elektro AUTOMATION: Worin liegt die Bedeutung von TSN für die Automatisierung, ist TSN beispielsweise mit OPC UA eine Alternative zu Echtzeit-Feldbussen und -Protokollen bis in die Feldebene oder nur eine Echtzeit-Erweiterung bestehender industrieller Ethernet-Kommunikationslösungen?
Dr. Guido Beckmann (Beckhoff): Mit den richtigen Werkzeugen aus dem TSN-Werkzeugkasten eignet sich die Technologie, um in einem heterogenen Ethernet-Netzwerk Datenströme (Streams) zu definieren und diese echtzeitfähig und priorisiert durch das Netzwerk zu transportieren. Dies minimiert Verzögerungszeiten und gewährleistet eine Synchronisierung der Teilnehmer – es ersetzt aber keinesfalls den Echtzeitfeldbus. Feldbusse, wie Ethercat, sind optimiert auf eine einfache Handhabung und Inbetriebnahme; die Diagnose der Teilnehmer im laufenden Betrieb ist auf eine schnelle Fehlerbehebung ausgelegt. Die Kommunikation zwischen Steuerungen erfolgt jedoch bereits heute über Standard-Ethernet-Netzwerke. Durch TSN wird diese Kommunikation deterministisch und das wirkt sich positiv aus. Für Beckhoff ergibt sich zusätzlich durch die TSN-Technologie auch die Möglichkeit, mehrere Ethercat-Segmente echtzeitfähig über Ethernet-Netze hinweg mit einer Steuerung anzusprechen. So kann das breite Spektrum an Ethercat-Geräten direkt – ohne Änderung in den Geräten – an die heterogene TSN-Welt angebunden werden.
elektro AUTOMATION: Erste Interoperabilitäts-Workshops haben stattgefunden. Als TSN-Ready-gekennzeichnete Managed Switche sowie TSN-ertüchtigte PC-Erweiterungskarten sind verfügbar. Doch wieweit ist die Standardisierung der einzelnen Teile für Hard- und Software (ASbt, Qbu, Qbv, etc.) vorangeschritten. Ist die Entwicklung von Lösungen auf dieser Basis schon heute möglich bzw. wann ist die Technologie in Seriengeräten verschiedener Hersteller für den Industrie-Einsatz verfügbar?
Beckmann: In der Standardisierung von TSN ist noch vieles in Bewegung. Einige für die Anbindung von Automatisierungskomponenten wichtige Standards sind aber bereits von der IEEE freigegeben und können somit in den Infrastruktur- und Endgeräten implementiert werden. Hierzu zählen beispielsweise der IEEE802.1Qbv-Standard zur Verbesserung des Weiterleitungsprozesses durch einen vorgeplanten und zeitgesteuerten Datentransfer (Time Aware Shaping). Und auch der Standard IEEE802.1AS-REV ist bereits in der Abstimmung innerhalb der IEEE – dieser definiert ein Protokoll zur Synchronisierung von zeitsensitiven Applikationen. Beckhoff ergänzt mit dem EK1000 sein Ethercat-I/O-System um einen Buskoppler, der die Anbindung von Ethercat-Segmenten über ein Ethernet-Netzwerk an eine abgesetzte Steuerung unterstützt. Die Implementierung der genannten TSN-Technologien (Qbv, AS-REV) stellt hierfür die Grundlage für einen deterministischen Datenaustausch zwischen der Steuerung und dem Segment bereit. Der Ethercat-TSN-Koppler, als erster Teilnehmer in einem Segment platziert, verfügt über zwei Ethernet-Schnittstellen. Einer dieser 100-Mbit/s-Port verbindet den Koppler mit dem Ethernet- bzw. TSN-Netzwerk. Den zweiten Port kann man optional für die Erweiterung zusätzlicher, abgesetzter Ethercat-Teilnehmer verwenden. Der EK1000 übernimmt dabei die Weiterleitung des Telegramms vom TSN- an den Ethercat-Port mit minimaler Durchlaufverzögerung.
elektro AUTOMATION: Die Nutzung von TSN mit Profinet/Profisafe, Sercos, Powerlink, OPC UA, etc. setzt evtl. auch Engineering-Funktionalitäten bzw. Entwicklungstools voraus. Welche Unterstützung benötigt der Industrie-Anwender dafür zukünftig?
Beckmann: Die Konfiguration von TSN-Netzwerken ist die noch größte Unbekannte. In einem Interoperabilitäts-Workshop die verfügbaren Geräte verschiedener Hersteller so zu konfigurieren, dass sie in gewünschter Weise miteinander funktionieren, ist eine Sache. Eine generische Konfigurations-Schnittstelle sowie protokollunabhängige Optimierungsalgorithmen für die Datenströme in einem heterogenen TSN-Netzwerk zu standardisieren, ist dagegen eine weit größere, noch offene Herausforderung. Feldbus-Protokolle wie Ethercat ermöglichen heute eine einfache und automatische Konfiguration des Netzwerkes. Dies wird eine Messlatte für eine zukünftige TSN-Konfigurationsumgebung sein – herstellerunabhängig und über heterogene Protokolle hinweg.