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Prof. Timo Leukefeld gibt Tipps zur Energieeffizienz

ENGINEERING CAMPUS: Plenumsrede beleuchtet Systembetrachtung der Energieversorgung
„Energie intelligent verschwenden“

„Energie intelligent verschwenden“
Prof. Timo Leukefeld, Energieexperte, Freiberg Bild: Leukefeld
Welche Rolle das Betrachten komplexer Systeme spielt, lässt sich gut am Thema Energie erkennen. Wer konsequent alle Möglichkeiten der Energiegewinnung nutzt, muss Energieeffizienz nicht ausschließlich auf eine Verbrauchssenkung reduzieren – man kann dann Energie auch „intelligent verschwenden“, wie Prof. Timo Leukefeld beim Blick auf die Energiebilanz von Gebäuden erläutert. Leukefeld hält auch die Plenumsrede anlässlich des ENGINEERING CAMPUS am 22. September 2015.

Interview: Michael Corban, Chefredakteur develop3 systems engineering

develop3: Prof. Leukefeld, sowohl in der Industrie als auch im privaten Bereich wird Energieeffizienz gefordert. Sind wir auf dem richtigen Weg?
Leukefeld: Energieeffizienz wird ja wirklich für viele Marktteilnehmer zur Plage. Einerseits ist sie für zahlreiche Unternehmen selbstverständlich – schließlich will man ja Geld verdienen, was sich nicht mit dem Verschwenden von Energie verträgt. Andererseits kennen wir auch Rebound-Effekte. Will heißen: Habe ich selbst das Gefühl, sehr sparsame Geräte zu besitzen, lasse ich sie länger laufen oder ich betreibe immer größere Flachbildfernseher. Oder ich belohne mich selbst – weil ich sehr sparsam bin – mit einer Flugreise nach Hawaii. Dadurch steigt letzten Endes der Energieverbrauch. Erreichen lässt sich aber bezüglich der Energieeffizienz eine ganze Menge, wie das Beispiel eines ersten Bürogebäudes zeigt, das ohne Heizung, ohne Lüftung und ohne Kühlsystem auskommt – angeblich unmöglich laut Fachwelt.
develop3: Bei solchen Konzepten spielt die intensive Nutzung von Sonnenenergie eine entscheidende Rolle, Sie beschäftigen sich ja in unserem Wohnumfeld sehr intensiv damit. Warum wird Sonnenenergie so zögerlich genutzt?
Leukefeld: Wichtig ist hier, zwischen Photovoltaik und Solarthermie zu unterscheiden. Im Bereich des Solarstroms blicken wir auf einen regelrechten Boom zurück. Dahinter stand eine große Lobby – was dazu führte, dass Investoren mit fast planwirtschaftlicher Sicherheit Gewinn machen konnten. Welcher Unternehmer bekommt schon eine für 20 Jahre abgesicherte Zahlung, wenn er eine Investition tätigt? Für den Anschub war die Förderung sicher gut, allerdings ist das Modell danach ziemlich entgleist. Allein in Deutschland sind inzwischen Photovoltaik-Module mit einer Nennleistung von rund 35 GW installiert – das entspricht der Leistung einer größeren Anzahl konventioneller Kraftwerke. Ganz anders sieht es dagegen bei der Solarthermie oder Sonnenwärme aus. Dort fehlt die Lobby und aktiv sind in der Regel nur kleine mittelständische Unternehmen.
develop3: Woran liegt das?
Leukefeld: Vereinfacht formuliert könnte man sagen: Solarthermie ist zu simpel für die Forschung – häufig kommen ja Innovationen nur dann zum Zuge, wenn sie breit von der Forschung getragen werden. Im Falle der Solarthermie ist diese aber fast komplett ausgestiegen. Warum? Betrachtet man einen Kollektor, so ist ein Kernelement das schwarze Blech und der Wirkungsgrad liegt bei rund 95 Prozent. Da geht kein Forscher mehr heran, das ist fertig. Was fehlt, sind allerdings Speichermöglichkeiten – und hier fehlen leider Mittel für die Forschung.
develop3: Welche Rolle spielt die Speicherung von Wärme für das Gesamtsystem Energieversorgung?
