technik sind weiterhin von Bedeutung. Ethernet in Vierleitertechnik mit einer Längenbegrenzung auf 100 m ist als H2-Bus für die Leitwarte geeignet. In Prozessanlagen mit geringer Ausdehnung, im Innenbereich und ohne Anforderungen an den Explosionsschutz kann das konventionelle Ethernet auch als H1-Bus eingesetzt werden. Die genauen Anforderungen der Prozessindustrie sind beispielsweise von der NAMUR in der NE74 niedergelegt. Besonders wichtig ist hier die Eignung für den Ex-Bereich. Hinzu kommt das Einfügen und Entfernen einzelner Feldgeräte ohne Abschalten des Busses. Eine weitere Forderung betrifft die robuste Anschlusstechnik, die ohne Spezialkabel oder den Einsatz von Spezialwerkzeug auskommen sollte. Gefordert ist außerdem eine offene Topologie mit 1000 m Leitungslänge und mindestens 20 m Stichleitungslänge. Die Zündschutzart Eigensicherheit kommt dominant in Europa, in geringerem Maße auch im mittleren Osten und Asien zum Einsatz. In anderen Regionen wird eine geschützte Verlegung bevorzugt.
Nohr (Rockwell Automation): Das Leitprinzip für die Nutzung jeglicher elektronischer Geräte in eigensicheren Umgebungen ist die Eliminierung von Energie. In der Praxis bedeutet dies, dass Automatisierungskomponenten – einschließlich des Netwerkes – so entworfen werden müssen, dass elektrische Energie im System unterhalb bestimmter Schwellenwerte der Zündenergie bleibt und zudem die Temperatur nicht über explosionsfähige Werte steigt. Endgeräte in einem Netzwerk müssen diesbezüglich qualifiziert werden. Die Verkablung – sowohl LWL als auch Kupfer – unterliegt denselben Anforderungen. Daraus resultiert der Einsatz von galvanischen Trenngeräten, Isolatoren und entsprechenden Installationspraktiken. So sollte die Installation von Netzwerken beispielsweise möglichst außerhalb von Gefahrenzonen erfolgen.
elektro AUTOMATION: Wie lassen sich diese Anforderungen technisch erfüllen, damit die Kompatibilität zum Standard-Ethernet gewährleistet bleibt?
Engel (Endress+Hauser): Standard-Ethernet und Ex-Anforderungen passen generell nicht zusammen. Konstruktive Maßnahmen und intensive Diskussionen mit Zertifizierungsbehörden sind dabei ein Muss. Zuerst ist zu klären, was Ethernet tatsächlich ist. Spricht man von Ethernet, dann ist der IEEE802.3-Standard referenziert, also nach dem ISO-OSI-Schichtenmodell die Schichten 1 und 2. Von daher sollte man eher über die Kompatibilität der Schichten oberhalb des Standard-Ethernets sprechen, um beispielsweise eine IP-basierte Kommunikation zu gewährleisten. Erforderlich ist daher die logische Fortschreibung des Ethernet-Standards 802.x, der die Kompatibilität nach oben hin gewährleistet und in den unteren Schichten die Ex-Anforderungen der Prozessindustrie abbildet. Die Kompatibilität muss über geeignete Kopplungselemente hergestellt werden, die eine volle Interoperabilität in einem Ethernet System gewährleisten.
Ficker (Siemens): Auch wenn diese Anforderungen ziemlich herausfordernd klingen, so gibt es hierzu bereits technische Konzepte, um diese zu erfüllen. Zweifelsohne ist die Anforderung, Ethernet in den explosionsgeschützten Bereich zu bringen, die größte Hürde – vor allem, wenn dies durch die Zündschutzart „Eigensicher“ realisiert werden soll. Diese Anforderung ist eng mit anderen Punkten verbunden, da z.B. die Energieversorgung des Feldgerätes oder die mögliche Leitungslänge von der maximal zulässigen Energie in diesem Bereich bestimmt werden. Eine reine Übertragung der Ethernet-Daten auf zwei Drähten ist dagegen technisch bereits heute verschiedentlich machbar. Nur die Kombination dieser Anforderungen erfordert noch Entwicklungsaufwand. Am einfachsten zu bewältigen sind die Anforderungen im Bereich Robustheit, denn die Anbieter heutiger Prozessinstrumente haben dahingehend bereits einige Erfahrung.
