Die Vorteile von Industrie 4.0 sind inzwischen hinlänglich bekannt. Doch damit das digitale Zeitalter in der Industrie wirklich durchstarten kann, werden offene Standards benötigt. Viele Feldbusorganisationen und Branchenverbände wie die Namur sind damit beschäftigt, mehr Transparenz in die Industrieanlagen zu bringen und die zahlreichen Zusatzinformationen von Geräten verfügbar zu machen. Die Automatisierung selbst aber bleibt proprietär. Ein Umstand, der sich jetzt auf Basis der IEC 61499 ändern soll. Sie schafft eine Grundlage für die Portabilität von Industrieautomatisierungs-Anwendungen, die weitreichende Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören die einfache Konvergenz von IT- und OT-Systemen und eine Wiederverwendbarkeit von Softwarebausteinen, die jetzt unabhängig von der Hardwareplattform ausgeführt werden können.
Verteilte SPSen nach IEC 61499
Die IEC 61499 ist eine Erweiterung der bisher üblichen Industrienorm IEC 61131 und stammt bereits aus dem Jahre 2005. Während die Funktionsbausteine, wie sie in der IEC 61131 definiert sind, zyklisch abgearbeitet werden, verwendet die IEC 61499 ein abweichendes Konzept. Die objektorientierten Funktionsblöcke haben nicht nur Daten-Ein- und -Ausgänge sondern auch Ein- und Ausgänge für Ereignissignale, die sogenannten Events. Die Funktionsblöcke können ereignisgesteuert ausgeführt werden. Das hat den Vorteil, dass der häufige Leerlauf der zyklischen Programmbearbeitung entfällt. Dies reduziert die Kommunikation zwischen verbundenen Steuerungen. Damit eignet sich das Konzept der IEC 61499 ideal für verteilte Steuerungen.
Endanwender wünschen offenen Standard
Noch heute ist es so, dass Softwarebausteine für bestimmte Funktionen für jedes Automatisierungssystem geschrieben werden müssen. Dafür werden enorme Ressourcen bei der Softwareentwicklung benötigt. „Mit proprietären Systemen wird auf Dauer keine durchgängige Digitalisierung möglich sein“, sagt Gregory Boucaud, Chief Marketing Officer der Non-Profit-Organisation Universalautomation.org (UAO). „Daher ist es logisch, dass gerade die Anwender auf eine Überwindung proprietärerer Automatisierungssysteme pochen. Organisationen wie Namur oder das Open Process Automation Forum (OPAF) in der Prozesstechnik beispielsweise setzen sich schon heute für mehr Herstellerunabhängigkeit ein, etwa hinsichtlich der Datenkommunikation. Mit der von uns verwalteten Technologie möchten wir an diese Entwicklung anknüpfen und die Nutzung eines offenen Automatisierungskonzepts ermöglichen.“ Der Schlüssel zu dieser neuen Welt ist die Norm IEC 61499. Die technologische Entwicklung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die Norm ihr volles Potenzial ausschöpfen kann. „Das heißt, die IEC 61499 kann jetzt als wesentlicher Baustein für die Entwicklung einer wirklich offenen industriellen Automatisierungsumgebung dienen, in der Softwareanwendungen über Hardwareplattformen verschiedener Hersteller hinweg portabel sind“, sagt Boucaud.
Runtime ist verfügbar
„Universalautomation.org hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Runtime auf Basis der IEC 61499 zur Verfügung zu stellen und diese zu pflegen“, sagt Boucaud. „Mit der herstellerunabhängigen Runtime gelingt quasi der Wechsel von der proprietären in die offene Welt.“ Portabilität und Interoperabilität werden dadurch möglich und OT und IT wachsen zusammen. Damit können Digitaltechniken wie Simulation, Big Data, Predictive Maintenance und vieles mehr ihr volles Potenzial entfalten. Musste bisher bei den Anwendern immer Know-how über die Software der jeweiligen Hersteller vorhanden sein, ist das in Zukunft nicht mehr notwendig, denn bei uns gibt es nur noch ein System.
Beispiel in der Prozesstechnik
Als Demonstrator dient ein ein Separator-Modul der Firma GEA, das Schneider Electric mit dem Ecostruxure Automation Expert auf Basis der Runtime von UAO automatisiert hat. Bei Schneider ist man der Meinung, dass in der softwarezentrierten, hardwareunabhängigen Automatisierung die Zukunft liegt. Die Möglichkeiten, die diese Technologie bietet, sind vielfältig. Unter dieser Prämisse wurde auch das Automatisierungssystem Ecostruxure Automation Expert (EAE) von Schneider Electric entwickelt. Es unterstützt den Anwender bei der Neugestaltung des Engineerings durch einen softwarezentrierten Ansatz und ermöglicht ein effizientes Wrapping und eine Wiederverwendung von Automatisierungsobjekten. Die Software bietet rasche Anpassungen bei Prozessveränderungen per Drag & Drop und ist ideal geeignet für verteilte Systeme. Auf der Hardware eines Durchflussmessgerätes im Bypass könnte beispielsweise die Steuerung der umgebenden Ventile laufen. Dazu müssen lediglich die Funktionsblöcke in EAE auf die Hardware verschoben werden, die Verbindung wird automatisch generiert.
Plug-&-Produce rückt näher
Der Übergang zu Automatisierungssystemen auf der Grundlage der IEC 61499 ist mehr als ein einfacher Technologiewechsel. Er hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Prozesse und Maschinen gestaltet werden, grundlegend zu verändern. Mit der Einführung offener Automatisierungssystemplattformen wie Ecostruxure Automation Expert und der Umsetzung erster Feldtests ist der Startschuss in eine neue Automatisierungswelt gefallen. Bis zum flächendeckenden Einsatz ist es noch weit. Viele Hürden sind noch zu nehmen, beispielsweise das Thema Safety. Der Weg ist jedoch aufgezeigt, wie die Automatisierung in der Prozesstechnik zukünftig funktionieren kann. (ge)
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