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Wie lernfähig sind Roboter?

Expertendiskussion: Mensch-Roboter-Kollaboration aus kommunikativer Sicht
Wie lernfähig sind Roboter?

Die Mensch-Technik-Interaktion in der Industrie 4.0 – insbesondere die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) – wird eine zunehmend wichtigere Rolle in der Produktion von morgen spielen. Im Vorfeld der Messe Automatica hat die elektro AUTOMATION daher Experten befragt, welche Anforderungen dabei im Bereich der Informationsverarbeitung und -bereitstellung eine Rolle spielen.

Der Autor:Johannes Gillar, freier Journalist, Leinfelden-Echterdingen, im Auftrag der elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Leistungsfähige Sensorik ist eines der Kernelemente der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK). Inwieweit lässt sich die MRK damit im Sinne der Industrie 4.0 realisieren, ohne zu detailliert exakte Einsatzszenarien vorzugeben? Oder anders formuliert: Wie „lernfähig“ sind solche Systeme heute schon?
Borkeloh (Kuka Systems): Ein wichtiger Aspekt der Industrie 4.0 ist die Möglichkeit, auch für sehr kleine Stückzahlen wirtschaftliche Automationslösungen zu finden. Diese müssen flexibel und anpassungsfähig sein, wenn sie wirtschaftlich einsetzbar sein sollen. Wir realisieren MRK im Sinne von Industrie 4.0 schon heute mit Systemen wie unserem Kuka Flex Fellow, der auf dem Leichtbauroboter LBR iiwa basiert. Diese Robotereinheit kann ortsflexibel je nach Bedarf manuell an verschiedene Einsatzorte gebracht werden. Dort kann der Mitarbeiter sie in kürzester Zeit durch Vormachen adaptieren, das heißt er fasst den Roboter an und führt ihn intuitiv, etwa um den Arbeitsplatz zu parametrieren. Aufgaben werden nicht mehr aus der Positionsgenauigkeit gelöst, sondern über die entsprechend geregelte Nachgiebigkeit. Für die Umsetzung der MRK bedeutet das: die Roboter werden sensitiv, sie können fühlen, sie erledigen Montagearbeiten mit haptischen Fähigkeiten, wie sie sonst nur der Mensch hat. Und sie können auf Gesten reagieren. Damit wird eine jahrzehntealte Vision umgesetzt, dass jeder einen Roboter bedienen und ihn an die Aufgaben anpassen kann.
Pomrehn (Robert Bosch): Roboter, die ohne Schutzzaun mit Menschen zusammenarbeiten, gelten als ein zentraler Schritt zur vernetzten Fabrik der Zukunft. Entfällt der Schutzzaun, kommt Sensoren eine tragende Rolle zu. Der APAS Assistant von Bosch etwa erkennt dank hochsensibler Sensorhaut ohne Berührung, wenn ein Mensch ihm zu nahe kommt, stoppt sofort die Arbeit und wartet, bis der Mitarbeiter den Gefahrenbereich wieder verlassen hat. Die deutsche Berufsgenossenschaft hat ihn als erstes Robotersystem für die Zusammenarbeit mit Menschen ohne Schutzzaun zertifiziert. Dabei sind die Roboter unserer APAS Family bewusst flexibel und „lernfähig“ ausgelegt. Unsere mobilen Produktionsassistenten können dank standardisiertem Bedienkonzept, Vernetzungsmöglichkeiten und Transportrollen ortsunabhängig und allein oder im Verbund eingesetzt werden. Ihre intuitiven Bedienoberflächen ermöglichen es Facharbeitern, sie für neue Tätigkeiten zu konfigurieren, ohne dass dafür Programmierkenntnisse nötig sind.
Tontsch (Yaskawa Europe): Aktuell geht die Tendenz dahin, die Programmierung zu vereinfachen, so dass ein Teachen des Roboters ohne Programmierkenntnisse möglich ist. Damit hält sich meist auch die Komplexität einer solchen Anwendung in Grenzen. Die Aufgabe der Sensorik im Roboter beschränkt sich deshalb prinzipiell darauf, den Roboter und die Anwendung an sich sicher zu machen, und liegt weniger darin, das System lernfähig zu machen.