Fritsch (R. Stahl): Es gibt durchaus Möglichkeiten, diese Aufgabenstellung zu lösen. R. Stahl setzt seit mittlerweile 5 Jahren Ethernet-Lösungen in explosionsgefährdeten Bereichen ein und hat einige Erfahrungen bei Anwendern sammeln können. Wichtig ist, sich nicht nur auf die zunächst vielleicht offensichtliche eigensichere Ausführung zu fokussieren. Die einfache und effektive Anwendbarkeit muss im Vordergrund stehen. Eigensicherheit ist nur eine der Möglichkeiten, die uns der gut gefüllte Korb der Zündschutzarten eröffnet. So ist z.B. bei der Anforderung nach größeren Leitungslängen oder Betrieb bei Störeinstrahlungen eine Lösung mit Lichtwellenleiter und Explosionsschutz op is (IEC60079-28) wesentlich sinnvoller und vollständig interoperabel. Damit lässt sich dann natürlich keine Leistung übertragen. Hier sind wieder andere Lösungen gefordert, wie wir sie derzeit z.B. mit Ex-e-Technik realisieren. Wichtig hierbei ist, sinnvolle und lösbare Anforderungen zu stellen. Muss es z.B. Gigabit-Ethernet sein oder reichen 100 Mbit/s für Anwendungen in der Prozesstechnik aus? Wollen wir alles aus der IT oder Factory-Welt unterstützen oder ist ein Subset nicht sinnvoller einsetzbar? Basis sollten Standard-Komponenten sein, die aber bei weiteren Anforderungen wie Explosionsschutz modifiziert werden können und dabei möglichst interoperabel zu den nicht-ex-Systemen bleiben. Ansonsten hängt uns die Weiterentwicklung der Ethernet-Technologie schnell ab und es wird wieder unattraktiv für den Anwender. Auch hier haben wir mit op is gute Beispiele: Standard-Switches oder Medienkonverter werden durch Modifikation der Transceiver-Einheit zu einer Art optischen Ex-Trennstufe – voll kompatibel zu den Industrie-Ausführungen.
Gienke (ABB Automation): Grundsätzlich findet sich die Antwort hier im ISO/OSI Schichtenmodell. Ethernet wird im Rahmen des IEEE802.3 Standards spezifiziert, die Herausforderung hier ist es, die richtige Abstraktionsebene zu finden. Die Unterstützung von IP und darauf aufbauenden Protokollen ist eine Grundforderung, diese kann auf verschiedene Arten erreicht werden. Wünschenswert wäre es, eine Lösung zu finden die allein den physical layer, also die Schicht 1 modifiziert. Dies würde eine maximal Wiederverwendbarkeit und damit hohe Kosteneffizienz bedeuten. Wenn das nicht möglich ist, muss gegebenenfalls auch über einen anderen media access nachgedacht werden, also eine Modifikation der Schicht 2.
Hennecke (Pepperl+Fuchs): Wir haben schon im Jahr 2006 den Ethernet-Isolator EI-0D2-10Y-10B entwickelt. Dieser ermöglicht eine eigensichere Ethernet-Verbindung im Ex-Bereich Zone 0. Physik und Verbindungstechnik entsprechen dabei dem üblichen 10BaseT-Ethernet. Es ist zu den nicht eigensicheren Ethernet-Netzwerken voll kompatibel. Das Gerät wird beispielsweise für die Erfassung der Daten eines sehr komplexen Messsystems im Bereich Ölexploration eingesetzt. Pepperl+Fuchs bietet Geräteherstellern diese Technologie zur Integration in eigene Produkte an. Das Gerät wird aufgrund der galvanischen Trennung auch an Übergabestellen von Netzen unterschiedlicher Betreiber eingesetzt. Diese Lösung erfüllt jedoch nur einen Teil der Anforderungen der Prozessindustrie. Um allen Anforderungen zu genügen, ist es notwendig, einen neuen Physical Layer zu entwickeln. Dabei gibt es Herausforderungen zu bewältigen, wie die große Leitungslänge und die geringe zur Verfügung stehende Energie.
