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Karsten Schneider zur Bedeutung von OPC UA, TSN, SPE und IO-Link

Karsten Schneider zur Bedeutung von OPC UA, TSN, SPE und IO-Link
Mit OPC UA TSN wird der Datenverkehr konvergent laufen

Die industrielle Kommunikation befindet sich im Wandel. OPC UA und TSN werden heute als Ansatz gesehen, um eine Vereinheitlichung des Datenverkehrs in der Automatisierung und so die durchgängige Digitalisierung zu ermöglichen. Karsten Schneider, Vorstandssprecher von PNO und PI erläutert, welche Bedeutung die aktuell diskutierten Technologien für die weitere Entwicklung von Profinet haben.

 

Interview: Andreas Gees, stv. Chefredakteur KEM Konstruktion

KEM Konstruktion: Zur SPS 2016 fiel gewissermaßen der Startschuss zur Nutzung von TSN in der Automatisierung mit dem Ziel, echten Determinismus zu erreichen. Seit dieser Zeit laufen die verschiedensten Entwicklungen. Wie fällt Ihr Resümee aus, welche Erwartungen hat die PNO gehabt und welche Bedeutung hat TSN heute für Profinet?

Karsten Schneider (PI/PNO): Die Entwicklung zeigt ganz deutlich, wie aufwändig es ist, neue Technologien in den Markt zu bringen. Das gilt auch für TSN, das sich nicht einfach innerhalb von ein bis zwei Jahren einführen lässt. Es ist auch weiterhin sehr viel Entwicklungsarbeit zu leisten, auch weil es bewährte Technologien gibt, die wie Profinet den größten Teil des Funktionsumfangs bereits abdecken. Eine neue Technologie aber muß mehr Funktionalität bieten. Mit TSN sehe ich vor allem die Chance, eine einheitliche Basis-Ethernet-Technologie im Markt bzw. in der Industrie zu etablieren. Es reicht nicht, eine Spezifikation zu schreiben, die festlegt, welche Funktionalitäten man gerne hätte. Da sind weiterhin viele Fragen offen, etwa wie werden solche Netzwerke gestaltet, sodass die Konformität gewährleistet ist? Dabei sollen sich alle Geräte im Netzwerk wie gewünscht verhalten, unabhängig vom Hersteller. Die Automatisierungsanbieter müssen entsprechende Entwicklungskits anbieten, und es werden Guidelines benötigt, wie die Technik zu installieren ist. Auch die Engineering-Tools der Hersteller müssen die Technologie unterstützen; die Projektierung ist eine der spannendsten Aufgaben. Dafür wird noch einige Zeit erforderlich sein, um all diese Aufgaben zu lösen, bevor die Technik dann aktiv genutzt werden kann. Die Erwartungen sind hoch, aber wir werden ein industrieweit einheitliches Echtzeit-Netzwerk schaffen.

KEM Konstruktion: Wettbewerber haben Versuche zur Echtzeitfähigkeit durchgeführt und sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Erfüllt TSN die hohen Erwartungen an die Echtzeitfähigkeit oder behält Profinet IRT beispielsweise in der Antriebstechnik weiter seine Bedeutung?

Schneider: Profinet IRT bietet vor allem den Vorteil, als Lösung verfügbar zu sein. Profinet ist eine valide Technik, für die Produkte verfügbar sind, die eingesetzt wird und auch in Zukunft ihre Bedeutung behält, eben weil sie auf breiter Basis von vielen Herstellern unterstützt wird. Echtzeitanforderungen hängen immer auch von der Anwendung ab. Oft werden nur robuste Lösungen gefordert. Diese Robustheit ist ein anderer Aspekt von Echtzeit, denn ich muss sicherstellen, dass die Protokolle zuverlässig übertragen werden. Nur die Motion-Control-Anwendungen zeichnen sich durch wirklich hohe Echtzeitanforderungen aus. Das gilt auch für Messtechnikanwendungen, die höhere Ansprüche an die Bandbreite stellen. Etwa 80 und 90 % aller Anwendung benötigen keine harte Echtzeitfähigkeit. Unser Ziel mit Profinet ist es aber selbstverständlich, alle Anwendungen zu bedienen. Wir legen unsere Systeme deshalb so aus, dass wir alle Anforderungen erfüllen können. Das erfolgt heute mit Profinet IRT. Aber auch wir haben die Vision, ein einheitliches Echtzeitsystem für die Industrie einzuführen, auch im Zusammenspiel mit OPC. Dafür bietet sich TSN an. Die Anwender- Schnittstelle bleibt dann unverändert. Bezüglich Interoperabilität und Echtzeit ist Profinet IRT heute sehr gut gerüstet und deckt die meisten Anwendungen ab.

