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„Die Diskussion im US-amerikanischen Raum ist wesentlich weiter gefasst“

Im Interview: Rahman Jamal, Global Technology & Marketing Director, National Instruments
„Die Diskussion im US-amerikanischen Raum ist wesentlich weiter gefasst“

Als amerikanisches Unternehmen nimmt National Instruments (NI) auch aus Sicht der USA an der Industrie-4.0-Diskussion teil. In der elektro AUTOMATION erläutert Global Technology & Marketing Director Rahman Jamal Unterschiede zwischen der amerikanischen und deutschen Sichtweise. Deutlich wird daran: Der sehr fertigungsbezogene Fokus von Industrie 4.0 greift zu kurz, um abzubilden, was das Internet der Dinge (Internet of Things) an Chancen bietet.

Fragen: Michael Corban, Chefredakteur elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Herr Jamal, Partnerland der Hannover Messe sind in diesem Jahr die USA – auch dort wird wie in Deutschland über das Thema Smart Manufacturing diskutiert, in Deutschland unter dem Label Industrie 4.0. In welchen Punkten weichen die amerikanische und die deutsche Diskussion aus Sicht des amerikanischen Unternehmens NI voneinander ab?
Jamal: Es ist ganz einfach der Fokus, durch den sich die Ansätze der beiden Länder grundlegend unterscheiden. Während der Schwerpunkt in Deutschland tatsächlich fast ausschließlich auf Industrie 4.0, also auf „Smart Manufacturing“ liegt, ist die Diskussion im US-amerikanischen Raum wesentlich weiter gefasst. Hier begegnet man vielmehr dem Schlagwort „Internet of Things“ (IoT), bei dem wiederum zwischen dem „Consumer IoT“ (CIoT) und dem „Industrial IoT“ (IIoT) unterschieden wird. Letzterem lässt sich „Smart Factory“ zuordnen, jedoch gehören noch weitaus mehr „smarte“ Bereiche dazu, etwa „Smart Health“, „Smart Grid“ oder auch „Smart Mobility“. „Smart Factory“ beziehungsweise „Smart Manufacturing“ als Synonym für Industrie 4.0 ist also nur eine Untermenge des IIoT. Aber auch die Umsetzung dieser Initiativen unterscheidet sich komplett. Das vollständigere Spektrum des IIoT wird durch das 2014 in den USA gegründete „Industrial Internet Consortium“ (IIC) abgedeckt. Auch National Instruments ist eines der Mitgliedsunternehmen, ebenso wie Cisco, General Electric, IBM und Intel, aber auch einige namhafte deutsche Firmen wie Bosch, Siemens und Kuka. Der augenscheinlichste Unterschied bei den Ansätzen der beiden Initiativen ist, dass sämtliche Diskussionen und Publikationen zu Industrie 4.0 fast ausnahmslos auf Deutsch stattfinden – auch wenn sich diese Situation mittlerweile etwas gebessert hat.
elektro AUTOMATION: Welche Auswirkungen hat das?
Jamal: Es ist für den internationalen Markt nahezu unmöglich, nachzuvollziehen, was bei Industrie 4.0 genau passiert – selbst wenn es vielleicht von internationalem Interesse wäre. Beim IIC hingegen liegt es in der Natur der Sache, dass alles auf Englisch geschieht und somit wesentlich transparenter ist. Auch das Publikum ist hier global. Außerdem erscheinen nahezu täglich Berichte über neue Mitglieder, Testbeds oder neue Zielsetzungen des IIC. Bei Industrie 4.0 ist man wesentlich träger, denn bevor man etwas herausposaunt, möchte man es hierzulande sehr genau machen. Die berühmt-berüchtigte deutsche Gründlichkeit artet in endlose Debatten über Interoperabilität und Standards aus. Dieser Hang zur Präzision führt auch dazu, dass erst etwas veröffentlicht wird, wenn es volle Marktreife erreicht hat. In den USA ist man da eher etwas laxer und agiert vielmehr schnellstmöglich, um der Erste auf dem Markt zu sein. Somit scheint Deutschland dem IIC hinterherzuhinken, obwohl es unter anderem auch sein Verdienst ist, dass Europa Weltspitze im Automobil- und Anlagenbau ist und zwei Drittel Marktanteil im Embedded-Bereich innehat. Meiner Meinung nach liegt die Lösung des Problems in der goldenen Mitte. Und als US-amerikanisches Unternehmen mit einer doch sehr starken deutschen Identität kann NI aus beiden Ansätzen Nutzen ziehen.