Nohr (Rockwell Automation): Die Anforderungen, wie eigensichere Apparaturen konstruiert und getestet sein sollten, sind im IEC600479-11-Standard definiert. Der Fokus liegt bei diesem Standard auf der Konstruk-tion und Installation der Hardware. Daher gibt es keine Einschränkungen, was die Nutzung von Standard-Ethernet in eigensicheren Umgebungen angeht – vorausgesetzt, die generellen Prinzipien der Eigensicherheit sind erfüllt.
elektro AUTOMATION: Hohe Bandbreite, große Kabellängen und geringe Energie – ein Zielkonflikt. Wie kann er gelöst werden?
Engel (Endress+Hauser): In der Tat stellen diese Begrifflichkeiten zum jetzigen Zeitpunkt in sich einen Zielkonflikt dar. Gut zu wissen ist, dass auch Technologien voranschreiten. So hat es beispielsweise Endress+Hauser geschafft, ein komplettes Geräteportfolio zu erstellen, das einen niedrigen Energieverbrauch, eine Menge an Funktionen und adäquate Geschwindigkeiten sicherstellt. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass aufgrund weiterer Technologieschritte der Implementation von hoher Bandbreite, großer Kabellänge und geringer Energie nichts im Wege steht.
Ficker (Siemens): In der Prozessindustrie sind alle vorhandenen Kommunikationstechniken aus Kompromissen entstanden, da die besonderen Umgebungsbedingen wie Explosionsschutz, Umwelteinflüsse oder aggressive Medien dies notwendig machten. Das gilt auch für das Thema Ethernet. Diese Abwägung und Prioritätensetzung ist mitunter herausfordernd, da die Prozessautomatisierung in verschiedene Industrien mit speziellen Anforderungen aufgeteilt ist. Dabei ist der wichtigste Punkt die Kompatibilität zum Standard-Ethernet. Es wäre ungünstig, wenn aufgrund der besonderen Bedingungen der Prozessautomatisierung ein neues bzw. proprietäres Ethernet entwickelt würde, das sich von den Innovationen des Standard-Ethernets abkoppelt.
Fritsch (R. Stahl): Einerseits, wie beschrieben, durch die geschickte Auswahl der für den Anwendungsfall geeigneten Zündschutzarten. Möchte ich bei 100 Mbit/s eine 10 km Übertragungsstrecke mit Kupferleitungen und Eigensicherheit erreichen, wird das extrem schwierig und aufwändig, also teuer. Nehme ich Lichtwellenleiter oder auch Installationstechniken gemäß erhöhter Sicherheit, ist das bei uns schon heute eine Schubladenlösung. Generell profitieren wir auch bei Ex-Entwicklungen vom technischen Fortschritt in der Elektronik wie Miniaturisierung oder Verlustleistungsreduzierung, man muss hier aber ständig am Ball bleiben. Insbesondere bei unseren neusten Entwicklungen spielt z.B. das Thema Energiehaushalt eine wichtige Rolle. Durch den Einsatz modernster Technologien konnten wir den Energiebedarf von Geräten um bis zu 50 % senken, ohne Kompromisse bei der Funktionalität einzugehen – im Gegenteil. Bei eigensicherem Ethernet sind ähnliche Ansätze möglich. Um z.B. größere Entfernungen zu überbrücken, wären sogenannte Range-Extender – wie sie heute schon im industriellen Umfeld verwendet werden – auch für Eigensicherheit realisierbar. Ähnlich wie bei aktuellen Feldbussen müssen aber Installationsmaterialien wie Kabel und Steckverbinder für die Prozessindustrie standardisiert werden, damit die Anforderungen in den Anlagen weltweit erfüllt werden können.
Gienke (ABB Automation): Hier besteht in der Tat eine Herausforderung. Allerdings ist diese Situation nicht grundsätzlich neu, es gibt Beispiele für erfolgreiche Lösungen ähnlicher Probleme. Die Übertragung von DSL über normale Telefonleitungen gibt hier ein gutes Beispiel. Dieser Anwendungsfall ist beim ursprünglichen Aufbau des Netzes auch nicht vorhergesehen worden und ist durch technischen Fortschritt heute eine Selbstverständlichkeit. Wir sind als Technologiekonzern optimistisch, dass sich hier eine Lösung finden wird.
