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Namur und ZVEI arbeiten an neuem Standard

Automatisierung
Namur und ZVEI arbeiten an neuem Standard

Die Prozesstechnik setzt immer stärker auf eine modulare Bauweise und fordert daher einen herstellerübergreifenden Standard für Automatisierungstechnik. Unternehmen, Verbände und Forschungseinrichtungen entwickeln diesen derzeit und stimmen ihn international ab.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der elektro AUTOMATION

Derzeit dauert es vom ersten Laborprodukt bis zur Serienherstellung auf einer individuell dafür entwickelten prozesstechnischen Anlage gut und gerne zehn Jahre. In diesem Zeitraum den Markt abschätzen zu können, gleicht dem Blick in die Glaskugel. Um die Time-to-Market zu halbieren, sollen prozesstechnische Anlagen künftig nicht mehr individuell, sondern aus standardisierten Modulen aufgebaut werden. Um solche Module verschiedener Hersteller untereinander kompatibel zu machen, bedarf es besonders hinsichtlich der Automatisierung aber neuer Rahmenbedingungen. Die Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie Namur stellte daher vor vier Jahren die Empfehlung NE148 auf, die zeigen sollte, was Anlagenbetreiber hinsichtlich der Modulbauweise künftig benötigen.

Kompakte Bauteile und ein neuer Standard

Einer der grundlegendsten Punkte war das herstellerunabhängige Einbinden automatisierter Module in das Gesamtleitbild der Anlage, wozu die Prozessautomatisierung heute noch nicht in der Lage ist. Daher setzte man sich mit dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) zusammen, um nach einer Lösung zu suchen. In einem Positionspapier fassten entsprechende ZVEI-Mitglieder darauf hin zusammen, wo ihrer Meinung nach Handlungsbedarf besteht, um die Forderungen der Namur NE148 zu erfüllen. Durch die Modularisierung verfahrenstechnischer Anlagen findet tendenziell eine Reduktion der prozess- und hilfsmediumführenden Rohrleitungsnennweiten bei gleichzeitiger höherer Packungsdichte der Sensorik und Aktorik statt. Es ergibt sich nach ZVEI-Ansicht daher die Notwendigkeit einer möglichst kompakten Ausführung der Feldgeräte. Mit steigender Packungsdichte im (Sub-)Modul steigt zudem die Belastung der (kompakten) Feldgeräte hinsichtlich der Umgebungsbedingungen – insbesondere durch hohe, prozessbedingte Temperaturen, aber auch durch Abwärme von Apparaten und Elektrik. Eine weitere Modularisierungsebene auf Feldebene mit Trennung von Sensor und Messumformer bzw. Aktor und Ansteuereinheit (z.B. Stellungsregler, Magnetventil) könnte notwendig werden. Ebenfalls ist eine Integration der Konverterelektronik in das Gehäuse des eigentlichen Sensors möglich.

Die größte Herausforderung für die Automatisierer sei aber nicht die Hardware, man benötige für ein solches Vorhaben vielmehr einen einheitlichen Standard: „Derzeit schreibt die in der Anlage verbaute Automatisierung den Kurs vor. Wird die Anlage über ein Modul erweitert – das gibt es teilweise bereits – muss von diesem oft die komplette Automatisierung gegen eine mit der Anlage kompatible Ausführung getauscht werden“, erklärt Axel Haller, bei ABB Portfoliomanager Öl, Gas & Chemie und Leiter des ZVEI-Arbeitskreises Modulare Automation. „Der neue MTP-Standard soll das Transportmedium für Informationen zwischen der aus intelligenten Modulen aufgebauten Anlage und einem übergeordneten Orchestrierungssystem bieten.“ Der MTP-Standard wird bewusst offen gestaltet, so dass dieser später auch problemlos von weiteren Herstellern angenommen werden kann. Die Kommunikation läuft daher etwa über das OPC-UA-Protokoll.

