Startseite » Safety »

Vorzertifizierung erleichtert Umsetzung

Experten-Interview zu den Aspekten Safety und Security
Vorzertifizierung erleichtert Umsetzung

Die Anforderungen an die Funktionale Sicherheit (Safety) steigen inzwischen weltweit. Für die exportorientierten Maschinen- und Anlagenbauer stellt sich damit die Frage, wie sich diese Anforderungen möglichst effizient umsetzen lassen. Mit Blick auf die Zukunft gewinnt zudem das Thema ‚Industrie 4.0‘ an Bedeutung, das insbesondere über die webbasierte Machine-to-Machine-Kommunikation dann auch die Frage der Zugriffssicherheit (Security) aufwirft. Die elektro Automation fragte deshalb einige Anbieter von Sicherheitslösungen und -steuerungen, welche Unterstützung bereits heute verfügbar ist und was in Zukunft zu erwarten ist.

elektro Automation: Gibt es bestimmte Branchen sowie Länder, in denen die Nachfrage nach Sicherheitslösungen und -steuerungen besonders anzieht? Welche Bedeutung hat das für die Weiterentwicklung Ihrer Systeme und welche internationalen Normen und Vorschriften müssen dabei beachtet werden?

Kaufleitner (B&R): Unsere wichtigsten Märkte für sicherheitstechnische Produkte sind Europa, Nordamerika und China. Dort setzen überwiegend Maschinenbauer, aber auch Systemintegratoren der Anlagen- und Prozessbranchen auf unsere Lösungen. Damit wir bei diesem weiten Anwendungsspektrum erfolgreich sein können, setzen wir ausschließlich auf offene Lösungen. So nutzen unsere Produkte zum Beispiel für die sichere Kommunikation openSafety, den einzigen tatsächlich busunabhängigen Sicherheitsstandard für alle Industrial-Ethernet-Lösungen. Aufgrund der Vielzahl innovativer Systemfunktionen und den Möglichkeiten von openSafety nutzen über alle Märkte und Brachen hinweg stetig immer mehr Anwender unsere Produkte. Wir sehen generell einen stark wachsenden Markt für integrierte und intelligente Sicherheitstechnik, der nicht auf einzelne Branchen beschränkt ist. Mit der international anerkannten Normenreihe IEC 61508 ist zudem eine sehr gute Basis gegeben. Selbstverständlich sind für B&R branchenspezifische Standards wie die ISO 13849-1 für den Maschinenbau, die IEC 61511 für die Prozesstechnik oder die EN 50156 für Feuerungsanlagen genauso ein Muss wie regionale Vorschriften, zum Beispiel die Maschinenrichtlinie für den europäischen Raum oder die NFPA 79 und die UL 1999 für Nordamerika.
Mandel (Schmersal): Besonders stark wächst die Nachfrage in Nationen wie Brasilien, China und Indien, deren Volkswirtschaften rasch wachsen. Das Wachstum allein ist aber nicht der Treiber. Je stärker diese Nationen in den globalen Warenverkehr und in globale Produktionsverbünde integriert sind, desto größer wird der Wunsch nach einem Maschinensicherheitsniveau, das sich an dem der führenden Industrienationen orientiert. Hier setzen vor allem die EU-Regelungen, die auf der Maschinenrichtlinie aufbauen, weltweit Maßstäbe. Diese Regelungen werden zum Teil in die dortigen Normenwerke übernommen, sie wirken also weit über die EU hinaus. Teilweise gibt es aber auch nationale Normen, die zu beachten sind. In China müssen die Sicherheits-Schaltgeräte zum Beispiel das ‚CCC‘-Zertifikat aufweisen. Mit solchen Regelungen sind wir vertraut, weil wir in allen wichtigen Märkten mit eigenen Tochtergesellschaften präsent sind und beispielsweise in China und Brasilien seit vielen Jahren auch vor Ort produzieren. Kurz gesagt: Die Zeiten, in denen ein europäischer Maschinenbauer eine richtlinienkonforme, sichere Maschine für den Heimatmarkt anbot und die Anwender in Schwellenländern eine Version mit ‚abgespeckter‘ Sicherheitstechnik bestellten, sind vorbei. Die Normen und die Maschinen selbst gleichen sich weltweit an. Das ist aus Sicht der Arbeitssicherheit ebenso zu begrüßen wie aus dem Blickwinkel des freien Warenverkehrs.