elektro AUTOMATION: Welche Rolle kann denn insbesondere das Industrial Internet Consortium (IIC) spielen?
Jamal: Beim IIC handelt es sich um eine Non-Profit-Organisation, die die Entwicklung, Anpassung und Nutzung von vernetzten Geräten und Maschinen und intelligente Datenanalysen unter Einbindung von Anwendern voranbringen soll. Das IIoT und dessen Schlüsseltechnologien werden gefördert und miteinander in Einklang gebracht. Mittlerweile zählen mehr als 180 Industrieunternehmen aus 26 Ländern zum IIC (Stand Juli 2015). Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Durch die globale und unternehmensübergreifende Zusammenarbeit lassen sich Standards und Normen für das IIoT schneller und umfassender umsetzen. Zwar handelt es sich beim IIC nicht um ein Normierungsgremium, doch arbeitet es sehr eng mit solchen Gremien wie etwa dem DIN zusammen. Ein Hauptaugenmerk des IIC liegt zudem auf der Schaffung so genannter Testbeds für das IIoT.
elektro AUTOMATION: Welche Aufgabe können solche Testbeds übernehmen?
Jamal: Die Idee hinter solchen Testumgebungen ist, die neuesten Innovationen und Möglichkeiten des IIoT zu initiieren, zu durchdenken und letztendlich ihre Markttauglichkeit zu evaluieren. In dieser Art Experimentierplattform werden spezielle Anwendungsfälle und Szenarien umgesetzt. Außerdem wird evaluiert, ob eine solche Umsetzung den erwarteten Resultaten entspricht und wie noch nicht getestete oder bereits existierende Technologien zusammenspielen (Interoperabilitätstests). Hierbei entstehen neue, potenziell disruptive Produkte und Dienstleistungen sowie Anforderungen und Prioritäten für Normungsgremien, die das Industrial Internet unterstützen. National Instruments hat mittlerweile an vieren dieser Testbeds aktiv mitgewirkt. Das jüngste betrifft das Thema TSN und wurde auf der Embedded World 2016 bekanntgegeben.
elektro AUTOMATION: Worum geht es bei diesem neuen TSN-Testbed genau (Anm. der Red.: Zum Thema Time-Sensitive Networking (TSN) vgl. Trendinterview „Mit TSN zu besseren Echtzeiteigenschaften“ in elektro AUTOMATION 1-2/2016, S. 28ff)?
Jamal: Es handelt sich um das weltweit erste, das TSN in einem industriellen Umfeld unter die Lupe nimmt. Hierbei soll der neue Ethernet-Standard TSN live im Produktionsumfeld evaluiert werden. Außerdem wird eruiert, wie praxistauglich TSN tatsächlich ist. Für den physikalischen Aufbau des Testbeds trägt NI als Host übrigens die Hauptverantwortung. In dieser frühen Implementierung von TSN sollen die Vorteile dieser neuen Technologie ebenso beleuchtet werden wie die Herausforderungen, die es bei der Implementierung durch unterschiedliche Unternehmen eventuell gibt. So sollen Standardisierungsgremien erfahren, wo der Einsatz von TSN reibungslos verläuft und wo eventuell noch das eine oder andere Stellschräubchen gedreht werden muss. Zu den Aspekten, die hierbei genauer betrachtet werden sollen, zählen die Echtzeitfähigkeit sowie die herstellerübergreifende Interoperabilität eines konvergenten Ethernet-Standards. Auch wird der Sicherheitsaspekt von TSN auf Herz und Nieren geprüft, ebenso die Tatsache, ob sich Hochleistungsanwendungen und solche, bei denen die Latenz eine kritische Rolle spielt, in das IIoT integrieren lassen.
elektro AUTOMATION: Welche Bedeutung hat für NI das Thema OPC UA in Verbindung mit TSN? Ist damit das „Ende“ der Feldbusse gekommen oder spielen diese auf Maschinenebene doch weiter eine Rolle, wenn sehr hohe Anforderungen an die Echtzeit gestellt werden?
