elektro AUTOMATION: Die Bundesnetzagentur hat Ende November Vergaberegeln erlassen für die Versteigerung der 5G-Lizenzen für die öffentlichen Mobilfunknetze. Diese Versteigerung soll im Frühjahr stattfinden. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist die, dass die zur Verfügung gestellten Spektren nicht für eine Versorgung der Fläche ausreichen. Kann die Industrie mit dieser Regelung glücklich sein?
Dr. Hermann Buitkamp (VDMA): Die Vergabebedingungen sehen jetzt vor, dass 98 Prozent der Haushalte in Deutschland mit schnellem Internet versorgt werden sollen. Das heißt, dass 20 vielleicht sogar 25 Prozent der Fläche nicht mit 5G versorgt werden. Insofern ist das aus unserer Sicht keine deutliche Verbesserung. Wir fordern daher, dass die sogenannten Flächenfrequenzen unter einem Gigahertz jetzt auch möglichst rasch zu einer neuen und sinnvolleren Zuteilung kommen, um den ländlichen Raum komplett abdecken zu können. Wenn wir diese Frequenzen für 5G nutzen könnten, wäre uns sicherlich geholfen.
elektro AUTOMATION: Sie gehen also nicht konform mit einer Aussage unserer Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, die gesagt hat, dass 5G nicht an jeder Milchkanne notwendig sei.
Dr. Hermann Buitkamp (VDMA): Na ja, eine Milchkanne braucht sicher kein 5G, aber wir glauben, dass wir Deutschland flächendeckend mit 5G ausstatten sollten. Andere Länder können das auch. 5G wird die Datenleitung der Zukunft sein und wir können es uns in Deutschland nicht leisten, diese nur zu 75 oder 80 Prozent zu nutzen. Auch für einen mittelständischen Maschinenbauer mit einem Standort im ländlichen Raum muss gesichert sein, dass er über breitbandige Verbindungen verfügt.
Herbert Wegmann (Siemens): Ich sehen einen positiven Aspekt im Vordergrund: Die Bundesnetzagentur ermöglicht es Unternehmen, die 5G in ihrer Fabrik einsetzen wollen, eigene lokale Netze aufzubauen. Es wird dafür ein Frequenzband von 100 Mhz zwischen 3,7 und 3,8 Ghz zur Verfügung stehen, das für industrielle Anwendungen mit einer hohen Quality of Service (QoS) genutzt werden kann. Darüber sind wir sehr froh, weil wir uns dafür stark eingesetzt haben.
elektro AUTOMATION: Der VDMA und der ZVEI haben sich gemeinsam mit verschiedenen Industrieunternehmen stark gemacht für die Möglichkeit des Aufbaus privater, lokaler 5G-Netze. Herr Dr. Müller, wie beurteilen Sie den aktuellen Stand?
Dr. Andreas Müller (Robert Bosch): Wir sind natürlich sehr froh, wenn es die Chance zum Aufbau privater 5G-Netze geben sollte, denn damit eröffnen sich grundsätzlich ganz neue Möglichkeiten der Datenkommunikation in der Fertigung. Aus Sicht vieler Fabrikbetreiber stellt dies sogar eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg von 5G in der Industrie dar. Der aktuelle Entwurf der Bundesnetzagentur sieht vor, dass Unternehmen diese lokalen 5G-Lizenzen beantragen können, nachdem die Auktion für das bundesweit zu vergebende Spektrum bei 3,4 bis 3,7 GHz abgeschlossen ist. Wann dies genau der Fall sein wird, muss man noch abwarten, zumal einige Netzbetreiber nun Klage gegen die aktuellen Vergabebedingungen eingelegt haben. Ich gehe aber davon aus, dass der Vergabeprozess für die lokalen Lizenzen als Grundlage für private Netze noch im Laufe dieses Jahres starten wird – und die Lizenzen dann auch relativ zeitnah zur Verfügung zur Nutzung stehen. Das heißt man kann davon ausgehen, dass es 2020 bereits die ersten lokalen 5G-Netze geben wird.
elektro AUTOMATION: Das heißt, die Lizenzen für private 5G-Netze werden nicht versteigert, sondern per Antragsverfahren erteilt.
Dr. Hermann Buitkamp (VDMA): Ja, diese Frequenzen werden im Rahmen eines Verwaltungsakts zugewiesen an Unternehmen, die eine entsprechende Ausbauverpflichtung eingehen wollen und müssen. Das große Problem wird für den Betreiber sein, das Roaming in die nationalen Netze sicherzustellen. Es kann nicht sein, dass jemand eine SIM-Karte für das regionale Netz erwirbt, dann den Funkbereich dieses regionalen Netzes verlässt, und das Handy bleibt ausgeschaltet. Das ist derzeit noch ein großer Verhandlungspunkt mit der Bundesnetzagentur. Derzeit ist zwar vorgesehen, dass es ein Verhandlungsgebot geben wird oder geben soll zwischen den nationalen Netzbetreibern und den regionalen und lokalen Netzbetreibern mit Schiedsrichter Bundesnetzagentur, aber der Ausgang der Verhandlungen bleibt noch offen.
elektro AUTOMATION: Weiß man schon, was eine solche Lizenz für ein lokales 5G-Netz kosten wird?