Leukefeld: Unser Ziel sind ja energieautarke Gebäude – ohne dass wir dazu auf Komfort und Lebensqualität verzichten wollen und sollten! Interessanterweise entfällt der Mammutanteil des Energiebedarfs von Gebäuden auf Wärmeenergie, nicht auf Strom – es sei denn, ich schmelze Aluminium. Im Wohnbereich liegt der Stromanteil normalerweise nur zwischen 10 bis 20 Prozent, der Rest ist Wärme. Sonnenenergie hat nun den großen Vorteil, dass sie zum Nulltarif und ohne Nebenwirkungen wie etwa CO2-Emissionen geliefert wird – verbunden mit dem Nachteil, dass sie überwiegend zu Zeiten geliefert wird, zu denen wir sie nicht benötigen. Wollen wir nachts oder im Winter Sonnenenergie nutzen, müssen wir sie speichern. Mit Blick auf die sicher generell sinnvolle Hinwendung zu regenerativ erzeugten Energien macht dies umso mehr Sinn, denn je größer die Fluktuation in diesem Gesamtsystem der Energieversorgung ist, desto wichtiger werden Speicher. Zumal dann, wenn sie dezentral verteilt und in einem Netzwerk verbunden sind – dann können wir uns übrigens auch die riesigen Investitionen bei den Leitungen schenken.
develop3: Damit sprechen Sie die Smart-Grid-Diskussion an, das intelligente Stromnetz. Folglich sollten dabei aber auch Wärmespeicher miteinbezogen werden?
Leukefeld: So ist es – ganz praktisch könnte in einem Energienetz zum Beispiel jeder größere Wärmespeicher mit einer Elektroheizpatrone ausgestattet sein. Dann lässt sich ein Überschuss an Solar- und Windstrom zumindest in Form von Wärme speichern – denn der Wirkungsgrad spielt dann keine Rolle, weil ich ja in diesem Moment zu viel Energie verfügbar habe. Auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen haben die Energieversorger erkannt, dass im Management eines solchen Netzes ihre Zukunft liegt. Wichtig ist, dass wir ohne staatliche Subventionen auskommen – wir wollen ja nicht erneut solch einen Scherbenhaufen bekommen, wie ihn die Förderung sowohl der fossilen als auch der erneuerbaren Energien hinterlassen haben; das hat den Markt völlig verzerrt. Jetzt ist es Zeit zu sagen, wir fahren die Subventionen in allen Bereichen zurück und überlegen uns Modelle, die keine Subventionen mehr benötigen – die aber dennoch wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll sind. Dann vermeiden wir auch Situationen, wie wir sie beispielsweise im Bereich der Wärmedämmung heute sehen, nachdem Styropor bis 2014 aufgrund eines darin enthaltenen Brandhemmers HBCD nun in Zukunft Sondermüll darstellt. Dies Beispiel zeigt die Absurdität staatlicher Förderung: Um sie zu bekommen, klebte man Sondermüll an die Wand oder installierte Luftwärmepumpen.

develop3: Speichertechnologien werden doch auch gefördert…
Leukefeld: …aber nur im Bereich der Stromspeicher; so werden beispielsweise LiIonen-Akkus erforscht und gefördert. Dabei liegen die Investitionen für einen von der Bundesregierung für die breite Anwendung vorgesehenen typischen LiIonen-Akku, fertig montiert inklusive Mehrwertsteuer, derzeit bei etwa 2000 Euro pro Kilowattstunde Speicherkapazität. In der Regel genügt die Kapazität dazu, in einem typischen Wohngebäude den Solarstrom von mittags bis abends zu speichern. Vergleichen wir das mit dem Speichern von Wärmeenergie in einem Wasserspeicher – den es seit 100 Jahren gibt, ganz simpel, ökologisch sinnvoll, tausende Male erwärm- und abkühlbar mit einer Lebensdauer von 70 bis 80 Jahren –, erfordert dieser pro Kilowattstunde Speicherkapazität eine Investition von zirka 20 Euro. Und dabei spreche ich schon von einem etwas teureren hochwertigen Langzeitspeicher. In einem neugebauten Gebäude mit guter Hülle kann ich darin über mehrere Wochen hinweg Wärmeenergie speichern!