Mysliwiec (Siemens): Nach wie vor bleibt die europäische Fertigungsindustrie ein wichtiges Feld für den Einsatz von Automatisierungstechnik von Siemens – mit sicherheitsgerichteten speicherprogrammierbaren Steuerungen, Antrieben oder weiteren elektromechanischen Geräten. Aber auch in Fernost oder in den USA wird die Nachfrage immer größer. Gründe dafür sind die Integration der notwendigen Sicherheitsfunktionen in die entsprechenden Gerätetypen sowie die Einbindung dieser Gerätetypen in gemeinsame Engineering Tools, welche das Aktivieren der notwendigen Sicherheitsfunktionen über die gerätespezifischen Eigenschaften erlauben. Unsere Systeme erfüllen grundsätzlich die Anforderungen der IEC 61508 nach SIL 3 beziehungsweise bei Antrieben nach der IEC 68500-2 unter Berücksichtigung entsprechender antriebsspezifischer Teilfunktionen. Dabei ist die Sichtweise der harmonisierten Normen ISO 13849-1 und insbesondere der IEC 62061 komplett berücksichtigt: Eine Sicherheitsfunktion über die sogenannten Safety-Related Parts of a Control System – kurz SRP/CS – oder Teilsysteme wird entsprechend dem etablierten Schema ‚Erfassen, Auswerten, Reagieren‘ eingestuft. Ein SRP/CS oder Teilsystem kann unterschiedliche Teilfunktionen übernehmen, zudem lassen sich auch Geräte mit unterschiedlichen Technologien – etwa Fluidsysteme – oder von anderen Herstellern integrieren. Daraus ergeben sich die Anforderungen an die Schnittstellen, wie sicherheitsgerichtete Informationen zwischen den Geräten ausgetauscht werden können. Möglich ist dabei eine klare und eindeutige Funktions- und Rollenaufteilung.
Seng (Euchner): Grundsätzlich findet die Beachtung der EN ISO 13849-1 immer mehr Anhänger und dies nicht nur in Europa. Auch im asiatischen Raum wird immer mehr in Richtung Performance Level und Sicherheitskategorie gedacht. Anfänglich war dies nur an Maschinen, die für den Export in westliche Länder vorgesehen waren, umgesetzt worden, doch mittlerweile wird auch für den lokalen Markt immer mehr Sicherheitstechnik ‚eindesigned‘ und dies nicht nur für westliche Kunden mit Niederlassungen in den entsprechenden Ländern. Ein weiteres Land, das diesbezüglich stark aufholt, ist Indien. Obwohl dort gesetzliche Vorgaben wie in Europa und den USA nicht existieren, beschäftigen sich die Maschinenbauer vermehrt mit dem Thema Safety. Sie versuchen, die Notwendigkeit in Performance Leveln und Kategorien zu denken, zu verstehen und zu hinterfragen. In manchen Bereichen wird das Thema Safety an Maschinen auch schon als Verkaufsargument von Seiten des Vertriebs genutzt. Dies zeigt, dass Sicherheit an Maschinen auch durchaus einen Wettbewerbsvorteil bringen kann – und nicht nur mit Kosten verbunden ist, wie jahrelang argumentiert wurde.
