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„Industrie 4.0 ist die logische Fortsetzung des Computer Integrated Manufacturings“

Interview: Innovation voranzutreiben ist besser als Werkzeuge für die Systemauslegung zu erlernen
„Industrie 4.0 ist die logische Fortsetzung des Computer Integrated Manufacturings“

Das Stichwort ‚Industrie 4.0‘ prägte in diesem Jahr besonders intensiv die Hannover Messe und wird auch auf der Sensor+Test eine Rolle spielen. Grundgedanken wie die so genannten ‚Cyber-Physical Systems‘ – kurz CPS – tauchten aber bereits Mitte des letzten Jahrzehnts in den USA auf und wurden dort von der National Science Foundation als Forschungsschwerpunkt identifiziert. Eine große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Embedded Systems zu, da sie oftmals die Grundlage für die geforderte ‚intelligente‘ Vernetzung legen. Rahman Jamal, Technical & Marketing Director Europe bei National Instruments (NI), erläutert die Zusammenhänge.

Die Fragen stellte Michael Corban, Chefredakteur elektro Automation

elektro Automation: Herr Jamal, wie sieht ein amerikanischer Hersteller wie National Instruments die deutsche Debatte zum Thema Industrie 4.0?
Jamal: Industrie 4.0 ist im Grunde nichts anderes als die logische Fortsetzung des bereits in den 70er Jahren initiierten Konzepts des Computer Integrated Manufacturing – kurz CIM –, also eher die zeitgemäße Version dieser Vision. Sie zielt auf die intelligente Fabrik der Zukunft ab. Ein weiterer Begriff, der in diesem Zusammenhang auftaucht, ist Cyber-Physical Systems. Dieser kommt aus dem amerikanischen Raum und wurde zum allerersten Mal im Oktober 2006 auf einem von der National Science Foundation initiierten Workshop zu Cyber-Physical Systems im texanischen Austin genannt. In der Auftakt-Keynote mit dem Titel ‚Technologies for Cyber-Physical Systems‘ demonstrierte unser CEO und Mitbegründer von National Instruments, Dr. James Truchard, grafische Systemdesignwerkzeuge für die Umsetzung solcher cyber-physischen Systeme – einschließlich der Technologien für verteilte eingebettete Regel- und Steuersysteme auf der Basis von heterogenen parallelen Multiprozessorsystemen. Das ist, wenn Sie so wollen, auch die Definition von Cyber-Physical Systems und legt quasi das Fundament für die Industrie 4.0.
elektro Automation: NI ist in diesem Bereich also schon länger unterwegs. Gibt es bereits konkrete Anwendungsbeispiele?
Jamal: In der Tat sind wir auf diesem Gebiet schon länger aktiv. Sieht man sich den Begriff CPS genauer an, wird auch klar, warum: ‚Cyber‘ deutet auf ‚vernetzt‘ und ‚intelligent‘ hin, ‚Physical‘ auf die Anbindung an die reale Welt über I/Os und ‚Systems‘ zielt auf die eingebetteten Regel- und Steuersysteme auf Basis von heterogenen parallelen und auch rekonfigurierbaren Multiprozessorarchitekturen ab. Spätestens hier ist zu erkennen, dass Mess- und Automatisierungstechnik bei Cyber-Physical Systems ineinandergreifen. Und mit unserer Methodik des Graphical System Designs können Sie solche Cyber-Physical Systems disziplinübergreifend umsetzen. Das zeigt eine Fülle von Anwendungen, die die wegweisende Bedeutung der CPS veranschaulichen: Ein klassisches Beispiel sind die autonomen Roboter. Solche Systeme arbeiten autonom und automatisiert, sind adaptiv und multifunktional und bestehen aus einer Vielzahl von Sensoren und Aktoren. Mit unserem Graphical-System-Design-Ansatz lassen sich solche autonomen Roboter von der Idee über das Prototyping bis hin zur Umsetzung realisieren.
elektro Automation: Lassen Sie uns später noch einmal auf den Design-Ansatz zurückkommen und zunächst das Thema Embedded Systems ansprechen – die insbesondere ja in all den Industrie-4.0-Konzepten eine wichtige Rolle spielen. In dem kürzlich veröffentlichten Ausblick zu Entwicklungen in diesem Bereich zieht Dr. James Truchard ja den Vergleich zum Desktop-PC: Was hier einst der IBM-PC bewirkte, will NI bei den Embedded Systems anstoßen. Wie wollen Sie das erreichen und was bedeutet das konkret für den Anwender?
Jamal: Wir sehen unsere Rolle darin, eine integrierte Standard-Hard- und -Software-Plattform bereitzustellen, mit der sowohl Domänenexperten als auch Embedded-Spezialisten gleichermaßen Zugang finden können. Zur Umsetzung von Mess-, Steuer- und Regel-Anwendungen steht damit ein Ökosystem zur Verfügung, das aus verschiedensten Technologien und durchgängigen Werkzeugketten besteht. Auf diese Weise lassen sich Embedded Systems erstellen – in Analogie zu dem Ökosystem, das der IBM-PC für Desktop-Anwendungen darstellt.
elektro Automation: Welche Partnerschaften zu anderen Unternehmen spielen dabei in technologischer Sicht eine besondere Rolle?