KEM Konstruktion: Nachdem es bei Feldbussen und Industrial-Ethernet-Systemen viele verschiedene Lösungen gibt, wird OPC UA over TSN als Ansatz gesehen, um letztendlich die Zahl proprietärer Standards zu reduzieren. Die OPC Foundation hat mit den OPC UA FX (Field eXchange) Spezifikationen definiert. Was beinhalten diese und welche Erwartungen hat die PI/PNO daran gestellt?

Schneider: Wenn ich eine Technologie anbiete, muß ich mir auch immer über die Migration Gedanken machen. Profibus ist seit vielen Jahren im Markt, und noch heute werden Profibus-Produkte eingesetzt. Auch Profinet als Nachfolgelösung macht es erforderlich, über die nächsten Technologieschritte nachzudenken. Deshalb haben wir bei der PI/PNO frühzeitig die Zusammenarbeit mit der OPC Foundation gesucht. Unser Ziel ist, für Profinet-Anwender einen reibungslosen Übergang in die digitale Transformation zu ermöglichen. Weil OPC und TSN noch nicht Realität sind, muss auch die aktuelle Lösung zukunftssicher sein. Deswegen arbeiten wir beispielsweise bei der Controller-zu-Controller-Kommunikation mit der OPC Foundation zusammen. Für diese Applikation werden wir als PNO keine eigenen Lösungen entwickeln, gerade weil wir hier die Zukunft von OPC UA TSN sehen. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Lösungen kompatibel sind. Schon heute kann ich beispielsweise parallel zu Profinet eine vertikale Kommunikation über OPC UA auf demselben Netzwerk realisieren. Da werden wir TSN benötigen, damit der Datenverkehr im Netzwerk zeitoptimiert, genauer gesagt, konvergent, abläuft.

KEM Konstruktion: Bedeutung haben OPC UA und TSN bisher für die Controller-zu-Controller-Kommunikation erlangt. Was erwarten Sie von den weiteren Entwicklungen, beispielsweise auch bei Safety? Wieweit ist die Nutzung in der Feldebene möglich?

Schneider: Die Controller-zu-Controller-Kommunikation ist ein spannendes Feld, weil es dafür heute noch keine praktikable, herstellerübergreifende Lösung gibt. Die Steuerungshersteller unterstützen ihr bevorzugtes System. Baue ich eine Produktionslinie mit Steuerungen verschiedener Hersteller auf, muss ich heute sehr viel Zeit investieren, um die Kommunikation untereinander zu ermöglichen. Da bietet sich mit OPC UA eine ideale Lösung an. Die Spezifikation mit OPC UA FX für die Controller-zu-Controller-Kommunikation ist freigegeben, die Controller-zu-Device-Kommunikation wird jedoch noch einige Zeit benötigen. Für das Thema Safety haben wir ebenfalls die erste Spezifikation veröffentlicht. Auch dazu setzt die PNO auf die Lösungen der OPC Foundation. Auf den nächsten Messen werden dazu erste Prototypen und Demonstratoren gezeigt. Entstanden ist eine Kommunikation zwischen Safety-Steuerungen auf der Basis von Profisafe.

KEM Konstruktion: Können Sie etwas zum IEC/IEEE 60802 sagen? Gearbeitet wird an einem gemeinsamen Standard bzw. einem TSN-Profil für Industrial Automation?

Schneider: In der Norm wird prinzipiell der fehlende Baustein beschrieben, um ein TSN-Netz industrieweit einheitlich aufzubauen. TSN beinhaltet verschiedene Funktionen, von denen in der Automatisierung nur wenige für die Anwendungen benötigt werden. TSN soll auch im Automobil oder beim Video-Broadcasting eingesetzt werden. Dabei hat jede Anwendung andere Anforderungen. Mit einem Industrieprofil wollen wir innerhalb der Factory- und Prozess-Automation sowie für Motion-Control-Anwendung den Einsatz von TSN quasi standardisieren. Wir möchten festlegen, welche TSN-Komponenten für die Industrie verpflichtend und welche optional sind. Nur so können wir sicherstellen, dass wir ein interoperables System realisieren, auf dem wir Protokolle wie Profinet oder andere einheitlich nutzen können. Mit der IEC/IEEE 60802 als internationalem Standard ist ein Satz von TSN-Features festgelegt, der von allen genutzt werden kann.