Stark (Pilz): Obwohl das Schutzziel ‚sicherer Arbeitsplatz‘ weltweit das Gleiche sein sollte, sind wir in einigen Ländern der Welt noch ein ganzes Stück davon entfernt. Unter anderem liegt das am gesellschaftlichen Konsens darüber, wie groß in dem jeweiligen Land das akzeptable Restrisiko sein darf. Zudem muss man das entsprechende Wissen über Maschinensicherheit aufbauen und die Sicherheitskultur mit Leben füllen. Das gilt insbesondere für die aufstrebenden BRIC-Staaten – also Brasilien, Russland, Indien und China. Große Schritte in die richtige Richtung haben bereits Brasilien mit der Implementierung der sogenannten NR12, Russland mit der teilweisen Übernahme internationaler Normen und China mit der schrittweisen Implementierung von Normen und Richtlinien getan. Für uns als Pilz heißt dies, in diesen Regionen weiter intensiv als Botschafter der Sicherheit zu wirken, um unseren Beitrag zum Aufbau von Wissen beziehungsweise einer Sicherheitskultur zu leisten. Dafür haben wir unser weltweites Netzwerk mit gut ausgebildeten eigenen Mitarbeitern, die im engen Austausch stehen und kontinuierlich voneinander lernen. Wichtig dabei ist: Die Implementierung von Normen und Richtlinien bezieht sich nicht nur auf die einzelne Anwendung, sondern sie führt zu zusätzlichen Anforderungen an die Produkte. Diese müssen in der Regel durch einen weiteren Zertifizierungsprozess erfüllt werden. Betriebsanleitungen müssen zudem in den notwendigen Sprachen vorliegen und manche Produkte den lokalen Marktbedürfnissen angepasst werden. Und natürlich steigt in diesen Märkten auch die Zahl der Anbieter, die mit vergleichbaren Produkten und Lösungen aktiv sind.
elektro Automation: In welcher Weise können Sie insbesondere die exportierenden Maschinen- und Anlagenbauer bei der Integration von Lösungen für die Maschinensicherheit unterstützen? Wie lässt sich deren Aufwand minimieren?
Kaufleitner (B&R): Wie bereits erwähnt besitzen unsere Produkte neben den europäischen Zulassungen auch die notwendigen Zertifizierungen für den internationalen Markt. Hier seien insbesondere die bestehenden UL- und NRTL-Zulassungen für Nordamerika erwähnt. Daneben besitzen die Produkte aber auch Prüfzeichen für Korea (KC), die Russische Föderation (GOST-R), Australien und Ozeanien (C’Tick), für maritime und Offshore-Anwendungen (GL) und einige mehr. Die Akzeptanz der Produkte und der zugehörigen Zertifikate ist damit international gegeben – für Anwender und Exporteure entfallen also komplizierte und zeitraubende Abklärungsaufwände mit lokalen Zertifizierungsorganen. Für den lokalen Support bietet B&R ein international agierendes Service-Netzwerk mit weltweit 175 technischen Büros in mehr als 60 Ländern. Die Experten vor Ort unterstützen nicht nur in technischen Fragen, sondern sie bieten auch Applikationsunterstützung. Bei Bedarf fahren die Kollegen auch direkt an den Installationsort der Maschine oder Anlage und führen notwendige Service- und Reparaturarbeiten inklusive der Bereitstellung von Ersatzteilen durch.
Mandel (Schmersal): Der Wunsch nach möglichst weitgehender Unterstützung wird immer häufiger geäußert. Wir bieten unseren Kunden deshalb eine umfassende Beratung in der Konstruktionsphase. Das beginnt nicht erst bei der Konfiguration der Schutzeinrichtungen, sondern schon viel früher bei der optimalen Integration der Sicherheitsfunktionen in die Prozesse. Wenn man die Sicherheit derart in die Maschine ‚hineinkonstruiert‘, wird sich nicht nur deren Sicherheit erhöhen, sondern auch ihre Produktivität. Auch unser ‚Application Engineering‘, das heißt die kundenspezifische Anpassung der Software von Sicherheits-Schaltsystemen und -steuerungen, wird immer häufiger nachgefragt. Und bei nicht ganz so komplexen Systemen vereinfachen wir die Integration dadurch, dass wir vorkonfigurierte Software-Module bereitstellen, die der Anwender nur in wenigen Schritten an die Applikation anpassen muss. Der Einsatz von sicherheitsgerichteten Bussystemen trägt ebenfalls zur Reduzierung der Komplexität bei, ebenso die Nutzung von durchgängigen Systemen wie unserem Schmersal-System, das wir vor wenigen Monaten erstmals vorgestellt haben und jetzt am Markt einführen.