Wischmann (VDI/VDE-IT): Die Sensorik hat insbesondere in wohldefinierten Umgebungen, wie sie in der industriellen Fertigung zu finden sind, einen sehr hohen technologischen Reifegrad erreicht. Das aktuelle Kernproblem besteht darin, die erfassten Sensordaten sinnvoll auszuwerten. Die F&E hat dabei in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt, die gilt es nun in die industrielle Praxis zu transferieren. In ersten Anwendungen gelingt es Robotern bereits, Aufgaben, wie zum Beispiel das Montieren von komplexen Getriebeeinheiten, zu übernehmen – solche Aufgaben also, die bislang nur Menschen bewerkstelligen konnten.
elektro AUTOMATION: Welche Möglichkeiten bieten sich bereits dem Menschen, mit dem Roboter zu kommunizieren? Sind Sprach- und Gestensteuerung schon industrietauglich?
Borkeloh (Kuka Systems): Absolut – unsere MRK-Systeme basierend auf dem sensitiven LBR iiwa sind bereits seit 2009 in der Automobilindustrie in Pilotprojekten im Einsatz. Sprachsteuerung spielt für uns dabei eine untergeordnete Rolle. Dem Roboter in der lauten Fabrikhalle nützen die Sprachbefehle wenig. Anders die Gestensteuerung. Durch die im LBR iiwa integrierte sichere Momentensensorik ergeben sich bei der MRK völlig neue Möglichkeiten der intuitiven Bedienerführung: Der Mensch kann durch einfache Gesten den Ablauf eines Prozesses situationsbedingt beeinflussen. Durch Berührung oder den Druck in eine gewünschte Richtung lässt sich der Programmablauf des Roboters durch Gestensteuerung beeinflussen. Der Bediener kann etwa verschiedene Teile anfordern, die der Roboter aus mehreren Werkstücklagern holt und verbaut. Somit lassen sich im Sinne der MRK Aufgaben zwischen Mensch und Maschine sinnvoll teilen, indem der Mensch die Aufgaben übernimmt, bei denen kognitive Fähigkeiten gefragt sind. Und der Roboter kann dem Werker beispielsweise Teile für eine Qualitätsprüfung in verschiedenen Ausrichtungen ergonomisch optimal anreichen. Das Weiterschalten erfolgt durch einfache Berührung des Roboters.
Pomrehn (Robert Bosch): Sprach- und Gestensteuerung, wie wir sie aus dem Umfeld von Smartphones kennen, halten auch in der Industrie Einzug. Allgemein lässt sich beobachten, dass Mitarbeiter den Bedienkomfort, den sie im privaten Umfeld gewohnt sind, auch im Berufsalltag nicht missen wollen. Der APAS Assistant von Bosch wird über ein mobiles Touchpad bedient. Die Bedienoberfläche ist dialoggesteuert. So können neue Arbeitspläne ohne Programmierkenntnisse konfiguriert werden. Wir beschäftigen uns aber auch mit weitergehenden Bedienkonzepten. So wird unsere APAS Workstation mit zusätzlichen interaktiven Systemen zur Mensch-Maschine-Interaktion ausgestattet sein. Dazu planen wir beispielsweise einen Projektor, der Grafiken und Bedienhinweise auf die Arbeitsfläche projiziert und ein Kamerasystem, dass erfolgreich abgeschlossene Teilaufgaben erkennt, sei es anhand der gefertigten Teile oder anhand von Gesten. Damit entstehen neue, interaktive Arbeitsplätze.
Tontsch (Yaskawa Europe): Insgesamt steht das Thema MRK noch ziemlich am Anfang. Es wurde gerade mal vor kurzem in der ISO/TS 15066 festgelegt, welche Sicherheitsstandards eingehalten werden müssen, wenn ein Roboter mit einem Menschen zusammenarbeitet. Was die Kommunikation angeht, wird vorerst hauptsächlich auf einfache HMIs gesetzt.