develop3: Das macht anschaulich klar, wie wichtig die Systembetrachtung ist – zumal dann, wenn über das Wohnen hinaus nun auch noch das Thema Mobilität miteinbezogen wird. Wie gehen Sie die sich daraus ergebende Komplexität an?
Leukefeld: Entscheidend ist, in einem ersten Schritt den Bedarf zu ermitteln und zu begreifen, wie Wärme, Strom und Mobilität zusammenwirken. In der Regel sind Wärme und Mobilität die größten Verbraucher. Will ich mich dann mit Sonnenenergie ein Stück weit autark machen, spielen die am Gebäude zur Verfügung stehenden Flächen eine Rolle, unter Einschluss beispielsweise von Carports, Nebengebäuden oder Lagerhallen. Daraus ergibt sich der Anteil Energie, der über andere Energieträger bereitzustellen ist. Da zumindest im Moment nichts konkurrenzfähig gegen Erdgas ist, ließe sich dieses etwa per Kraft-Wärme-Kopplung oder in der Mobilität per Erdgasantrieb nutzen. Wobei im Einzelfall immer entscheidend ist, welches Bedarfsprofil ich habe. Bei einer Spedition mit Langstreckenverkehr sieht das ganz anders aus als bei einem Postverteildienst. Die optimale Lösung finde ich nur, wenn ich die Bilanzhülle um das komplette System lege – und bereit bin, der zumindest teilweisen Autarkie in der Energieversorgung einen Wert zu geben. Führt diese Unabhängigkeit zu mehr Sicherheit und Handlungsfähigkeit, lässt sich das nicht in einer Amortisationsrechnung über zwei Jahre Laufzeit unterbringen! Das gilt für Privatanwender wie Industrieunternehmer gleichermaßen. Senke ich dauerhaft meine Ausgaben für Wärme, Mobilität und Strom, gibt mir das mehr Handlungsspielraum. Ein Absenken der Lebensqualität kann dagegen keine offene Empfehlung sein – Ingenieure sollten bessere Wege finden!
develop3: Lassen Sie uns abschließend noch einmal auf die technische Umsetzung der Speicherung von Wärmeenergie zurückkommen. Welche Chancen sehen Sie hier?
Leukefeld: Spannend wäre auf alle Fälle die Erforschung von Latent- oder auch chemischen Speichern. Latentspeicher kennen wir alle als Taschenwärmer, die vorab im Kochtopf ‚geladen‘ werden. Diese Technologie gibt es, es fehlt aber die industrielle Fertigung in größerem Maßstab mit dann wettbewerbsfähigen Preisen. Noch interessanter sind chemische Speicher, in denen zwei pulverförmige Substanzen bei Kontakt reagieren und Wärme freisetzen, umgekehrt sich bei Zufuhr von Wärme wieder trennen. Das wäre eigentlich eine sehr innovative Speichertechnologie, zumal man in einem Kubikmeter ungefähr bis zu zehn Mal so viel Energie speichern kann wie in Wasser! Anders formuliert reduziert das drastisch das Gewicht – man könnte auf Druckbehälter verzichten und gerade auch im Gebäudebestand darüber nachdenken, mit diesem Speicher Dächer zu dämmen. Das wäre ein riesiger Schritt nach vorne – der aber noch in weiter Zukunft liegt und einiges an Forschungsarbeit verlangt.
develop3: Prof. Leukefeld – vielen Dank für das informative Gespräch, wir freuen uns auf Ihren Vortrag anlässlich des ENGINEERING CAMPUS.

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