Mysliwiec (Siemens): Ein typisches Beispiel ist das Zusammenspiel von Laserscanner, Steuerungen und Antrieben. Eine erste Sicherheitsfunktion könnte im operativen Betrieb das Stillsetzen der Antriebe bewirken, etwa über ‚Safe Torque Off‘ abhängig vom Status eines vordefinierten Feldes im Laserscanner, welches durch den Maschinenbediener betreten wird. Eine zweite Sicherheitsfunktion könnte durch den Wartungselektriker mit entsprechenden Mitteln – etwa Schlüsselschalter oder Zustimmtaster – aktiviert werden. In dieser zweiten Funktion wird dann beim Betreten eines weiteren Feldes des Laserscanners der Antrieb in sicherer reduzierter Geschwindigkeit – Safe Limited Speed – betrieben. Auf diese Weise lassen sich unterschiedliche Sicherheitsfunktion von den gleichen SRP/CSen oder Teilsystemen bei Aktivieren der entsprechenden Teilfunktionen realisieren. Siemens unterstützt diese Ansätze durch die Integration in ein gemeinsames Engineering Tool. Der Anwender kann somit durch den Einsatz geeigneter Teilsysteme intelligente Sicherheitsfunktionen einsetzen, die verschiedene Bediensituationen der Anlage erlauben und dadurch die Notwendigkeit von Manipulationen überflüssig machen. Untermauert wird dieser Ansatz durch aktuelle Unfallanalysen des VDW und gefordert durch die Maschinenrichtlinie. Wir unterstützen die exportierenden Maschinen- und Anlagenbauer dabei über die Flexibilität unserer Systeme, die weltweit gültige ISO- oder IEC-Normen abdecken. Die Aufgaben des Maschinen- und Anlagenbauers werden damit auf die Erkennung der möglichen Risiken, die Auswahl geeigneter Teilsysteme und den Nachweis des korrekten Zusammenspiels dieser Teilsysteme reduziert.
Seng (Euchner): Durch den Einsatz von Sicherheitsschaltern beziehungsweise Sicherheitssystemen der neuesten Generation kann der Maschinenhersteller viel Zeit bei der Implementierung aber auch bei der Sicherheitsbetrachtung sparen. Bei Verwendung der Euchner-Produkte mit Transpondertechnologie wie CES, CET oder MGB, erhält er direkt einen Performance Level – in der Regel PLe – und den entsprechenden PFHd-Wert. Damit ist seine Sicherheitsberechnung für den sicherheitsgerichteten Teil der Anlage wesentlich vereinfacht. Auch bei der Implementierung dieser Systeme kann der Hersteller sehr viel Zeit sparen. Spezielle Ausführungen der oben genannten Systeme sind direkt über Kabel mit 5-poligen M12-Steckern an eine ET200pro anschließbar. Auch bei Verwendung anderer sicherer Steuerungen ist die Implementierung dank ähnlichem Verhalten der Schalter wie bei Lichtgittern überschaubar. Natürlich unterstützen wir den Anlagenbauer auch, wenn er die bewährte elektromechanische Sicherheitstechnik einsetzt. In diesem Fall bieten wir ihm die notwendigen sicherheitstechnischen Kennwerte in einem Dokument beziehungsweise direkt in einer Datenbank für die Berechnungssoftware Sistema an. Zusätzlich stellen wir Anschaltbeispiele beziehungsweise Verdrahtungsvorschläge für die entsprechenden Schalter bereit. Durch die umfangreiche Dokumentation zu den einzelnen Sicherheitsprodukten – in einer Vielzahl von Sprachen, sei es Russisch oder Chinesisch – wird ebenfalls ein Beitrag dazu geleistet, den Aufwand des Maschinenherstellers soweit als möglich zu minimieren.