Wischmann (VDI/VDE-IT): Die neue Robotergeneration kann heute schon durch einfaches Vormachen, Ziehen oder Zeigen instruiert werden. Sprachsteuerung findet sich bereits ebenso in der industriellen Anwendung, allerdings sind die Kommandos in der Regel auf einfache Befehle beschränkt. Im Technologieprogramm Automatik für Industrie 4.0 des Bundeswirtschaftsministeriums wird beispielsweise die Entwicklung von fahrerlosen Transportfahrzeugen gefördert, die durch Sprache oder Gesten etwa Transportaufträge zugewiesen bekommen können. Das Umsetzen natürlicher menschlicher Sprachanweisungen in entsprechende Roboteraktionen stellt derzeit noch eine sehr große Herausforderung dar.
elektro AUTOMATION: Sehen Sie in absehbarer Zeit die Möglichkeit eines „einheitlichen“ Protokolls, mit dem Arbeitsaufträge dem Roboter übermittelt werden können, die dieser dann zusammen mit dem Menschen ausführen kann?
Borkeloh (Kuka Systems): Sensitive Roboter wie unser Kuka Flex Fellow reagieren auf Gesten und Berührungen – eine universelle Art, dem Roboter etwas beizubringen. Darüber hinaus arbeiten wir natürlich an System-Architekturen, bei der alle integrierten Steuerungen über eine gemeinsame Datenbasis und Infrastruktur verfügen und diese intelligent nutzen und teilen – auch mit anderen Robotern, die nicht von Kuka sind. Wenn wir es dann noch schaffen, die diversen Produktivsysteme mit flexiblen Schnittstellen durchgängig zu vernetzen und um IT-Technologien wie Cloud oder Big Data zu erweitern, ist der erste Schritt zur „Smart Factory“ getan.
Pomrehn (Robert Bosch): Eine Standardisierung in dieser Hinsicht ist sicher ein notwendiger Schritt, der auch kommen wird. Momentan aber sind ganz andere, die Arbeitssicherheit betreffende Standards in Arbeit, die die kollaborative Robotik selbst und die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen betreffen. Schaut man in die Praxis, so ist die kollaborative Robotik noch gar nicht in vollem Umfang in der industriellen Produktion angekommen und deren Einsatzmöglichkeiten sind noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Standardisierung auf solch hoher Ebene braucht daher sicher noch etwas Zeit. Die Systeme der APAS Family nutzen aber bereits jetzt eine einheitliche Software und kommunizieren mittels leistungsfähiger Protokolle. Bosch bietet eine ganze Reihe von Lösungen für die vernetzte Fabrik und sieht diese „Connected Shopfloor Solutions“ als Bindeglied für die Fabrik im Zeichen von Industrie 4.0.
Tontsch (Yaskawa Europe): Ich persönlich sehe diese noch nicht. Es wird doch gerade noch daran gearbeitet, ein einheitliches Protokoll für die Kommunikation der Komponenten einer Maschine untereinander zu finden beziehungsweise festzulegen. Stichwort OPC UA. Da kommt die Kommunikation zwischen Mensch und Roboter erst im nächsten Schritt. Es ist aber absehbar, dass Roboter einfache Aufgaben selbst erlernen können werden.
Wischmann (VDI/VDE-IT): Es wird nicht ein Standardprotokoll geben. Dennoch ist zu erwarten, dass Grundfertigkeiten von Robotern unabhängig von der Hardware vom Menschen abgerufen werden können. Vielversprechende Ansätze dafür finden sich insbesondere in der sogenannten Cloud-Robotik. Grundlage dafür ist eine hinreichende semantische Beschreibung von Roboterfähigkeiten, die in Ontologien hinterlegt wird. Eine einheitliche „Standard-Ontologie“ wäre wünschenswert, ist derzeit jedoch nicht abzusehen.
elektro AUTOMATION: Welche Rolle spielt umgekehrt die Kommunikation von Roboter zu Mensch?