KEM Konstruktion: Über Single Pair Ethernet wird schon seit einiger Zeit diskutiert, wie steht es um die Akzeptanz im Markt? Um SPE in der Praxis einzuführen, muss für die Anwender ein Mehrwert erkennbar sein. Ist dieser Mehrwert bei Profinet gegeben?

Schneider: Den Mehrwert von Single Pair Ethernet (SPE) sehe ich auf jeden Fall, und mit dem Advanced Physical Layer (APL) basierend auf SPE wird das auch ganz deutlich. Es geht darum, mit zwei Adern ein Ethernetsystem aufzubauen, für das ich heute vier oder acht Drähte benötige. Das ist schon beim Handling ein Riesenvorteil. Auch der Kostenfaktor kann dabei eine Rolle spielen. Wir arbeiten bei der PNO daran, wie wir Single Pair Internet einsetzen können und wo sich für den Anwender Vorteile ergeben. Über das Szenario APL hinaus möchten wir SPE selbstverständlich auch im Fabrikumfeld nutzen. Da zeichnen sich verschiedene Use-Cases ab, zum Beispiel zur Verdrahtung innerhalb des Schaltschranks oder innerhalb einer Maschine. Wir prüfen, für welchen Use-Case welche Eigenschaften benötigt werden. Daran wird in der PNO zurzeit intensiv gearbeitet.

KEM Konstruktion: Die Prozessindustrie ist mit APL ein Schritt weiter. Erste Geräte sind verfügbar und die Hersteller haben konkrete Roadmaps veröffentlicht. Bei BASF läuft ein Projekt auf der Basis von Profinet bis zur Feldebene. Aber worin liegt die Bedeutung von SPE für die Fabrikautomation?

Schneider: Zu APL noch abschließend: Es freut mich wirklich, dass wir nach drei Jahren das Projekt soweit gebracht haben. Wir haben es geschafft, uns in Kooperation verschiedener Organisationen und Hersteller auf eine gemeinsame Technologie zu einigen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Hersteller werden für eine Technologie nur dann Produkte anbieten, wenn sie das Vertrauen haben, dass ein gemeinsamer Standard daraus entsteht. Bei den Use-Cases in der Factory Automation sehen wir aktuell die Sensor- bzw. Maschinenverdrahtung. IO-Link ist dabei sicherlich ebenfalls ein spannender Use-Case. Doch für Single Pair Internet gibt es viele Anwendungsfälle. Bei der Verdrahtung von Maschinen in einer großen Halle beispielsweise ist eine statische Ethernet-Verkabelung kaum hilfreich. Sind Änderungen notwendig, bietet SPE deutlich mehr Flexibilität. Der Gewinn liegt also vor allem in der Verdrahtung der Sensor-Aktor-Ebene.

KEM Konstruktion: Was fehlt innerhalb des SPE-Ökosystems, damit die Technologie schnell den Weg in die Praxis findet? Kritiker bemängeln auch die Bereitschaft der Feldbus-Organisationen sowie großer Unternehmen, einen der verschiedenen Steckverbinder-Ansätze zu unterstützen?

Schneider: Für den Markt wäre das auf jeden Fall besser, doch leider ist das nicht ganz so einfach. Auch den Frust kann ich verstehen und den Wunsch, dass eine Organisation wie die PNO darauf Einfluss nehmen sollte. Das tun wir, soweit wir das dürfen. Unser erklärtes Ziel ist es, die Interoperabilität beim Anwender sicherzustellen. Daher möchte ich den berechtigten Frust weiter an die entsprechenden Unternehmen in den Konsortien geben. Da zeigt sich für mich leider die Feldbusdenke, deren Zeit eigentlich vorbei sein sollte. Meine Erwartung ist hier ganz klar auch an die Hersteller von Steckverbindern gerichtet. Wenn sie an einer Industrie-Lösung interessiert sind, dann mögen sie doch bitte zusammenarbeiten. Wir sind als PNO gerne bereit, diesen Prozess zu moderieren. Letztendlich bekommen wir nur so eine Lösung, die sich als Industriestandard durchsetzt. Ziel ist, zu einer Lösung zu kommen, wir müssen dabei aber immer auch den Wettbewerb im Auge behalten. Ich bin sicher, wir bekommen das hin.