Jamal: Nicht nur für NI ist OPC UA in Verbindung mit TSN sehr wichtig. Es ist auch Teil der Untersuchungen im Rahmen des eben erwähnten Testbeds. Hier sollen unterschiedliche Kommunikationsprotokolle wie OPC UA kombiniert werden, je nach den zum Einsatz kommenden Automatisierungs-, Steuer- und Regelanwendungen. Diese Protokolle sollen dann auf einem einzigen, belastbaren Netzwerk auf Basis von IEEE-802.1-TSN-Standards ausgeführt werden. Heute haben definitiv noch die Feldbusse und ihre Ethernet-Derivate ihre Berechtigung. Blicken wir aber in Richtung IIoT beziehungsweise seine akademische Ausprägung „Cyber-Physical Systems“ und vor allem auf Industrie 4.0, dann wird sehr schnell eines deutlich: Wir brauchen explizit „einen“ Standard, der von allen Akteuren unterstützt wird und der einen nahtlosen Datenfluss ermöglicht. Und hier birgt das TSN tatsächlich das Potenzial, die nächste Generation der industriellen Vernetzung einzuläuten – auch für die Feldebene! NI beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit IEEE 802.1, also dem Standard, der ja das Fundament aller Ethernet-Produkte darstellt. Insbesondere sind wir in der Arbeitsgruppe „Time-Sensitive Networking” (TSN) des IEEE 802.1 aktiv. Ziel der Arbeitsgruppe ist die Weiterentwicklung des Standards, so dass er sich in industriellen Automatisierungsanwendungen einsetzen lässt, in denen hohe Echtzeitanforderungen herrschen.
elektro AUTOMATION: Gehen wir etwas näher auf die Controller-Hard- und -Software ein: Gehört die Zukunft hier weiter Systems-on-a-Chip (SoCs), die CPU und FPGA kombinieren und vor allem die Programmierung auch des FPGAs erleichtern?
Jamal: Die Zukunft gehört den rekonfigurierbaren Systemen und ihrer Anwendung in den genannten „smarten“ Bereichen wie Smart Factory, Smart Grid, Smart Health usw., die allesamt das IIoT anvisieren. Das Herz solcher Systeme bilden tatsächlich SoCs, deren Gesamtverhalten über anwendernahe Programmierung festgelegt wird. Dies verleiht den Anwendern nicht nur die erforderliche Flexibilität, sondern sorgt außerdem für reduzierte Entwicklungskosten und vereinfachtes Life-Cycle-Management. Dies ist wenn Sie so wollen der Dreh- und Angelpunkt des plattformbasierten Ansatzes, den unser Kundenstamm von mehr als 35.000 jährlich belieferten Unternehmen weltweit bereits seit Jahren erfolgreich nutzt. Ein solcher Ansatz gestattet es, immer wieder Neues zu erschaffen, und zwar auf der Basis dreier Dinge: Erstens bereits vorhandener modularer rekonfigurierbarer Hardware, zweitens einer einheitlichen Softwareumgebung – mit der wie erwähnt das Gesamtverhalten des Systems festgelegt wird –, und drittens der Möglichkeit der nahtlosen Integration kommerzieller Technologien.
elektro AUTOMATION: Wie wird NI sein Plattformangebot weiter ausbauen?
Jamal: Erst kürzlich haben wir mehrere Produkte bekanntgegeben, die unsere Plattform weiter ausbauen. So stellten wir zum Beispiel eine Produktfamilie mit drei neuen Industrie-Controllern – so genannten Smart-edge-Controllern – vor, die auf die komplexen Anforderungen der hochentwickelten Anwendungen des IIoT ausgerichtet sind (vgl. elektro AUTOMATION 11/2015, S. 30ff). Die Controller sind mit Intel-Core-Prozessoren der fünften Generation, robustem Gehäuse, integrierten I/Os und umfangreichen Anschlussoptionen ausgestattet. Maschinenbauer und Systementwickler benötigen aufgrund dessen keine separaten Subsysteme mehr für komplexe Maschinen und können die Funktionalität in einem einzigen Controller vereinen. Außerdem können die Systemkomplexität vereinfacht, die