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Die Rolle adaptiver Maschinen in der Smart Factory

Skalierbare Automatisierungstechnik
B&R-Deutschland-Chef Markus Sandhöfner zur Rolle adaptiver Maschinen

Losgröße 1 und Individualisierung bestimmten von Beginn an die Diskussion zu Industrie 4.0. Ziel war immer auch eine Maschine, die sich selbstständig an Aufgabenstellungen anpasst, die bei ihrer Inbetriebnahme noch nicht bekannt waren. Warum solche adaptiven Maschinen über modulare Konzepte hinausgehen und welche Rolle dabei die Automatisierungstechnik spielt, erläutert im Interview Markus Sandhöfner, Geschäftsführer der B&R Industrie-Elektronik GmbH in Bad Homburg.

 

Interview: Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Was können adaptive Maschinen?
2. Skalierung ermöglicht Flexibilität
3. Anlagen mit 300 Shuttles sind machbar
4. Digitaler Zwilling bietet Chance der Simulation vorab
5. Robotik in der adaptiven Maschine

Was können adaptive Maschinen?

KEM Konstruktion: Der Trend zu modularen Maschinen und die flexible Verbindung von Fertigungszellen hält an. B&R will nun sogar einen Schritt weiter hin zu adaptiven Maschinen machen – können Sie etwas näher erläutern, was eine adaptive Maschine von einer modularen Maschine unterscheidet?

Markus Sandhöfner (B&R): Wir wollen einen Schritt weitergehen und unterschiedliche, jetzt verfügbare Technologien zusammenzuführen. Unter einer modularen Maschine verstehen wir dabei eine leicht vom Anwender an die jeweilige Aufgabe anpassbare Maschine. Passt sich die Maschine nun aber selbst an neue Aufgaben an, wird sie zu einer adaptiven Maschine. Will heißen: Solche Maschinen sind auch in der Lage, sich an Aufgaben anzupassen, die zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme noch nicht bekannt waren. Und zwar selbstständig, ohne zusätzliche Werkzeuge zu verwenden und ohne zusätzliche Einrichtungen zu nutzen. Das ist der innovative Gedanke hinter adaptiven Maschinen.

KEM Konstruktion: Was sind die Treiber hinter dieser Entwicklung?

Sandhöfner: Einer der großen Treiber ist der E-Commerce – mit immer kleineren Losgrößen und Produkten, die sich individuell konfigurieren lassen. Adaptive Maschinen besitzen hier den Vorteil, dass sich mit ihnen sehr viele Variationen eines Produktes bis hin zur Losgröße 1 flexibel produzieren lassen, sobald die Bestellung eingeht. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn der dazu erforderliche Online-Konfigurator lässt sich direkt mit der adaptiven Maschine koppeln, so dass die jeweiligen Daten direkt an die Maschine übertragen werden und diese die Bearbeitung starten kann. Die Maschine steht also quasi ‚im Netz’ – der gesamte Prozess von der Bestellung bis hin zur Verpackung lässt sich heute digitalisieren. Das schafft übrigens auch die Voraussetzungen, um in einem immer volatileren Geschäftsumfeld zu bestehen und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Skalierung ermöglicht Flexibilität

Ein weiterer Vorteil adaptiver Maschinen ist deswegen auch die Möglichkeit der Skalierung – steigt die Nachfrage, will man diese ja möglichst schnell produktionsseitig abbilden. Ein aktuelles Beispiel sind etwa die Alltagsmasken, deren Nachfrage anfangs enorm anstieg und die verbunden war mit dem Wunsch der Individualisierung. Neben den Abmessungen betraf das beispielsweise auch den Wunsch nach einem bestimmten Motiv oder Logo auf der Maske. Jeder, der in dieser Situation Masken selbstständig herstellen, verpacken und schnell versenden konnte, war klar im Vorteil.

KEM Konstruktion: Der Übergang von modular zu adaptiv wird ja eher fließend sein – lässt sich die Skalierung dennoch problemlos auch in Mischkonzepten realisieren?

Sandhöfner: Definitiv – als Beispiel sei das von B&R angebotene Tracksystem Acopostrak genannt. Der entscheidende Punkt ist, dass sich dieses problemlos erweitern lässt, wenn neue Produkte die ‚alten’ Systemgrenzen sprengen. Da unsere Automatisierungskomponenten durchgehend modular aufgebaut und erweiterbar sind – auch bezüglich Kommunikation und Software –, lässt sich eine vorhandene Produktionsanlage auf diese Weise flexibel anpassen. Die Möglichkeit, schnell zu erweitern und zusätzliche Prozessstationen an den Track zu bringen, gibt es zudem auch während des laufenden Betriebs. Bei gestiegener Nachfrage kann der Anwender also auch Bearbeitungsstationen parallel aufbauen und über Weichen jederzeit flexibel ansteuern – Flaschenhälse lassen sich so von Beginn an vermeiden.