Stark (Pilz): Ein weltweit agierender Maschinen- und Anlagenbauer muss allein schon aus wirtschaftlichen Gründen versuchen, mit wenigen Standards die unterschiedlichen Anforderungen der Märkte so weit wie möglich abzudecken. Das gilt ganz besonders für den Bereich der Maschinensicherheit. Pilz verfügt dank seiner kontinuierlichen Mitarbeit in den Normengremien der jeweiligen Länder, der Vielzahl an umgesetzten Applikationen in unterschiedlichen Branchen und durch den regelmäßigen weltweiten Informationsaustausch innerhalb der eigenen Organisation über ein umfassendes Know-how. Das geben wir an unsere Kunden als Dienstleistung in Form von Beratung, Engineering und Schulungen weiter. Zudem verfolgen wir bei unseren Produkten die Strategie der sogenannten ‚Weltprodukte‘ – das heißt, dass diese alle notwendigen Zulassungen für den Einsatz weltweit abdecken. So stellen wir sicher, dass der Anwender mit möglichst minimalem Aufwand seine Anwendung umsetzen kann.
elektro Automation: Maschinensicherheit (Safety) setzt natürlich bereits eine Zugriffskontrolle (Security) voraus. Dennoch die Frage: In welchem Zusammenhang stehen beide Aspekte? Wie lässt sich eine sichere Ethernet-Kommunikation gewährleisten?
Kaufleitner (B&R): Safety und Security werden prinzipiell getrennt betrachtet. Das gründet vor allem auf den stark unterschiedlichen Erwartungen. Während Safety-Mechanismen auf der Basis stabiler, bewährter Algorithmen beruhen und nach ihrer Einführung zertifiziert und damit einzementiert sind, müssen sich Security-Maßnahmen ständig neuen Bedrohungsszenarien stellen und damit beinahe tagesaktuell angepasst werden. Für die sichere Ethernet-Kommunikation im Sinne von Safety setzt B&R – wie schon erwähnt – auf openSafety. Für die Absicherung der Daten im Sinne von Security muss der Anwender dem Stand der Technik entsprechende Security-Technologien installieren.
Mandel (Schmersal): Eine sichere Ethernet-Kommunikation ist bei den Safety-Feldbussen bereits möglich. Aus unserer Sicht ist das Thema Security vor allem mit Blick auf zwei Aspekte wichtig: Zum einen muss im Bereich der Programmierung die vom Anwender erstellte Software – das heißt der Programmablauf – gegen Manipulation geschützt sein. Eine Veränderung der unkritischen Prozessparameter kann und soll möglich sein, ein Zugriff auf die Sicherheitsprogramme hingegen nicht. Dies liegt aber in der Hand des Anlagenbetreibers, weil nur er entscheiden kann, welche Prozessparameter unkritisch sind. Der Rest des Systems muss sicher geschützt sein und darf auf einfachem Wege nicht editierbar sein. Zum anderen gilt Gleiches für Zugriffe auf die Anlage von außen, etwa über Ethernet-basierte Systeme für das Fernwirken und Fernwarten. Diese Funktionen könnten zu einem Sicherheitsrisiko in Safety-Applikationen führen, wenn sie in falsche Hände gerieten. Auch hier müssen sich Anlagenbauer und vor allem Anwender sehr genau fragen, welche Möglichkeiten ein System bietet und welche davon zugelassen werden sollen. In der Praxis empfiehlt sich hier eine genaue Definition von Freigabeprozessen und damit gegebenenfalls eine gezielte Einschränkung der Funktionalität im Rahmen von definierten Freigaben. Grundsätzlich ist der Zusammenhang von Safety und Security ein wichtiges Thema, das in Zukunft nochmals größere Bedeutung erlangen wird und mit dem sich die Forschung & Entwicklung der Schmersal Gruppe schon seit geraumer Zeit befasst.