Das Kapitel HMI ist bereits abgeschlossen, grafische Informationen können also herstellerneutral übertragen werden, die entsprechende VDI-Richtlinie ist im Gründruck. So können etwa Verrohrung und Ventilstellungen aus einzelnen Modulen im Gesamtbild der Anlage grafisch dargestellt werden. Als nächstes steht die Orchestrierung auf dem Plan, aktuell muss hier die Steuerung noch jedes Bauteil der Anlage selbst ansprechen und verstehen können. Mit Modulen und dem MTP sollen später standardisierte Services die heute noch sehr komplexe zentrale Steuerung ersetzen: „Ein kleines Reaktormodul kann befüllen, temperieren und rühren. Das intelligente Modul muss diese Funktionen selbst ausführen können, sprich es muss wissen, für welchen Vorgang welche Elemente aktiviert werden müssen. Das Orchestrierungssystem muss dann nur den Vorgang starten – oder abbrechen. Wie das abzulaufen hat, muss das Modul natürlich ebenfalls wissen“, erklärt Haller.

Sensoren produzieren heute aber viele Daten, die für den aktuellen Betrieb gar nicht benötigt werden und das Orchestrierungssystem daher auch nicht belasten sollen. Wertvoll sind die Daten aber für Diagnose und Wartungszwecke, weshalb ein weiterer Schritt die Adaption des NOA-Konzepts (Namur Open Architecture) ist. Über dieses werden entsprechende Informationen künftig in einer Cloud verfügbar gemacht.

Da die Technik nicht nur für Greenfield-Anlagen funktionieren darf, sondern auch im Bestand eingesetzt werden soll, könnten später auch bereits bestehende Automatisierungssysteme oder MES durch Updates fit für die modulare Produktion gemacht werden. Denn wenn eine Brownfield-Anlage durch ein neues Modul erweitert oder verbessert werden soll, muss natürlich die bestehende Technik ebenfalls mit dem MTP umgehen können. „Verschiedene Anlagenbetreibern sagen uns auch immer wieder, dass sie keine 100-prozentige Lösung bräuchten, auch 80 Prozent sind ja eine erhebliche Verbesserung“, so Haller.

Viel Umdenken nötig

Umstellen müssen sich künftig aber auch die Anlagenbetreiber, denn häufig haben sie durch eigene Standards und Werksnormen Restriktionen für viele Hersteller geschaffen. Innerhalb der neuen Module müssten deren Bauteile nun aber erlaubt werden, da ein Modul eben gerade nicht speziell für einen Anlagenbetreiber und dessen Werksnorm abgestimmt werden wird. Schließlich wollte man auch die Anlagen- und Modulbauer selbst mit ins Boot holen, denn künftig müssen diese nicht mehr nur Verfahrenstechnik und Stahlteile liefern, sondern auch die Automatisierung in standardisierte Module einbinden und deren Service via Industrie-4.0-Lösungen über die Lebenszeit übernehmen. Mitte Oktober 2017 traf man sich daher beim VDMA in Frankfurt, etwa 15 Anlagenbauer diskutierten mit den Vertretern von ZVEI und Namur die ersten Details. Grundsätzlich zeigten sie großes Interesse, auch wenn das Modulprinzip ihr Geschäftsfeld wohl stark beeinflussen und die Prozesstechnik möglicherweise disruptiv verändern wird. Denn künftig braucht ein Anlagenbetreiber für eine Systemerweiterung nur noch ein MTP-fähiges Modul und kann dieses selbst integrieren. Die Anlagenbauer – heute spezialisiert auf hochkomplexe Individuallösungen – müssen künftig also auch Kompetenz in der Automatisierung aufbauen, um am Markt langfristig nicht obsolet zu werden.

www.zvei.org

Beteiligt an der Entwicklung des MTP-Standards sind Namur, ZVEI, ProcessNet und deren Mitglieder, Universitäten sowie Anlagen- und Modulbauer. Der gemeinsame Flyer (PDF) veranschaulicht die Vorteile der modularen Prozesstechnik:

www.hier.pro/0oJWP

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