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Maschinen imitieren das Leben

Haptische Geräte simulieren mit Servomotoren lebensechte Situationen (Halle 9, Stand 9210)
Maschinen imitieren das Leben

In einer virtuellen Welt bietet die Fähigkeit zum Simulieren von Berührungen buchstäblich spürbare Vorteile, denkt man beispielsweise an einen Online-Kunden, dem es ermöglicht wird, einen Hemdstoff zu „fühlen“. Solche Möglichkeiten bietet die Haptik, bei der Robotiksysteme mit ausgeklügelten Feedback- und Steuerungsfunktionen eine taktile Wahrnehmung für den Anwender simulieren. Ein Hersteller von Haptikgeräten produziert beispielsweise verschiedene Roboter, die klare und realistische Sinneswahrnehmungen vermitteln. Hierfür setzt das Unternehmen neben Hard- und Software auch drehmomentstarke, breitbandige Servomotoren ein.

Dipl.-Ing. FH Andreas Seegen, Leiter Marketing bei Dr. Fritz Faulhaber GmbH & Co. KG in Schönaich, und Dipl. Chem. Andreas Zeiff, Redaktionsbüro Stutensee www.faulhaber.com

Quanser begann auf dem Markt für Lehrmittel mit Produkten wie Chirurgie-Simulatoren, die es Medizinstudenten erlauben, Einschnitte auch ohne Leichen zu üben. „Nach diesem Verfahren kann man den gesamten Vorgang simulieren und den angehenden Chirurgen dieselben Sinneswahrnehmungen vermitteln wie in der chirurgischen Praxis“, erläutert Paul Karam, Leiter Konstruktion & Entwicklung. „Mehr noch: Auch die Leistungen, wie viel Kraft die Kandidaten aufgewendet haben, wie umfangreich die Schnitte waren, lassen sich quantitativ erfassen.“
Neben anwendungsspezifischen Produkten für OEM-Kunden baut das Unternehmen auch allgemeine Haptiksysteme für die Forschung. Die neueste Entwicklung ist das High Definition Haptic Device (HD2), ein Parallelmechanismus mit sechs Freiheitsgraden (x, y, z, Rollen, Nicken, Gieren). Dieser mechanisch ausbalancierte, reibungsarme Roboter besteht aus zwei miteinander gekoppelten Auslegern mit je fünf Gelenken und kann über einen großen Arbeitsbereich hinweg Bewegungen in hoher Auflösung ausführen. Das HD2 hat einen Roll- bzw. Nickbereich von jeweils ±90° und einen Gierbereich von ±180°.
Zentrales Entwicklungsziel: Berührungen
„Was man auch immer zu simulieren versucht – sei es nun das Klopfen auf Holz oder Bewegungen bei der Gehirnchirurgie, die jeweilige Haptik muss definierte und gleichmäßige Sinneswahrnehmungen vermitteln“, so Karam weiter. „Der Mechanismus muss das bei der Operation entstehende Gefühl originalgetreu wiedergeben, sonst nützt er nichts.“ Ein ideales Haptikgerät zeichnet sich durch geringe Reibung und Massenträgheit aus, kann aber zugleich Kräfte mit einem hohen Dynamikbereich erzeugen, und das alles innerhalb eines großen Arbeitsbereichs. Um dies zu erreichen, entwickelt man mechatronische Konzepte, bei denen noch vor dem Prototyping umfassende Modelle erstellt und getestet werden, um den optimalen Lösungsansatz zu ermitteln. Um beispielsweise das Reaktionsvermögen des HD2 zu maximieren, ordnete das Entwicklerteam die Motoren im Gehäuse an und nicht auf dem Stellgliedarm.
Die für die Leistungsfähigkeit entscheidenden Komponenten sind die Linearstromverstärker. „Damit lassen sich sehr geschmeidige und gleichmäßige Kräfte um Null herum erzeugen und das kann man auch fühlen“, berichtet Karam. „Mit einem Verstärker, der mit Pulsbreitenmodulation arbeitet, ist das nicht zu machen.“ Das Entwicklerteam vermeidet zudem die Verwendung von Standard-Motion-Controllern. Sinneswahrnehmung zu erzeugen, die beim Berühren einer harten Oberfläche oder bei der Interaktion mit der Umgebung entsteht, erfordert sehr hohe Kraftbandbreiten und vernachlässigbar kurze Latenzzeiten. Die typischen Verzögerungen von Standard-Motion-Controllern sind in diesem Anwendungsfall nicht akzeptabel. Daher setzt das Entwicklerteam eigene 8-Kanal-Datenerfassungsboards und die proprietäre Steuerungssoftware Quarc ein. Das Ergebnis ist eine PC-basierte Steuerung, die im Bereich von 1 bis 10 kHz arbeitet, die Encoder simultan ausliest, die Kinematik des Geräts berechnet und die Drehmomente aller sechs Motoren vorgibt.
Servomotor kundenspezifisch modifiziert
Zum mechatronischen Design gehört unter anderem ein Konzept, nach dem die Bauelemente auf Systemebene entwickelt und nicht willkürlich ausgewählt werden. „Hier setzt unsere Kooperation mit Micromo, der amerikanischen Tochter von Faulhaber ein“, berichtet Karam. „Durch Kombination der High-End-Motoren mit unseren Linearverstärkern sind Antriebe entstanden, die ein hohes Ausgangsdrehmoment liefern, aber zugleich sehr reibungs- und haftreibungsarm arbeiten sowie eine sehr niedrige Massenträgheit aufweisen. Die Verknüpfung unserer Technologien hat unseren Haptikgeräten die Spitzenposition auf diesem Gebiet verschafft.“