Dr. Hermann Buitkamp (VDMA): Das ist ebenfalls noch unklar, da die Vergabebedingungen noch nicht vorliegen. Um mal einen Richtwert zu geben: Gehen Sie davon aus, dass vielleicht ein nationaler Netzbetreiber etwa 1 Milliarde Euro für ein nationales Netz bezahlen wird, verteilt auf zwanzig Jahre. Ein regionaler Netzbetreiber wird für ein Netz mit einer Abdeckung von 350 km2 (das ist 1/1000 der Bundesrepublik) dann schätzungsweise 1 Million Euro bezahlen müssen. Und so kann man sich ausrechnen, was eine lokale Lizenz pro Jahr kosten könnte.
elektro AUTOMATION: 5G wird deutlich schneller sein als 4G. Ist das letztlich auch der Treiber dafür, 5G für die Automatisierung in der Fabrik einzusetzen? Oder gibt es da auch noch andere Punkte?
Josef Eichinger (Huawei): Die hohe Datenübertragungsrate alleine macht 5G für die Fabrik sicherlich nicht attraktiv. Diese ist vor allem interessant für die öffentlichen Mobilfunknetze, damit die Verbraucher Youtube-Videos und Netflix-Serien besser erleben können und neue Anwendungen wie Virtual und Augmented Reality sowie Connected Cars möglich werden. Für den Einsatz im industriellen Umfeld ist 5G aus zwei anderen Gründen prädestiniert: Zum einen ermöglicht 5G erstmals eine Million Teilnehmer pro Quadratkilometer. Das ist für alle IoT (Internet-of-Things)-Anwendungen in der Fabrik interessant. Zum anderen garantiert 5G eine hohe Zuverlässigkeit und Kommunikationsqualität für alle angeschlossenen Geräte im Netzwerk. Das bezeichnen wir als Ultra Reliable Low Latency Communication (uRLLC) und erweitert den Quality of Service um mehrere Größenordnungen. Dabei geht es um garantierte Verfügbarkeiten, Bandbreiten und deterministisches Echtzeit-Verhalten. Vor allem für die Hersteller und Anwender von Automatisierungsgeräten und -anlagen ist dies immens wichtig.
Dr. Andreas Müller (Robert Bosch): Die Punkte, die Herr Eichinger gerade angesprochen hat, sind entscheidend, da sie weder beim heutigen 4G noch bei WLAN gegeben sind. In der Industrie benötigen wir für viele Anwendungen insbesondere eine definierte und verlässliche Dienstgüte, mit definierten kurzen Latenzzeiten und einer hohen Zuverlässigkeit. Möchte man einen Regelkreis über die Luftschnittstelle schließen, sprechen wir zum Beispiel häufig über feste Zykluszeiten zwischen 1 und 10 Milisekunden bei einer vernachlässigbaren Fehlerrate. Dies kann WLAN beispielsweise nicht bieten. Folglich können wir mit 5G plötzlich Dinge in der Fabrik drahtlos realisieren, die vorher schlichtweg nicht möglich waren. Der Ersatz von Schleifringen oder die effiziente Vernetzung fahrerloser Transportsysteme sind dabei nur zwei von vielen möglichen Beispielen. Doch es geht nicht nur darum, ein Kabel durch eine Funkstrecke zu ersetzen. Man kann mit 5G vielmehr ganz neue Systemkonzepte entwickeln, indem man gleichzeitig die Intelligenz verlagert – vom Endgerät wie einem fahrerlosen Transportsystem weg in eine lokale Cloud hinein. Das geht nur, wenn man eine hochzuverlässige Funkstrecke zur Verfügung hat, wie sie aktuell nur 5G bereitstellen kann.
Dr. Hermann Buitkamp (VDMA): Die Latenzzeiten sind aus Sicht des Maschinenbaus extrem wichtig. Wir haben jetzt bei LTE Latenzen je nach Anwendung zwischen 40 und 100 Millisekunden. Bei 5G erwarten wir Latenzen von deutlich unter 10 Millisekunden. Und das braucht ja nicht nur der Maschinenbau, sondern auch die Automobilindustrie. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) fordert ganz klar Latenzen unter 10 Millisekunden, um autonomes Fahren zu ermöglichen. Also, wir sitzen da durchaus alle in einem Boot.
elektro AUTOMATION: Ist 5G für die Fabrik somit eine eierlegende Wollmilchsau, die viele Anforderungen gleichzeitig erfüllt?
Herbert Wegmann (Siemens): Nein, keineswegs, da muss man mit realistischen Vorstellungen herangehen. Wenn man sich die drei Vorteile von 5G – Bandbreite, Anzahl der Teilnehmer und Quality of Service – in einem Dreieck vorstellt, dann können Sie dieses Dreieck nicht an allen drei Seiten beliebig weit aufziehen. Das geht nicht. Das heißt für Industrieanwendungen, wenn man eine hohe Quality of Service für deterministische Automatisierungssysteme benötigt, dann steht vielleicht nicht die komplette Bandbreite von 5G zur Verfügung, aber es sind gleichzeitig durchaus viele IoT-Teilnehmer möglich.