Hennecke (Pepperl+Fuchs): Das Modulationsverfahren von Standard-Ethernet wurde für die Anforderungen der Bürokommunikation entwickelt. In diesem Umfeld steht quasi unbegrenzte Leistung zur Verfügung. Außerdem sind hier 100 m Leitungslänge in der Regel vollkommen ausreichend. Der Zielkonflikt muss zunächst über ein optimales Modulationsverfahren gelöst werden. Außerdem hilft es, wenn die Feldgeräte „wissen“, wann sie kommunizieren sollen. Den Rest der Zeit kann die Elektronik die für die Kommunikation notwendig ist, „schlafen“ und damit die Leistungsaufnahme deutlich reduzieren. Die Bandbreite kann auf die Bedürfnisse der Prozessindustrie angepasst werden, um Energie zu sparen. HD-Videos müssen hier eher nicht übertragen werden. Robustheit und eine einfache Anschlusstechnik im Feld sind weitere Aspekte, die unbedingt beachtet werden müssen. Der abzudeckende Temperaturbereich erstreckt sich von -40 bis +70°C, zu beachten sind die Präsenz auch aggressiver Medien sowie kontinuierliche mechanische Beanspruchungen. Da Monteure in der Lage sein sollten, die Kabel ohne besondere Einweisung anschließen zu können, kommt prinzipiell nur die geschirmte Zweidrahtleitung infrage, die gleichzeitig Energie und Leistung überträgt.
Nohr (Rockwell Automation): Die primäre Methode, durch die diese Ziele erreicht werden können, besteht darin, das Kommunikationsmedium so weit als möglich durch den Einsatz von Isolations-/Schutzrohren von der Umgebung zu trennen oder den Spannungslevel durch den Einsatz von Trennverstärkern zu senken. Auch LWL-Verkabelungen, die eine anerkannte Methode für hohe Übertragungsbandbreiten über lange Distanzen bieten, können hier zum Einsatz kommen. Jedoch sind LWL nicht schon an sich eigensicher. In diesem Fall müssen die Lichtenergie in die LWL-Medien liefernden Endknoten so entwickelt und zertifiziert sein, dass sie nur ein eigensicheres Energieniveau einspeisen können.
elektro AUTOMATION: Wie unterstützen Sie in Ihrem Unternehmen die laufenden Entwicklungen, gibt es erste Produkte, sind Produkte geplant?
Engel (Endress+Hauser): Wir sind bei ethernetfähigen Messgeräten einer der führenden Hersteller in der Prozessautomatisierung. Dabei wurde speziell für nicht Ex-Anforderungen ein Portfolio für die hybriden Industrien wie Lebensmittel, Life Science und Wasser/Abwasser geschaffen. Ethernet/IP ist dabei das Protokoll der Wahl, um gemeinsam mit Partnern in diesem Bereich erfolgreich voran zu gehen. Ein weiterer Schritt wird es sein, Power-over-Ethernet-Feldgeräte in einer Anlage einzusetzen. Der dritte und letzte Schritt, die Fokussierung auf ein Ex-fähiges Ethernet-Geräteportfolio, wäre dabei nur eine logische Folge, die bei technischer Verfügbarkeit mit Sicherheit realisiert werden könnte.
Ficker (Siemens): Unser Unternehmen hat viel Erfahrung bei Ethernet, nicht zuletzt durch unser großes Portfolio in der Fertigungsautomatisierung, aus der Ethernet nicht mehr wegzudenken ist. In der Prozessautomatisierung stehen wir aber am Anfang der Entwicklung, vor allem, da wie beschrieben, noch einige technische Punkte geklärt werden müssen. Hierzu ist es wichtig, eine herstellerübergreifend kompatible Lösung zu entwickeln, da die Kunden wohl keine proprietären Einzellösungen akzeptieren werden. Daher gibt es regelmäßige Gespräche unter den Herstellern zu diesem Thema, um den Kunden eine optimale und zukunftssichere Lösung anbieten zu können.