KEM Konstruktion: War IO-Link in der Vergangenheit vor allem ein Werkzeug, um Sensoren zu parametrieren, bietet es heute die Möglichkeit, eine Vielzahl zusätzlicher Daten aus den Feldgeräten zu übertragen. Mit IO-Link+ soll das Protokoll über SPE übertragen werden. Worin besteht der Charme dieses Ansatzes?

Schneider: Da gibt es zwei Aspekte. Schon heute ist es einfach möglich, IO-Link mit dem Profinet-Protokoll zu kombinieren. Dazu gibt es Spezifikationen, wie IO-Link als Protokoll in Profinet integriert wird. Es entsteht eine transparente, durchgängige Lösung und IO-Link kann ganz einfach an eine Profinet-SPS angeschlossen werden. Eine Migration bzw. Erweiterung ist mit IO-Link+ auf Single Pair Ethernet möglich. Die Idee dahinter ist, die Beschränkungen von IO-Link aufzuheben. Die physikalische Konstruktion basiert bisher auf den drei Leitungen sowie der begrenzten Übertragungsgeschwindigkeit und Leitungslänge. Mit SPE ist eine Technologie verfügbar, die international standardisiert mehr Bandbreite und längere Reichweiten bietet. Damit lassen sich neue Applikationsfelder für IO-Link erschließen. Mehr Reichweite und Bandbreite auf der Basis eines Standards werden außerdem aufgrund wachsender Stückzahlen zu geringeren Kosten führen. So liefert IO-Link+ einen weiteren wichtigen Baustein für die digitale Transformation, weil es die digitalen Informationen vom Sensor nun schneller und nahtlos über die gesamte Kette vom Sensor bis in die Cloud verfügbar macht.

KEM Konstruktion: Um IO-Link-Komponenten anzusprechen, ist ein Master entweder in der Feldbusbox oder der SPS erforderlich. Wie würde der Aufbau eines SPE-Netzes bzw. die Integration in ein Profinet-Netzwerk aussehen?

Schneider: Die Topologie wird sich dabei nicht ändern. Zwischen IO-Link-Master und -Device wird auch zukünftig eine direkte Verbindung bestehen. Der IO-Link-Master übernimmt die Kommunikation mit dem Feldbus-Protokoll. Für Profinet ist eine Spezifikation verfügbar, die herstellerübergreifend angewendet wird, sodass sich an der Methodik nichts geändert hat. Zum Einsatz kommt lediglich ein anderes physikalisches Übertragungsmedium, dessen Vorteile die größere Reichweite und die höhere Geschwindigkeit sind. Es geht nicht darum, ringförmige IO-Link-Netzwerke aufzubauen, IO-Link bleibt eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Letztendlich ist IO-Link+ ein Ansatz, um das bewährte Protokoll auf eine leistungsfähigere Physik zu übertragen.

KEM Konstruktion: Gibt es weitere Themen, mit denen sich die PNO aktuell beschäftigt?

Schneider: Selbstverständlich nehmen wir immer auch weitere Themen in die Arbeit der Organisation auf. Neben dem Standard Robot Command Interface ist es das Thema MTP. Dieses Konzept kommt aus der Prozesstechnik und soll die Modularisierung prozesstechnischer Anlagen unterstützen. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass der Ansatz auch in der Fabrikautomation Bedeutung erlangen wird.

www.profibus.com


Globales Netzwerk

Die Profibus Nutzerorganisation e.V. (PNO) hat es sich zum Ziel gesetzt, die technische Weiterentwicklung sowie die internationale Durchsetzung dieser offenen Technologien zu fördern. Dieses Ziel versucht die PNO im Verbund mit 24 weiteren regionalen Vertretungen (RPA) zu erreichen, die Mitglieder im internationalen Dachverband Profibus & Profinet International (PI) sind. Dieses globale Netzwerk vereinigt 1700 Anbieter, Entwickler, Systemintegratoren und Anwender, deren gemeinsame Interessen die Weiterentwicklung der Technologie sind.

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