Startseite » Smart Factory »

Roboter müssen mit Machine Learning in der Simulation lernen

Machine Learning im Fokus
Roboter müssen in der Simulation lernen

Roboter müssen in der Simulation lernen
Beim Machine Learning muss Wahrnehmung und Bewegung unterschieden werden. Insbesondere bei der Wahrnehmung gebe es derzeit enorme Durchbrüche, sagt Prof. Torsten Kröger Bild: ekkasit919/Fotolia.com
Machine Learning seien schlicht und einfach Software-Algorithmen, die aus Daten lernten – das habe noch nichts mit künstlicher oder gar menschlicher Intelligenz zu tun, sagt Professor Torsten Kröger vom KIT. Warum er den Hype um die Künstliche Intelligenz (KI) für übertrieben hält, erläutert er auch anlässlich des automatica-Forums, das die Konradin Mediengruppe mit der Schwesterzeitschrift Automationspraxis anlässlich der automatica veranstaltet.

Interview: Armin Barnitzke, stellvertretender Chefredakteur, Automationspraxis

elektro AUTOMATION: Professor Kröger, Sie kennen aus Ihrer Zeit bei Google X das Silicon Valley – was braut sich dort mit Blick auf die Robotik zusammen?

Prof. Torsten Kröger: Schwer zu sagen: Es gibt zwar an die 100 Robotik-Startups im Silicon Valley und viel Venture Capital. Aber noch ist im Silicon Valley nichts Bedrohliches herangewachsen, was sicher auch der Mentalität der Investoren geschuldet ist. Die Investoren im Silicon Valley denken in einem Zeitraum von zwei Jahren. Aber in zwei Jahren ist es einfach schwierig, eine zertifizierte und sichere Robotersteuerung zu bauen – egal wieviel Geld und Manpower man hat. Zudem wird im Silicon Valley das Thema Qualität und Safety oft zu sehr vernachlässigt, man hängt dort noch zu sehr an der ‚Android-Denke‘. Will heißen: Wenn beim Android Smartphone ein Fehler passiert, dann stürzt eben die App ab oder der Anruf wird unterbrochen. Beim Roboter kann ein Fehler Menschenleben kosten. Das sind zwei völlig unterschiedliche Konsequenzen, die daher eine andere Herangehensweise erfordern. Es ist sicher auch eine der Stärken in Deutschland, dass wir mehr Verständnis für Qualität und Mechatronik, Hardware und Echtzeit haben – und eben einfach penibler sind. Natürlich kann man mit der Android-Denke viel schneller erste Ergebnisse liefern und nach wenigen Monaten ein sexy Video drehen, in dem der Roboter fantastische Sachen macht. Aber wenn man dies in marktfähige Produkte gießen will, läuft man mitunter Gefahr, in einer Sackgasse zu enden.

elektro AUTOMATION: Welche Rolle spielt denn China in diesem Kontext?

Kröger: Erstens haben die Chinesen das Thema Safety erkannt und nehmen es – anders als vor zwei bis drei Jahren – inzwischen ernst. Und auch beim Thema Machine Learning sind die Chinesen mit den Amerikanern gleichauf oder gar überlegen – zumindest auf der akademischen Seite: Zum Thema Machine Learning kommen derzeit mehr wissenschaftliche Papiere aus China als aus den USA. In China wächst also eine ganz neue Generation von Ingenieuren heran, die Machine Learning versteht. Zudem wird das Thema vom Staat strategisch gesteuert. Und für strategisch wichtige Themen stellt China solche Ressourcen bereit, dass es mich nicht wundern würde, wenn wir in fünf Jahren einige spannende Robotik-Innovationen aus China sehen. Ebene auch, weil man in China langfristiger denkt und investiert als im Silicon Valley.

elektro AUTOMATION: Welche Rolle spielt insbesondere das Maschinelle Lernen in der Robotik?

Kröger: Spannend ist vor allem die Schnittstelle aus Maschinellem Lernen und Robotik. Ziel ist, den Programmieraufwand für Roboter zu verringern. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass heute bei der Realisierung von Roboterapplikationen mit gängigen Robotersystemen nicht der Roboter selbst und die zugehörige Hardware die Kostentreiber sind, sondern der Programmieraufwand. Vereinfachen lässt sich dies etwa über grafische Oberflächen, mit denen man intuitiv auf einem Tablet Symbole quasi zu einem Ablaufdiagramm zusammen schiebt. Einfache Aufgaben kann man damit auch prima umsetzen – aber richtig komplexe Applikationen, etwa schwierige Fügeaufgaben, sind auf diese Weise nur mit größerem Aufwand zu realisieren. An dieser Stelle kommen dann die Ansätze des Machine Learnings ins Spiel – diese haben das Potenzial, auch komplexe Aufgaben abbilden zu können.

elektro AUTOMATION: Um welche Art des Machine Learnings geht es hier?