Mysliwiec (Siemens): Diese Frage ist berechtigt und wird aktuell in den Expertenkreisen ausführlich diskutiert. Die Funktionale Sicherheit betrifft sowohl den Maschinenbau als auch die Prozessindustrie; Kernpunkte der zugehörigen Normen – basierend auf die IEC 61508 – sind entsprechend gute organisatorische Maßnahmen und der Einsatz qualifizierter Komponenten bezüglich systematischer sowie zufälliger Ausfälle. Die Risikoanalyse erfolgt meist durch den Maschinenhersteller, der auch für die Auswahl geeigneter Maßnahmen verantwortlich ist. Bei dem Security-Aspekt ist aber zuerst der Anlagenbetreiber gefordert, eine eigene Betrachtung etwa nach IEC 62443 zu machen, um dann den notwendigen Schutz zu erreichen. So hat etwa das Fachgremium IEC TC 44 bei seiner letzten Sitzung den Beschluss gefasst, dass beide Punkte getrennt zu betrachten sind. Demnach müssen Komponentenhersteller dem Endanwender genügend Informationen über die gerätespezifischen Schnittstellen zur Verfügung stellen, damit dieser in der Lage ist, mögliche Angriffe und deren Konsequenzen zu analysieren und daraus die notwendigen Schutzmaßnahmen zu definieren, falls die in den Schnittstellen bereits eingebauten Mechanismen nicht ausreichend sein sollten. Nach dieser Vorgabe sollten die Aufgaben klar zuzuordnen sein – und bewirken, dass nur die Security-Maßnahmen eingesetzt werden, die der Endanwender tatsächlich benötigt. Dabei sind die möglichen Kommunikationswege via USB, Ethernet oder WLAN natürlich zu berücksichtigen. Maßnahmen können in den Geräten selbst oder auch in externen Geräten wie Netzwerkkomponenten aktiviert werden.
Seng (Euchner): Bereits während der Entwicklung von Ethernet-basierten Produkten wird bei uns im Haus eine Prüfung auf offene Ports oder Sicherheitslücken durchgeführt. Die Scantools dazu entwickeln sich jedoch ständig weiter, so dass diese Arbeit eigentlich nie ganz abgeschlossen ist. Teilweise kommen auch Forderungen dazu, bestimmte Ports vollständig zu schließen und die zugehörigen Protokolle nicht zu nutzen. Dies setzen wir natürlich für unsere Kunden um.
Stark (Pilz): Unter Safety wird umgangssprachlich die ‚Betriebssicherheit‘ und unter Security die ‚Sicherheit vor Angriffen‘ verstanden. Der eher historisch geprägte Schutz im Bereich von Sicherheitsapplikationen besteht in vielfältigen proprietären Produkten und Lösungen. Diese weisen zudem eine geringe Zahl an Schnittstellen und Parametern auf, so dass die Eingriffsmöglichkeiten möglichst gering ausfallen. Mit der Verschmelzung von Standard- und Sicherheitstechnik sowie der Nutzung von Ethernet-Technik sind hier neue Herausforderungen entstanden. Für die Umsetzung von Safety-Aspekten bei der Ethernet-Kommunikation gibt es eine Vielzahl an technischen Lösungen, die als sogenannte Safety-Profile die Standard-Kommunikation erweitern. Pilz hat mit dem Realtime-Ethernet SafetyNETp ein besonders effizientes Protokoll für unterschiedlichste Anwendungen auf dem Markt etabliert. Damit gelten für die Anwendung in Applikationen mindestens die gleichen Anforderungen wie für die der Automatisierung; und es kommen dieselben Produkte und Technologien zum Einsatz. Der weit wichtigere Aspekt der Sicherheit ist aber, dass der jeweilige Anwender – oder Programmierer – über ein umfassendes Wissen hinsichtlich Sicherheit und der dazugehörigen Prozesse verfügen muss, von der Risikoanalyse über das Safety-Konzept bis hin zur Validierung. Nur auf diese Weise kann er seine Aufgaben dem Schutzziel entsprechend ausführen.
