elektro AUTOMATION: Auf der SPS IPC Drives 2018 wurde die Verantwortung für die Standardisierung rund um das Thema Time-Sensitive Networking (TSN) in Verbindung mit dem M2M-Kommunikatonsprotokoll OPC UA mehr oder weniger an die OPC Foundation deligiert. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Martin Müller (Phoenix Contact Electronics): Phoenix Contact begrüßt diesen Schritt sehr und hat auch aktiv daran mitgearbeitet, dass die Entscheidung letztendlich so zustande gekommen ist. Als Anbieter von Ethernet-basierten Automatisierungssystemen sind wir bereits seit langer Zeit international in den Standardisierungsgremien für Ethernet, Wireless, Cyber Security oder Industrie 4.0 aktiv. Deswegen war es schon immer unser Anliegen, möglichst sämtliche Aktivitäten miteinander zu verbinden sowie alle wesentlichen Hersteller von Automatisierungstechnik an einen Tisch zu bringen und die nächste Generation der industriellen Kommunikationssysteme gemeinschaftlich zu standardisieren. Diese einmalige Chance ergibt sich jetzt durch die Einrichtung der FLC-Arbeitsgruppen in der OPC Foundation.
elektro AUTOMATION: Bleibt die aufgrund der Anzahl an Unternehmen bislang treibende ‚Shaper-Gruppe‘ dem Thema verbunden oder löst sie sich auf?
Müller: Die bisher unter dem Namen ‚Shapers‘ agierende Gruppe von Unternehmen war einer der Wegbereiter für die Einrichtung der FLC-Arbeitsgruppen innerhalb der OPC Foundation. Dabei ist von Anfang an klar gewesen, dass die Arbeiten unter dem Dach einer Nutzerorganisation durchgeführt werden müssen. Da OPC UA eine der wesentlichen Kerntechnologien in den zukünftigen Standards darstellt, war es von vornherein der Wunsch, dies ergänzt um die Standardisierung rund um TSN innerhalb der OPC Foundation zu gestalten. Deshalb sind wir froh, dass das jetzt gelungen ist. Alle Unternehmen, die innerhalb der Shaper-Gruppe aktiv gewesen sind, zählen auch zu den Mitgliedern der OPC Foundation und können daher zusammen mit weiteren neuen Promotoren ihre Arbeit nahtlos fortsetzen. Weil es sich bei der Shaper-Gruppe um keinen eingetragenen Verein oder eine ähnliche Organisation handelt, stellt sich die Frage der Auflösung derselben nicht, sondern die Aktivitäten werden innerhalb der OPC Foundation in den FLC-Arbeitsgruppen fortgeführt.
elektro AUTOMATION: Das Zeug zu einem echten Industrie-4.0-Kommunikationsstandard hat OPC UA over TSN – wird es diesen auch ‚auf die Straße‘ bringen können oder erleben wir nach Feldbussen und Industrial-Ethernet-Systemen zum dritten Mal eine Zunahme proprietärer Kommunikationsprotokolle für die Industrie 4.0?
Müller: Tatsächlich hat OPC UA over TSN das Potential, der einheitliche Kommunikationsstandard für die Zukunft und damit für Industrie 4.0 zu werden. Anlass zur Hoffnung, dass es dieses Mal wirklich gelingen kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass sich alle wesentlichen internationalen Player der Automatisierungsbranche öffentlich zu OPC UA over TSN bekannt haben und aktiv mit eigenen Ressourcen in den Arbeitsgruppen vertreten sind. Zudem wird auch die Akzeptanz für proprietäre Lösungen mit der Verfügbarkeit von Geräten und Systemen, die auf dem neuen Standard basieren, erheblich abnehmen. Der Markt entscheidet also über die Potentiale und die Attraktivität der unterschiedlichen Kommunikationssysteme und hier sind Lösungen, die auf einem einheitlichen Übertragungsstandard basieren, deutlich im Vorteil.
elektro AUTOMATION: OPC UA over TSN hat sich in den Testbeds als noch leistungsfähiger erwiesen als erwartet. Gleichzeitig hat im November 2018 die OPC Foundation eine Initiative gestartet, OPC UA einschließlich TSN für den Einsatz bis in die Feldebene zu ertüchtigen. Ist damit die Aussage hinfällig, dass sich OPC UA over TSN gut für die Kommunikation und Synchronisierung von Fertigungszellen bis hinauf in die ERP-Ebene eignet, in der Fertigungszelle selbst aber leistungsfähigere Feldbus- beziehungsweise Industrial-Ethernet-Systeme zum Einsatz kommen müssen?
Müller: OPC UA kann in Verbindung mit TSN tatsächlich nahezu alle Anforderungen an industrielle Kommunikationssysteme erfüllen. Es ist damit geeignet, die Vision einer einheitlichen Kommunikationsarchitektur ohne aufwendige Gateways und Systembrüche vom Sensor bis in die Cloud zu verwirklichen. Insofern kann auf die Ausprägung von spezifischen Industrial-Ethernet-Systemen im Bereich der Feldebene verzichtet werden. Diese lassen sich zukünftig durch eine einheitliche Kommunikations-Infrastruktur auf Basis von OPC UA und TSN ersetzen. Nichtsdestotrotz wird es mit der Verfügbarkeit der Technologien noch etwas dauern, sodass den Migrationsstrategien der bestehenden Systeme (zum Beispiel Profinet mit TSN) eine besondere Bedeutung zukommt. Dadurch ergeben sich vielfältige neue Möglichkeiten, sowohl im Hinblick auf die technischen Rahmenbedingen als auch die Ausprägung neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise cloudbasierte Themen wie Analytics.