Kröger: Man muss grundsätzlich zwischen Perception, also Wahrnehmung, und Aktuatorik, also Bewegung, unterscheiden. In Sachen Wahrnehmung gibt es beim Machine Learning derzeit ja enorme Durchbrüche. Fast jede Woche gibt es neue Rekorde zu vermelden – beispielsweise, dass die maschinelle Bilderkennung bei statischen Bildern inzwischen besser ist als beim Menschen. Und in drei bis fünf Jahren werden wir vermutlich in der Lage sein, aus einem 2D-Bild mit Machine-Learning-Algorithmen auch Tiefeninformationen zu extrahieren – so wie auch ein Mensch mit nur einem Auge eine Tasse greifen kann. Und natürlich gibt es auch bei der Spracherkennung enorme Fortschritte – siehe Google Home und Amazon Alexa.

elektro AUTOMATION: Und wie steht es um das Machine Learning bei der Aktuatorik?

Kröger: Die Aktuatorik ist in der Robotik der kritische Punkt. Denn Robotik bedeutet ja, dass man physisch mit der Welt interagiert. Da gibt es in der Forschung erste Ansätze, Robotern datengetrieben etwas beizubringen. Roboter sollen lernen, sich selbst etwas beizubringen – so wie kleine Kinder, die durch Ausprobieren lernen. Das funktioniert im Labor applikationsspezifisch bereits recht gut – etwa beim Griff in die Kiste, wo sich Roboter mit Lernmethoden selbständig verbessern. Wir sind aber noch sehr weit entfernt von einer generischen Lösung. Gerade in der Aktuatorik sehe ich das Machine Learning daher noch nicht kurz vor dem Durchbruch. Zumal ein solches Lernen durch Ausprobieren gerade in der Robotik seine Grenzen hat.

elektro AUTOMATION: Wollen Sie das etwas näher erläutern?

Kröger: Man lernt ja vor allem durch Fehler gut – wenn etwas schief geht. Bei Robotern sollte aber auch in der Lernphase – je nach Applikation – nichts schief gehen. Roboter sollten keine Menschen umbringen und keine Teile kaputtmachen. Man kann in eine Automobilfabrik keine Roboter reinstellen, die erstmal lernen müssen, wie Autos gebaut werden, und daher erstmal viel Ausschuss produzieren. Erst wenn wir es schaffen, dass Roboter zunächst in der Simulation lernen und dann erst in der realen Welt eingesetzt werden, könnte man lernende Roboter viel universeller einsetzen. Da sind wir aber – zumindest heute – noch nicht.

elektro AUTOMATION: Der aktuelle Hype um Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI) ist also übertrieben?

Kröger: Unbedingt. Das Thema muss man wirklich auf den Boden der Tatsachen holen. Auch wenn es bei der Bild- und Spracherkennung große Durchbrüche gibt, sind wir eben bei der Aktuatorik – also wenn sich Systeme bewegen und mit ihrer Umgebung physisch interagieren – noch sehr weit von Durchbrüchen entfernt. Wir wissen noch nicht einmal, ob die aktuellen Methoden des Machine Learning hier die richtigen sind. Denn die Methoden skalieren derzeit noch nicht. Die Hollywood-geprägte Erwartungshaltung der Öffentlichkeit von intelligenten autonomen Robotern können wir kurz- und mittelfristig in keinster Weise erfüllen. Letztlich sollte man auch mit dem Begriff Künstliche Intelligenz vorsichtig sein: Machine Learning sind schlicht und einfach Software-Algorithmen, die aus Daten lernen. Punkt. Das hat noch nichts mit künstlicher Intelligenz oder gar menschlicher Intelligenz zu tun.

elektro AUTOMATION: Werden wir den generisch autonomen und intelligenten Roboter also gar nie haben?

Kröger: Nie würde ich nicht sagen, das wäre zu pessimistisch. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das in meinem Leben noch erleben werde. Zumindest aus heutiger Sicht.

elektro AUTOMATION: Wird denn generell die Vereinfachung der Programmierung mit genug Schwung vorangetrieben?

Kröger: In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aller großen Roboterhersteller sind entsprechende Projekte am Laufen. Weil man eben erkannt hat, dass man die letzten Jahre hier auf dem falschen Dampfer unterwegs war. Mir ist Stand heute kein großer Roboterhersteller bekannt, der in Sachen einfache Programmierung etwas konzeptionell Gutes vorweisen kann – das sind alles weiter textbasierte Programmierumgebungen, die zwar sehr mächtig sind, aber eben hoch ausgebildetes Personal erfordern.

www.ipr.kit.edu

www.ipr.kit.edu

Zum Thema ‚Robotics in Silicon Valley‘ spricht Prof. Torsten Kröger auf dem ‚automatica Forum‘ im Rahmen der Messe automatica am 19. Juni 2018 von 14:30 bis 15 Uhr:

hier.pro/XEz6X


„Gerade in der Aktuatorik sehe ich das Machine Learning noch nicht kurz vor dem Durchbruch.“

Prof. Torsten Kröger gründete das Robotik-Start-up Reflexxes, das von Google übernommen wurde. Bei Google X war Kroeger Leiter der Robotics Software Division. Seit 2017 leitet er das Institut für Anthropomatik und Robotik (IAR) und Intelligente Prozessautomation und Robotik (IPR) am KIT
Bild: KIT

Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Videos

Hier finden Sie alle aktuellen Videos


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de