Fritsch (R. Stahl): Wie bereits erwähnt beschäftigen wir uns bereits seit Jahren mit dem Einsatz von Ethernet in explosionsgefährdeten Bereichen und haben bereits 2009 mit IS1 das erste Ethernet-Remote-I/O für explosionsgefährdete Bereiche der Zone 1 vorgestellt – mit inhärent sicherem Lichtwellenleiter für optimale Störfestigkeit und große Entfernungen. Auch bei unseren modernen explosionsgeschützten HMI- und Kamera-Lösungen, bei denen Ethernet auf Grund der hohen Datenmengen große Vorteile für die Anwendung hat, sind wir schon lange aktiv. Dazu bieten wir die notwendigen Infrastruktur-Komponenten wie Switches und Medienkonverter an. Für die Installation im Ex-Bereich sind Ex-op-pr-Spleißboxen für Ethernet über Lichtwellenleiter oder Ex-d-Leitungsdurchführungen und Ex-e-100-Mbit-Ethernet-Klemmen im Programm. Eigensicheres Ethernet wird bereits bei einigen unserer Produkte als interne Schnittstelle verwendet und dient als Basis für zukünftige Entwicklungen. Sobald sich die notwendigen Standards ausbilden, werden wir unsere bereits verfügbaren Lösungen mit den eigensicheren Versionen entsprechend ergänzen. Da R. Stahl traditionell eng mit Prüfstellen und internationalen Normungsgremien zusammenarbeitet, möchten wir hier ganz vorne dabei sein.
Hennecke (Pepperl+Fuchs): Wir forschen an einer Ethernet-basierten H1-Feldbusphysik. Das Entwicklungsteam führte an Hand eines ersten Demonstrators eine Ethernet-Datenübertragung mit Energieversorgung für mehrere Teilnehmer über 1 km Zweidrahtleitung vor. Im nächsten Schritt werden wir zeigen, wie die Anforderungen des Explosionsschutzes erfüllt werden können und dass die Physical-Layer-Anschaltung auch direkt in einfache Feldgeräte wie Drucktransmitter integriert werden kann. Ein guter Kandidat für die eigensichere Stromversorgung eines Ethernet-Feldbusses ist die DART-Technologie. DART ermöglicht es, hohe Leistungen über große Leitungslängen eigensicher zu übertragen. Die von Pepperl+Fuchs entwickelte Technologie wird unter dem Arbeitstitel Power-I genormt. Das neue Kapitel IEC 60079-39 zur Definition von Power-I befindet sich zurzeit in der Abstimmung. Ein wichtiger Aspekt bei unseren Aktivitäten ist der offene Austausch mit anderen Herstellern. Ethernet in der Prozessautomation wird nur als offener, herstellerunabhängiger Standard Erfolg haben. Als Spezialist im Bereich Feldbusinfrastruktur und Explosionsschutz für die Prozessindustrie will Pepperl+Fuchs zu den Ersten gehören, die Produkte für einen Ethernet-fähigen H1-Feldbus liefern können.
Nohr (Rockwell Automation): Rockwell Automation unterstützt bisher eigensichere I/Os über ControlNet Ex und bietet derzeit die 1797-Flex-Ex-I/O-Plattform. Es ist der Wunsch unserer Kunden, EtherNet/IP zu nutzen, weshalb wir kontinuierlich daran arbeiten, Lösungen mit dieser Technologie bereitzustellen. ge
new.abb.com/de

DIE EXPERTEN
  • Bastian Engel, Team Leader Technology Marketing bei Endress+Hauser Process Solutions in Reinach
  • André Fritsch, Senior Product Manager Fieldbus & Remote I/O bei R. Stahl in Waldenburg
  • Jürgen Ficker, Product Manager Prozessinstrumentierung bei Siemens in Karlsruhe
  • Michael Gienke, Leiter Entwicklung Prozessleitsysteme Deutschland bei ABB Automation in Minden
  • Andreas Hennecke, Produkt Marketing Manager im Geschäftsbereich Prozessautomation bei Pepperl+Fuchs in Mannheim
  • Nobert Nohr, Sales Manager Process Automation bei Rockwell Automation in Düsseldorf
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