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„Industrie 4.0 beeinflusst unser Portfolio”

Im Interview: Georg Stawowy, Chief Technical Officer, Lapp Holding AG
„Industrie 4.0 beeinflusst unser Portfolio”

Ende 2013 besetzte die Stuttgarter Lapp Gruppe die neue Position des Chief Technical Officer (CTO) mit Georg Stawowy, der unter anderem die kontinuierliche Optimierung aller Produktionsprozesse auf Basis des Lapp Operation Systems (LOS) in den weltweit 18 Werken vorantreiben soll. Mit dem CTO sprach die elektro AUTOMATION über die Anforderungen der Kabelfertigung und Potenziale von Industrie 4.0.

Das Interview führte Michael Corban, Chefredakteur elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Herr Stawowy, mit dem Lapp Operation System oder kurz LOS soll ja die Fertigung an den weltweit 18 Standorten von Lapp optimiert werden. Was steht hinter dem LOS?
Stawowy: Das ist unser Produktionssystem, um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess sicherzustellen, angelehnt an das Toyota Production System. Hier geht es zunächst einmal darum, alle KVP-Tätigkeiten in einem einheitlichen Rahmen zu planen – bis hin zur Feinplanung, wann Kaizen-Tätigkeiten durchgeführt werden sollen und dem Nachhalten der Ergebnisse. Wir legen sehr viel Wert darauf, dass unabhängig von den Inhalten sichergestellt ist, dass die Mitarbeiter zusammenarbeiten und die Ergebnisse auch genutzt werden. Das System ist etabliert und funktioniert sehr gut, zumal dies in Europa auch in administrativen Bereichen umgesetzt wird. Nur so lassen sich ja Erfahrungen aus dem Feld sinnvoll nutzen. Die nächste Evolutionsstufe ist nun, dass wir auch die KVP-Inhalte stärker aufeinander abstimmen. Konkret: Beherrscht ein Standort das Thema SMED – also den schnellen Werkzeugwechsel, Single Minute Exchange of Die – sehr gut, wollen wir dieses Prozess-Know-how natürlich auch an anderen Standorten nutzen.
elektro AUTOMATION: Welches Potenzial sehen Sie in diesem Zusammenhang in Industrie-4.0-Konzepten?
Stawowy: Grundsätzlich sehe ich zwei wesentliche Potenziale: Erstens die Verknüpfung von ERP-Systemen und Betriebsdatenerfassung. Das heißt, wir vernetzen die Office-Ebene mit der Fabrik. Das ERP-System kommuniziert direkt mit der Produktion, so dass im Prinzip der Kundenbetreuer direkt die Produktion des gewünschten Produktes starten kann. Zweitens sehe ich Potenzial in der Vernetzung der logistischen Kette. Die Idee, sich mit Kunden und Lieferanten stärker zu vernetzen, um die Produktionsplanung zu verbessern – bis hin zu intelligenten Lagersystemen und der automatisch ausgelösten Nachbestellung – ist sicher naheliegend. In der Summe steigen damit die Möglichkeiten, die Produktionsplanung zu steuern und zu koordinieren. Für uns könnte das beispielsweise bedeuten, dass wir unsere Fertigungskapazitäten für die klassische Ölflex, die ja weltweit an mehreren Standorten produziert wird, besser aufeinander abstimmen und damit noch besser nutzen können. Auch IT-seitige Konzepte – etwa bei Eingang besonders eiliger Kundenaufträge automatisiert bei Mitarbeitern Sonderschichten anzufragen – halte ich für interessant. Im Gegensatz dazu sehe ich allerdings in unserer Kabelproduktion kurzfristig eher ein geringeres Potenzial, wie uns Industrie 4.0 einen Vorteil bringen könnte.
elektro AUTOMATION: Der Vorteil könnte ja darin bestehen, dass sich abhängig von der Auftragssituation verschiedene Maschinen nutzen lassen, um Kapazitäten auszugleichen?
Stawowy: Das ist ein sehr charmanter Gedanke, der sich aber heute noch nicht wirtschaftlich umsetzen lässt. Vernetzen wir uns einerseits intern und gleichzeitig mit den Kunden, schaffen wir sozusagen ein durchgängiges vertikales und horizontales Netzwerk. In der extremsten Ausprägung würde der Kunde dann eine Bestellung per EDI auslösen und unser Netzwerk würde anhand hinterlegter Informationen zu Kapazität, Auslastung und Prozessdaten selbstständig eine Empfehlung ausgeben, an welchem Standort der Auftrag ausgeführt werden kann. Diese sicher sehr ferne Vision ist als Leitgedanke interessant, würde aber voraussetzen, dass wir die Fertigungsabläufe zu einem sehr hohen Grad standardisieren und automatisieren. Daran sind wir grundsätzlich natürlich interessiert. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass an dieser Stelle die Erfahrung der einzelnen Mitarbeiter eine entscheidende Rolle spielt, die maschinenspezifisch Prozesse justieren können – bildlich gesprochen per ‚Hand auflegen‘. Das lässt sich in der Kabelproduktion nicht sinnvoll automatisieren, denn optische Qualitätsüberwachungssysteme können nicht genau genug unterscheiden, was wirklich ein Qualitätsproblem ist und was nicht – und können dementsprechend auch nicht sinnvoll gegensteuern.