Borkeloh (Kuka Systems): Der Roboter wird bei Industrie 4.0 die Schlüsselrolle spielen. Als das flexibelste Produktionselement sammelt er bereits heute die Daten in der Produktion und liefert sie an das IT-System – wo der Mensch sie nutzen kann, um Prozesse zu verbessern. Als Komponente der „Smart Factory“ ist ein sensitiver Roboter wie der LBR iiwa sogar in der Lage, von seinem menschlichen Kollegen zu lernen. Angebunden an die Cloud kann er die Ergebnisse seiner Arbeit selbstständig überprüfen, optimieren und dokumentieren. Die Rückmeldung, die der Roboter in den vernetzten Datentransfer – und damit auch an seine menschlichen Kollegen – gibt, sorgt zudem dafür, dass die Produktionsprozesse so transparent wie möglich bleiben. In den MRK-Applikationen erhält der LBR iiwa an seiner „Hand“ Displays, mit denen der Roboter mit dem Werker kommuniziert. Mittels Grafik und Farbumschlag können dem Werker neben dem LBR iiwa Statusinformation mitgeteilt werden.
Pomrehn (Robert Bosch): Mit jedem neuen Arbeitseinsatz reift auch das Zusammenspiel von Mensch und Roboter – „und dabei „lernen“ stets beide Seiten. Um nur ein Beispiel zu geben: Für uns ist der Einsatz der APAS Family auch in industriefernen Einrichtungen denkbar. Anfang des Jahres startete Bosch mit einer Reihe von Partnern das Projekt Aquias. Es untersucht, wie der APAS Assistant mit schwerbehinderten Menschen zusammenarbeiten kann, um ihnen auf diesem Weg einen vollwertigen Arbeitsplatz anbieten zu können. Aus dem mehrjährigen Projekt lassen sich Schlussfolgerungen darüber ziehen, wie die Schnittstellen zwischen Robotern und Menschen beschaffen sein müssen, damit auch Menschen mit Leistungseinschränkungen an attraktiver Arbeit teilhaben können. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit zwei Fraunhofer-Instituten statt und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Tontsch (Yaskawa Europe): Das Erledigen einer zugedachten Aufgabe ist erst einmal das beste Feedback, das ein Roboter geben kann. Aber auch die Kommunikationsform, dass der Mensch – durch akustische oder visuelle Kommunikation – aktiv werden muss, um dem Roboter den nächsten Arbeitsschritt zu ermöglichen, ist machbar. Für eine Kommunikation auf höherem Niveau müssen wir auch hier noch etwas Geduld mitbringen.
Wischmann (VDI/VDE-IT): Dieser Kanal ist ganz entscheidend und wurde bislang zu wenig beachtet. Wir sehen allerdings erste Roboter, die über Projektoren oder intelligente Bildschirme ihre Intentionen und Ziele direkt im Arbeitsbereich visualisieren können, und zwar so, dass sie intuitiv vom Menschen verstanden werden. So kann ihm vermittelt werden, warum der Roboter welche Aufgaben durchführt und wann er welche Unterstützung benötigt. Nur durch eine effektive bidirektionale Kommunikation wird eine echte Kooperation, anstelle der bisherigen reinen Interaktion, zwischen Mensch und Roboter möglich.

Die Experten

INFO

  • Henning Borkeloh, Bereichsleitung Advanced Technology Solutions bei der Kuka Systems GmbH in Augsburg
  • Dipl.-Ing. Wolfgang Pomrehn, Produktmanager APAS Family, bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart
  • Richard Tontsch, Manager Marketing, Robotics Division, bei der Yaskawa Europe GmbH in Allershausen
  • Dr. Steffen Wischmann, Wissenschaftlicher Berater im Bereich „Gesellschaft und Innovation“ bei der VDI/VDE-IT GmbH in Berlin
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