Mit anderen Worten: Modulare und vor allem auch adaptive Maschinen sind keine geschlossenen Systeme – jederzeit besteht die Mölichkeit, parallel zu produzieren und die Maschine zu erweitern. Wie flexibel das System ist, zeigt sich unter anderem an dem wie wir es nennen ‚virtuellen Shuttle’. Je nach zu transportierendem Produkt lassen sich beispielsweise zwei reale Shuttles koppeln und gemeinsam – daher ‚virtuell’ – verfahren. Das Prinzip lässt sich erweitern, zusammen mit Kunden haben wir auch schon einen ‚Zug’ von Produkten realisiert. Die Analogie zur Bahn passt hier ganz gut, weil in der Logik dazu die Anhänger definiert werden und ich dem Zug als Ganzes so ein Ziel geben kann. Für den Anwender ist die Nutzung dadurch sehr einfach.

Video-Tipp: Acopostrak im Bild

Anlagen mit 300 Shuttles sind machbar

KEM Konstruktion: Der Definition der Schnittstellen, nicht nur bezüglich Software oder Kommunikationstechnik, sondern auch der Hardware, ist also der entscheidende Schlüssel…

Sandhöfner: …und gerade mit Blick auf Acopostrak auch dessen Eigenschaft, skalieren zu können, ohne dass die Performance des Systems leidet. Mit einer CPU kann ich gut und gerne 100 Shuttles über eine Tracklänge von 100 Metern betreiben. Genauso gut lässt sich aber auch ein zweiter IPC anschließen, an den die Shuttles nahtlos übergeben werden können – was beispielsweise weitere 100 Meter Tracklänge erschließt. Dabei lassen sich große Teile einer solchen Anlage sowohl autonom als auch synchronisiert mit anderen betreiben. Wir kennen inzwischen Anlagen mit 300 Shuttles, die als komplette Anlage betrieben werden. B&R setzt dazu ja schon lange auf die dezentrale Automatisierung. Will heißen: So weit wie möglich sämtliche schnell ablaufenden Prozesse dezentral steuern – aber jederzeit volle Transparenz über eine zentrale CPU gewährleisten.

Digitaler Zwilling bietet Chance der Simulation vorab

KEM Konstruktion: Lassen sich solch große Anlagen auch vorab simulieren und testen?

Sandhöfner: Definitiv – und die Simulation gibt mir gerade mit Blick auf eine adaptive Maschine die Sicherheit, dass sich die Anforderungen ohne Engpass erfüllen lassen – und ohne dass ich tatsächlich manuell in die Maschine eingreifen muss. Solch ein Digitaler Zwilling lässt sich zudem in realen Applikationen für die Diagnose nutzen. Unsere Applikations-Ingenieure können heute bereits viele Probleme mit Hilfe des Digitalen Zwillings schneller am Bildschirm lösen. Das ist nicht zuletzt bei großen Ausdehnungen der Produktionsanlagen von Vorteil, bei denen sich ansonsten lange Wege addieren würden. Gibt mir der Digitale Zwilling einen Hinweis zur Fehlerursache, kann ich sehr gezielt die Anlage inspizieren.

Robotik in der adaptiven Maschine

KEM Konstruktion: Welche Rolle spielt die Robotik mit Blick auf die adaptive Maschine?

Sandhöfner: Eine sehr wichtige, denn da, wo das Tracksystem mir Flexibilität beim Transport zwischen den einzelnen Prozessstationen gibt, kann der Roboter mir die gleiche Flexibilität innerhalb einer Station geben. Der Roboter in der Maschine ist quasi der Enabler, um die Bearbeitungsprozesse flexibel und damit adaptiv zu gestalten. Die Möglichkeiten einer Prozessstation werden durch den Roboter erweitert, die Notwendigkeit für einen Umbau deutlich reduziert. Ein ganz entscheidender Punkt bei all dem ist natürlich die Fähigkeit, Prozesse zu synchronisieren – die Synchronisation von Roboter und Tracksystem haben wir ja bereits mehrfach auch auf Messen gezeigt. Gerade die Verschmelzung von Robotik und Maschinensteuerung zu einer einheitlichen Architektur ermöglicht es den Herstellern, dem Trend der individualisierten Massenproduktion zu folgen.

Video-Tipp: Die Kopplung Track & Roboter im Bild (das Video startet an der richtigen Stelle)

KEM Konstruktion: Das Thema verlangt ja fast auch nach Künstlicher Intelligenz (KI) – wie weit ist B&R an dieser Stelle?

Sandhöfner: Das geht ganz hervorragend zusammen mit der Bildverarbeitung, die wir ja als modularen Baustein innerhalb unseres Automatisierungssystems anbieten. Damit lassen sich Prozesse einfach aufnehmen und anschließend nutzen, um per Machine Learning (ML) KI-Algorithmen zu trainieren. Auf diese Weise lassen sich Muster erkennen und Prozesse beeinflussen und damit optimieren. Ziele können sowohl mehr Durchsatz als auch eine höhere Qualität sein – hier ergeben sich vielfältige Möglichkeiten. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Offenheit unseres Systems, weil wir es dem Maschinen- und Anlagenbauer freistellen wollen, welche KI-Lösung er einsetzt. Er profitiert dabei aber immer von der Durchgängigkeit des Systems, insbesondere mit Blick auf den Einsatz von Kameras, letztlich aber bezüglich aller Automatisierungskomponenten. Das Ziel bleibt dabei immer, eine adaptive Maschine zu realisieren. Eine Maschine, die im Laufe ihres Lebenszyklus Produkte herstellt, an die bei ihrer Konstruktion noch keiner gedacht hat.

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