elektro AUTOMATION: Könnten Sie diesen Punkt genauer erläutern?
Stawowy: Bei kontinuierlichen qualitativen Merkmalen wird Qualität über Bereiche in einem Spektrum definiert, beispielsweise bei der Oberflächengüte oder Farbe; das erschwert das Gegensteuern. Im Gegensatz dazu geht es bei diskreten Systemen darum, ob ein bestimmtes Merkmal vorhanden ist oder nicht. Zudem lassen sich bei Stückgut Teile bei Bedarf einfach mehrfach durch die Qualitätskontrolle schicken; auch das geht bei einem Kabel nicht! Hier müsste man die Anlage anhalten, was immer zu einem erheblichen Ausschuss führt. Mit Blick auf die angestrebte Standardisierung sprechen aber vor allem die recht langen Investitionszyklen beim Maschinenpark gegen einen schnellen Nutzen. Denn eine weitere Voraussetzung wäre, dass auch die Produktionsanlagen in einem hohen Maße standardisiert sind. Wenn wir aber heute einen Standard setzen, dann ist der vermutlich veraltet und es gibt schon wieder ganz neue Ansätze, bis wir mit der Standardisierung aller Produktionsstätten fertig sind.
elektro AUTOMATION: Die Lapp Gruppe beteiligt sich trotzdem an mehreren Forschungsprojekten im Zusammenhang mit Industrie 4.0. Was ist der Grund dafür?
Stawowy: Als Hersteller von Verbindungslösungen fragen wir uns natürlich auch, welche Auswirkungen Industrie 4.0 auf unser Produktportfolio haben wird. Wie eingangs erwähnt, werden Office- und Produktionsebene stärker miteinander vernetzt. Dieser Trend wird kommen – und dann werden Technologien wie etwa Ethernet mehr und mehr in die Feldebene vordringen. Das ist eher eine Evolution als eine Revolution, aber sie wird neue Anforderungen an Ethernet-Verbindungslösungen mit sich bringen. Wenn zum Beispiel ein Antrieb einen eigenen Netzwerkanschluss hat, müssen die Netzwerkleitungen und -stecker, die da zum Einsatz kommen, andere Anforderungen erfüllen als jene, die im Office-Umfeld eingesetzt werden. Dafür haben wir schon einige Lösungen in unserem heutigen Portfolio, weitere werden folgen. Daran arbeiten wir.
elektro AUTOMATION: Das führt uns zum Thema der Produktentwicklung, die bei Lapp vorwiegend in Stuttgart und New Jersey stattfindet, im schweizerischen Cham betreibt Lapp Engineering zudem Grundlagenforschung. Abschließend deshalb die Frage: Welche Rolle spielen die einzelnen Standorte?
Stawowy: In Stuttgart findet der größte Teil unserer Entwicklungsarbeit statt. Lokale Approbationen werden dezentral an unterschiedlichen Standorten realisiert. Die Kollegen in New Jersey zum Beispiel kümmern sich um die UL-Zertifizierungen. Auch in Indien oder Korea unterhalten wir Entwicklerteams und entsprechende Testlabore. Das ist uns als Technologieführer sehr wichtig. In einem dritten Schritt entwickeln wir schließlich noch an bestimmten Standorten kundenspezifische Kabel. Ein Beispiel dafür ist unser Spezialist für Robotik-Kabel, Lapp Muller in Frankreich (Anm. d. Red.: siehe dazu elektro AUTOMATION 9/2014, S. 32). Um offen für Ideen und Trends in der Entwicklung zu sein – insbesondere auch über die Lapp Gruppe hinaus – haben die Brüder Lapp außerdem in der Schweiz Lapp Engineering als Dienstleister für Forschung und Entwicklung aufgestellt. Formell gesehen gehört das Unternehmen bewusst nicht zur Lapp Gruppe, um es für Aufträge Dritter zu öffnen, so dass die Kollegen dort eine breite Kompetenz aufbauen können. Davon können wir wiederum profitieren, wenn wir das Unternehmen beauftragen; neben Grundlagen geht es dabei vor allem um Materialien sowie die Prozessentwicklung.
elektro AUTOMATION: Herr Stawowy, dann an dieser Stelle herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin gutes Gelingen.
Hinweis: Weitere Details speziell zur Organisation der Produktentwicklung in der Lapp Gruppe lesen Sie in der develop3 systems engineering 1/2014, S. 15.
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