elektro Automation: Können Sie sich die Einbindung von Sicherheitslösungen und -steuerungen auch in ein webbasiertes Industrie-4.0-Konzept vorstellen? Welche Aspekte müssten dabei besonders berücksichtigt werden?
Kaufleitner (B&R): Selbstverständlich – ohne intensiven Austausch sicherheitsgerichteter Daten zwischen den autonomen Einheiten eines Industrie-4.0-Umfeldes wird es gar nicht gehen. Nur so ist es möglich, zum Beispiel für den gesamten Produktionsverbund synchron einen sicheren Beobachtungsmodus zu aktivieren. In diesem Modus wird jede autonome Einheit für sich die richtige Sicherheitsanforderung wie sichere Drehrichtung von rotierenden Achsen oder sicher begrenzte Positionen für Linearachsen aktivieren. In der OMAC – Organization for Machine Automation and Control – befasst sich genau aus diesem Grund eine Arbeitsgruppe mit einem maschinenübergreifenden Kommunikationsprofil auf Basis eines standardisierten offenen Safety-Protokolls. B&R-Spezialisten sind in diesem Gremium aktiv vertreten.
Mandel (Schmersal): Wenn die Vorstellungen Wirklichkeit werden, die man derzeit unter dem Begriff ‚Industrie 4.0‘ diskutiert, wird auch die Maschinensicherheit künftig dezentralisiert werden. Denkbar sind hier Konzepte, bei denen das jeweilige Werkstück auch Träger der sicherheitsgerichteten Informationen für die einzelnen Bearbeitungsschritte ist. An einem einfachen Beispiel erklärt: Das Rohr übermittelt der Biegemaschine dann drahtlos die Information, wie groß der Schwenkradius und damit der Gefahrenbereich beim Biegevorgang ist. Hier müssen natürlich die bekannten Grundprinzipien der Maschinensicherheit greifen – zuverlässige fehlersichere Informationsübertragung, redundante Informationswege und bei einem Fehler sofort Übergang in den sicheren Zustand. Das sind keine unlösbaren Fragen, aber es sind Grundlagen zu schaffen und viele Detailfragen zu beantworten – zum Beispiel bei der sicheren kabellosen Signalübertragung unter Industriebedingungen. Hier warten spannende Aufgaben auf die Entwickler. Wir können ein bisschen stolz darauf sein, dass wir schon vor mehr als fünfzehn Jahren eine sicherheitsgerichtete kartesische Überwachung von Roboterbewegungen im Raum entwickelt haben – eine wichtige Voraussetzung für die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ohne trennenden Schutzzaun. Diese neue Form der Kooperation – Kobot – setzt sich erst jetzt langsam durch. Auch sicherheitsgerichtete Funkstrecken sind ein Thema, mit dem wir uns seit Jahren befassen.
Mysliwiec (Siemens): Als weltweit einziger Anbieter einer kompletten Angebotspalette für Industrieautomatisierung und Industriesoftware, mit der sich heute die komplette Wertschöpfungskette industrieller Produktion abbilden lässt, ist Siemens prädestiniert für die Weiterentwicklung aller Technologien und Produkte, die dann erste Industrie-4.0-Konzepte und Applikationen hervorbringen wird. Dabei spielen Anwender- und Hersteller-übergreifende Verbände wie die Profibus-Nutzerorganisation PNO eine entscheidende Rolle, um die sich schnell entwickelnden IT-Technologien in für die Industrie nutzbare, stabile Standards umzusetzen. Bei der PNO können zum Beispiel Geräte unterschiedlicher Technologien sicherheitsgerichtet mit Hilfe des Profisafe-Profiles in einem Automatisierungsprojekt eingebunden werden. Dabei können gerätespezifische Tools von einen Engineering-Tool bedient werden. Der Anwender hat somit die Möglichkeit, von einer Station aus die Anlage komplett zu überwachen sowie notwendige Diagnose- oder Wartungseingriffe vorzunehmen. Weitere Technologie-Profile wie Profidrive oder Profienergy ermöglichen auf praktische Weise die Umsetzung der entsprechenden Konzepte in der Anlage. So entstehen nach und nach für den Anwender technologiespezifische, klar definierte funktionale Schnittstellen zwischen den verschiedenen Maschinenmodulen, die dann die Schritte zur Industrie 4.0 als normale Evolution erleichtern werden.