Ziel des Teams war eine Standardisierung auf der Basis von einem oder zwei Motoren, um die Entwicklungsarbeit möglichst effizient zu gestalten. Benötigt wurde ein hohes Drehmoment, doch ein höheres Drehmoment ist allgemein mit einem größeren Motor verbunden, der wiederum mehr Massenträgheit, Reibung und Gewicht mit sich bringt. Also machte man sich gemeinsam auf die Suche nach einer Spezialeinheit, die exakt auf ihre Anforderungen abgestimmt sein sollte. „Dieser Motor hat eine andere Spule, mit denen sich ein sehr hohes Ausgangsdrehmoment erzeugen lässt“, sagt Karam. „Er entwickelt zwar keine besonders hohen Drehzahlen, aber das ist bei Haptikgeräten auch selten erforderlich. Ein hohes Drehmoment und die nicht selbsthemmende Kraftübertragung, also die Fähigkeit des Benutzers, die Reibung zu überwinden und das Haptikgerät zu betätigen, sind die entscheidenden Faktoren bei der Motorenauswahl.“ Der Faulhaber-Motor erfüllte beide Anforderungen − so wurde der nicht gerade standardmäßige Motor für uns zur Optimallösung. „Wir halten diesen Motortyp inzwischen lagermäßig vor und versuchen es auch bei Neuentwicklungen erst einmal damit“, ergänzt Karam.
Standardencoder für Feedback
Die Motoren sind mit hochauflösenden optischen Encodern ausgestattet. Diese liefern die präzisen Feedbackgrößen, die erforderlich sind, um eine realitätsnahe taktile Wahrnehmung zu erzeugen. Für einige Anwendungen liefert Micromo auch Ausführungen mit integrierten Getrieben; in der Mehrzahl der Fälle sind solche Lösungen jedoch nicht sinnvoll. Getriebe arbeiten nämlich in der Regel nicht spielfrei, was zu inakzeptablen Latenzzeiten bei der Berührungsrückmeldung des Geräts führt. Daher verwenden die Haptikspezialisten Rollenantriebe anstelle von Getrieben. Ein Rollenantrieb besteht aus zwei Walzen, zwischen denen ein vorgespannter Strang verläuft, ähnlich wie in der Mechanik einer Videokassette. Das Verhältnis der beiden Walzendurchmesser bestimmt das Untersetzungsverhältnis. Eine typische Motor-Antriebsrollen-Baugruppe kann Untersetzungsverhältnisse von bis zu 30:1 erreichen.
Damit Haptikgeräte effektiv arbeiten, müssen sie natürlich eine kontinuierliche Sinneswahrnehmung liefern, was bedeutet, dass die Motoren ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit aufweisen müssen. Auch hier fand man die passende Lösung. „Wie viel Kraft ich erzeuge, hängt einzig und allein davon ab, was ich für die nominale Drehmomentkonstante des Motors halte“, sagt Karam. „Quantitativ kann ich diese Größe von System zu System nicht messen, aber wir haben zahlreiche Varianten desselben Geräts hergestellt, und ich kann beim Nachführen keinen Unterschied feststellen.“
Die Haptikspezialisten setzen ihre Koopera- tion mit OEMs und Forschern gleichermaßen fort. Ihre Entwicklungsplattform und die Motoren versetzen das Unternehmen in die Lage, aus Konzepten schnell und einfach Produkte zu machen. „Wenn beispielsweise ein Chirurg mit dem Plan an uns herantritt, Nadeleinstiche im Operationssaal zu untersuchen, können wir für ihn ein Gerät entwickeln, das genau die richtigen Spezifikationen dafür hat“, so Karam. „Wir arbeiten gut mit Micromo zusammen und gehen immer wieder auf dieses Unternehmen zu, wenn es um die Entwicklung neuer Produkte und neuer Motoren geht. Wir wissen inzwischen genau, wie sich die Schnittstellen zu den Motoren und den Encoderbaugruppen leicht realisieren lassen.
Und wenn die Haptik so anläuft, wie es Karam und andere Fachleute erwarten, kann es bald wieder dazu kommen. „Nach meiner Einschätzung lässt sich nicht prognostizieren, wo die Haptik in beispielsweise 20 Jahren stehen und welchen Werdegang sie durchlaufen wird“, meint Karam. „Ich bin aber fest davon überzeugt, dass diese Technologie letztlich wohl jeden Industriezweig berühren wird.” ge

PRAXIS PLUS
Die Faulhaber-Gruppe mit ihren 1400 Mitarbeitern ist spezialisiert auf Entwicklung, Produktion und Einsatz von hochpräzisen Klein- und Kleinstantriebssystemen, Servokomponenten und Steuerungen bis zu 200 W Abgabeleistung. Dazu zählt die Realisierung von kundenspezifischen Komplettlösungen ebenso wie ein umfangreiches Programm an Standardprodukten wie bürstenlose Motoren, DC-Kleinstmotoren, Encoder und Motion-Controller. Vom Mikroantrieb mit 1,9 mm Durchmesser bis zum leistungsstarken 44-mm-DC-Kleinstmotor kombinierbar mit verschiedenen Präzisionsgetrieben bietet das Unternehmen zuverlässige Systemlösungen für eine Vielzahl von Anwendungen.
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