Systemkosten gesenkt und die Gesamtabmessungen reduziert werden, da sich verschiedene I/O-Typen, zum Beispiel für Bildverarbeitung und Motorsteuerung oder andere Steuerungs- und Regelungsprozesse, in einen einzigen, leistungsstarken Controller integrieren lassen. Zudem haben wir erst auf der Embedded World neue Wireless-CompactRIO-Controller vorgestellt, mit denen Anwender über IEEE-802.11-basierte Dualband-Wireless-Kommunikationsfunktionen direkte Verbindung zu Mensch-Maschine-Schnittstellen (HMIs), Servern, anderen Geräten und zur Cloud aufbauen können. Außerdem gestatten die Controller die vereinfachte Überwachung von Systemen an solchen Orten, an denen eine Verkabelung nur schwer umsetzbar oder zu kostenintensiv ist, wie beispielsweise über große geografische Distanzen hinweg, innerhalb großer Anlagen oder Infrastrukturen, in beweglichen Systemen wie Automobilen, Windturbinen oder mobilen Systemen. Anders als viele anderen industriellen WLAN-Produkte erfüllen diese Controller die Anforderungen von Industrieumgebungen bezüglich Stoß- und Schwingungsfestigkeit und Temperatur. Ferner haben sie eine lange Lebensdauer. Natürlich gilt: Auch künftig werden wir unsere Plattform erweitern – je nach Anforderungen des Marktes.
elektro AUTOMATION: Lassen Sie uns abschließend noch über das Thema Big Data sprechen: Airbus setzt beispielsweise das NI System on Module als Basis für smarte Schraubwerkzeuge und -anlagen ein – um Fehler sicher auszuschließen (vgl. elektro AUTOMATION 4/2015, S. 84f). Gibt es inzwischen weitere Beispiele, die in diesem Sinne Fertigungsabläufe „intelligenter“ machen und dabei große Datenmengen verarbeiten – Stichwort Big Analog Data?
Jamal: Ja, es gibt sogar einige. Lassen Sie mich kurz zwei „smarte“ Beispiele erläutern. Das erste betrifft das Thema „Smart Mobility“. Bei diesem Anwendungsbeispiel von Jaguar Land Rover sollte eine umfassende Lösung zur Verwaltung und Analyse riesiger Datenmengen von bis zu 500 GB pro Tag realisiert werden. Erzeugt werden die Daten von mehr als 200 Datenloggern, die kontinuierlich Daten sowie Ad-hoc-Messungen von über 400 Ingenieuren erfassen. Auf Grundlage der NI-Software Diadem und der DataFinder Server Edition wurde ein System in die Realität umgesetzt, mit dem sich die Metadaten jeder beliebigen Datei indizieren lassen, unabhängig davon, woher sie stammen. Zudem sollte ein Arbeitsprozess erstellt werden, der es gestattet, die Daten zu suchen, zu überprüfen, zu analysieren und letztendlich auszuwerten, und zwar 20 Mal schneller als es mit jeder bisher angewandten manuellen Methode der Fall war.
elektro AUTOMATION: Und das zweite Beispiel?
Jamal: Zum Thema „Smart Factory“ gibt es eine Abhandlung des WZL der RWTH Aachen. Das Ziel ist die intelligente Fabrik der Zukunft, die sich hochdynamisch an die jeweiligen Anforderungen im Fertigungsbereich anpasst. Die weitverbreitete Nutzung von Smart Devices im privaten Alltag hat auch Auswirkungen auf die Technologien, die in der Fertigungshalle zu finden sind. Künftige Geräte sind offene, rekonfigurierbare und individuell anpassbare Plattformen. Der Beitrag beschreibt die technischen Herausforderungen, denen sich Entwickler von Cyper-Physical Systems im Fertigungsbereich gegenüber sehen und zeigt Lösungsansätze mit heutigen NI-Technologien auf.
elektro AUTOMATION: Herr Jamal, wir danken für die informativen Antworten.

Kontakt

info

National Instruments Germany GmbH
München
Tel. +49 89 7413130
http://germany.ni.com
Details zum Applikationsbeispiel Jaguar Land Rover:
http://t1p.de/mwri
Details zur Abhandlung des WZLs der RWTH Aachen:
http://t1p.de/8ql4

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