Seng (Euchner): Ja natürlich – wir liefern bereits heute sicherheitstechnische Geräte aus, die das Ethernet nutzen, somit also das Ethernet der Dinge verwenden. Die Einbindung erfolgt mit den bekannten sicheren Protokollen – wie beispielsweise Profisafe –, die es ja erlauben, als ‚Träger‘ fast jedes beliebige Medium zu nutzen. Somit rechnen wir hier für die Sicherheitstechnik nicht mit großen Änderungen, die auf uns zukommen. Jedoch wird sicherlich die Nachfrage nach diesen Produkten noch weiter ansteigen.
Stark (Pilz): Als Mitglied der Promotorengruppe ‚Sicherheit‘ der Deutschen Forschungsunion unterstützt Pilz die Bundesregierung bei ihrer High-tech-Strategie. Sicherheit gilt dort und insbesondere im Zukunftsprojekt Industrie 4.0 als erfolgskritischer Faktor. Wobei Sicherheit beide Aspekte umfasst – Safety, also Funktionale Sicherheit, und Security, also Integrität und Datensicherheit. Der Bereich Safety zeichnet sich bereits heute durch große Investitions- sowie Rechtssicherheit aus. Das liegt auch an der Ordnung durch Normen und Standards. So sind Gegebenheiten wie ein Safety Integrity Level klar definiert und eine Einteilung in Gefährdungsklassen und Risikoabschätzungen möglich. Für das Zusammenspiel von Safety und Security werden in Zukunft spezielle Indikatoren benötigt, etwa für die Standardisierung in der Kommunikationstechnik. Ganz wichtig wird es außerdem sein, bei der Entwicklung von Lösungen von Anfang an die Bedürfnisse des Anwenders zu berücksichtigen, zum Beispiel bei der Benutzerfreundlichkeit. Maschinenbauer, Automatisierer – aber auch Endkunden – müssen mit ihren Sicherheitsbedürfnissen wahrgenommen und neue Schutzziele, etwa für den Schutz von Produktionsdaten oder den Integritätsschutz, definiert werden. Mit der Erfahrung aus Maschinensicherheit und Automatisierung will Pilz diese wichtige Arbeit voranbringen. co
www.br-automation.com (Hannover Messe: 9-D28)
www.euchner.de (Hannover Messe: 9-D16)
www.pilz.com (Hannover Messe: 9-D17)

DIE EXPERTEN
  • Franz Kaufleitner, Product Manager Integrated Safety Technology, Bernecker + Rainer Industrie-Elektronik Ges.m.b.H. (B&R), Eggelsberg/Österreich
  • Michael Mandel, Leiter Konstruktion & Entwicklung, K. A. Schmersal GmbH & Co. KG, Wuppertal
  • Bernard Mysliwiec, Senior Safety Experte, Siemens-Division Industry Automation, Nürnberg
  • Daniel Seng, Leiter Produktmanagement Markets, Euchner GmbH + Co. KG, Leinfelden-Echterdingen
  • Klaus Stark, Leiter Vertrieb International, Pilz GmbH & Co. KG, Ostfildern
Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Videos

Hier finden Sie alle aktuellen Videos


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de