Josef Eichinger (Huawei): Der große Vorteil ist, dass mit 5G erstmals das sogenannte Network Slicing zur Verfügung steht. Network Slicing erlaubt es Betreibern, ihre Infrastruktur oder Teile davon anwendungsbezogen und auf Abruf bereitzustellen – als eigenes Netz mit besonderen Eigenschaften, beispielsweise einer zugesicherten Datenrate oder Latenz. Damit ist zugesichert, dass die geforderten Verzögerungszeiten von wenigen Millisekunden für deterministische Anwendungen garantiert sind.
Dr. Andreas Müller (Robert Bosch): In der ersten Version des Standards, der mittlerweile bereits verabschiedet ist, wurde der Fokus primär auf noch höhere Datenraten gelegt, speziell in Hinblick auf das klassische Consumergeschäft. Erst mit der nächsten Version, dem sogenannten Release 16, das Ende des Jahres zur Verfügung stehen soll, werden die anderen angekündigten Funktionalitäten, die insbesondere für die Automatisierung so interessant sind, vollumfänglich enthalten sein. Dies gilt unter anderem auch für die hohe Echtzeitfähigkeit und Zuverlässigkeit.
Josef Eichinger (Huawei): Die Entwicklung wird noch weiter gehen, wir arbeiten kontinuierlich weiter an der Release-Schraube. Mit den nächsten Releases können auch Latenzzeiten von 1 Millisekunde und weniger möglich werden – wenn dies gewünscht ist.
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Die 5G-Allianz
Der ZVEI-Fachverband Automation beschäftigt sich seit zwei Jahren in der „5G Alliance for Connected Industries and Automation“ (5G-ACIA) mit 5G. Im Boot sind Vertreter der klassischen Automatisierungs-, Fertigungs- und Prozessindustrie als auch führende Organisationen aus dem Bereich der IKT-Industrie. 42 Mitglieder hat die 5G-ACIA mittlerweile, seit April 2018 sind 16 neue Mitglieder dazugekommen, darunter die global agierenden Netzbetreiber China Mobile und Orange, ITK-Anbieter Sony, der schwedische Industrieausrüster HMS, die Zertifizierungsexperten der Dekra und mit Sintef ein Forschungsinstitut aus Norwegen. Die 5G-ACIA besteht aus fünf Arbeitsgruppen für die Bereiche Use Cases und Anforderungen, Spektrum und Betriebsmodelle, Architektur und Technologie, Zusammenarbeit und Verbreitung sowie Validierung und Tests. Um stärker Einfluss zu nehmen, hat die Allianz einen Anforderungskatalog für die industrielle Kommunikation erstellt. Er soll in die Arbeit des Standardisierungsgremiums 3GPP einfließen, das für Dezember 2019 die nächsten 5G-Spezifikation (Release 16) plant und bereits Vorbereitungen für die darauffolgende 5G Release 17 begonnen hat.
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Der 5G-Fahrplan
In der Öffentlichkeit steht 5G vor allem für hohe Datenübertragungsraten mit bis zu 20 Gbit/s. Wichtiger ist aber für die Industrie, dass 5G Features mitbringt, die für die anspruchsvolle Kommunikation von Maschine zu Maschine im Industrie-4.0-Szenario von Bedeutung sind. So sollen in 5G-Netzen beispielsweise pro Quadratkilometer bis zu eine Million Endgeräte senden und empfangen können. Die Latenzzeiten der derzeit verabschiedeten Release 15 liegen mit bis zu 1 ms sehr nahe an den industriellen Anforderungen. Gleiches gilt für die Zuverlässigkeit von mehr als 99,999 %. Ende 2019 wird voraussichtlich das nächste Release verabschiedet (Rel16) mit Verzögerungszeiten von unter 1 ms und einer zehnfach höheren Zuverlässigkeit. Für den Aufbau lokaler 5G-Netze wird die Regulierungsbehörde aller Voraussicht nach auf Antrag Frequenzen im Bereich von 3,7 bis 3,8 GHz sowie bei 26 GHz an Unternehmen, regionale Netzbetreiber oder Gemeinden vergeben.
„Bei 5G erwarten wir Latenzen von deutlich unter 10 Millisekunden. Das braucht nicht nur der Maschinenbau, sondern auch die Automobilindustrie.“
„uRLLC erweitert die Quality of Service um mehrere Größenordnungen. Dabei geht es um garantierte Verfügbarkeiten, Bandbreiten und deterministisches Echtzeit-Verhalten.“
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„Man kann mit 5G ganz neue Systemkonzepte entwickeln, indem man die Intelligenz verlagert – vom Endgerät weg in eine lokale Cloud hinein. Dies geht nur mit einer hochzuverlässigen Funkstrecke.“
Bild: Siemens
„Für lokale Netze wird ein Frequenzband von 100 Mhz zwischen 3,7 und 3,8 Ghz zur Verfügung stehen, das für industrielle Anwendungen mit einer hohen Quality of Service (QoS) genutzt werden kann.“