Jamal: Sowohl Kundenbeziehungen als auch strategische Technologiepartnerschaften sind hier von Bedeutung. Lassen Sie mich das etwas näher ausführen: National Instruments greift auf eine Kundenbasis von mehr als 35.000 Unternehmen weltweit zurück, was uns wiederum einen fortwährenden Einblick beispielsweise in Best Practices, Roadmaps und Technologievisionen verschafft. Zudem tragen das regelmäßige Feedback der Kunden, internes Fachwissen und Kenntnisse aus Forschungsarbeiten von Drittanbietern dazu bei, einen Überblick über aktuelle Trends zu erhalten, die den Markt der Mess- und Prüftechnik oder der Embedded Systems erheblich beeinflussen. Daneben spielt hier aber natürlich auch die enge Zusammenarbeit mit führenden Technologieanbietern wie Intel, Xilinx und Analog Devices eine sehr große Rolle. Diese Erkenntnisse münden regelmäßig in so genannten Technologieausblicken wie dem angesprochenen ‚2013 Embedded Systems Outlook‘. Hier werden die Schlüsseltechnologien aufgezeigt, die sich auf die eben genannten Bereiche und auf die Mess- und Automatisierungstechnik im Allgemeinen auswirken. Behandelt werden die wichtigsten Trends und dringlichsten Herausforderungen, inklusive Geschäftsstrategien, Technologien und Architekturen, denen Design-Teams gegenüberstehen, die sich mit der Erstellung von Embedded-Steuer-, -Regelungs- und Überwachungssystemen beschäftigen.
elektro Automation: Eine wesentliche Rolle bei der Auslegung neuer Systeme dürfte der bereits angesprochene plattformbasierende grafische Ansatz von NI spielen – Graphical System Design –, mit dem sich insbesondere die Entwicklungszeiten weiter reduzieren lassen. Was erwartet die Anwender in diesem Bereich?
Jamal: Durch die rasante technologische Entwicklung sind die Hard- und Software-Werkzeuge für Mess-, Steuer- und Regel- sowie Embedded-Anwendungen einem rapiden Wandel unterworfen. So verbringt der Anwender solcher Werkzeuge immer mehr Zeit damit, die verschiedenen Tools zu erlernen, um mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten. Das Ergebnis: Er verliert das eigentliche Ziel – nämlich Innovation und Entdeckungen voranzutreiben – immer mehr aus den Augen. Ideal wäre es daher, wenn der Anwender sich auf seine Problemstellung konzentrieren könnte, anstatt die unterschiedlichsten Werkzeuge der jeweiligen Phase der Systementwicklung erlernen und sich dann auch noch mit deren Gesamtintegration herumschlagen zu müssen.
elektro Automation: Und genau das wollen Sie mit dem Graphical System Design erreichen?
Jamal: In der Tat. Denn damit steht dem Anwender eine methodische Grundlage zur Verfügung, die es ihm erlaubt, diese Anforderungen – die eigentlich nicht in Einklang zu bringen sind und in der Regel unterschiedliche Entwicklungsumgebungen erfordern – schneller zu adressieren als mit herkömmlichen Ansätzen. Der Ursprung des Graphical System Design geht zwar auf die Konzipierung von NI LabVIEW als Systemdesignsoftware zurück, doch lässt sich prinzipiell jede beliebige Mess-, Steuer-, Regel- und Embedded-Anwendung immer in folgende Grundbausteine aufteilen: I/O, Analyse, Verarbeitung, Programmierung, Benutzerschnittstelle und Ausführungsplattform. Die Verknüpfung dieser Elemente über grafische Programmiertechniken inklusive Timing und Synchronisation bezeichnen wir als Graphical System Design. Hierbei werden die gängigen Bestandteile einer Hardwareplattform – Verarbeitung per Prozessor, DSP und FPGA, Kommunikation und modulare I/O – auf einer Systemebene auf die gleiche Weise abstrahiert wie Modelle und andere Softwareelemente.
Dieser plattformbasierende Ansatz ermöglicht es dem Anwender, sich auf Innovationen beziehungsweise seine Applikation zu konzentrieren, anstatt sich mit aufwändigen Systemdesignproblemen auseinandersetzen zu müssen.
elektro Automation: Sie sprachen es bereits an – Flexibilität ist angesichts sich stetig verändernder Anforderungen, denen sich Unternehmen heute gegenüber sehen, bei der Entwicklung von Embedded Systems besonders wichtig. NI betont dabei vor allem die Verknüpfung leistungsfähiger CPUs mit programmierbaren FPGAs. Worin liegen die Stärken solcher Systeme?
Jamal: Universalprozessoren waren lange Zeit die tragende Säule von Embedded-Systems. Mittlerweile ist es aber oft nicht ausreichend, schnellere Universalprozessoren einzusetzen, um die anspruchsvollen Anforderungen solcher Systeme für Steuer-, Regel- und Überwachungsanwendungen zu erfüllen. Angesichts der extrem hohen Entwicklungskosten und -risiken bei einer im Endprodukt letztlich relativ unflexiblen anwendungsspezifischen integrierten Schaltung – ASIC – stellen viele Ingenieure fest, dass die Kombination aus Prozessor und FPGA die richtige Mischung aus Leistung, Flexibilität und Kosten darstellt. Einen FPGA zwischen Prozessor und beliebigen anwendungsspezifischen I/Os zu platzieren, erhöht die Flexibilität und die Verarbeitungskapazität des Gesamtsystems. Durch die Kombination dieser drei Einheiten – Prozessor, FPGA und I/Os – wird eine Architektur mit rekonfigurierbaren I/Os geschaffen, in der der FPGA als Co-Processing-Engine, Inline-Signalprozessor, sicheres Teilsystem oder Steuer- und Regelsystem mit extrem niedriger Latenz fungieren kann.
elektro Automation: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang programmierbare SoCs, wie sie etwa Ihr Technologiepartner Xilinx anbietet?
Jamal: Der Zynq-7000 All Programmable SoC von Xilinx kombiniert programmierbare Logik und Peripheriegeräte innerhalb eines prozessorzentrierten Systems-on-a-Chip – SoC. Systementwickler profitieren dadurch von den Vorteilen eines ASIC, können aber die Kosten oder Risiken einer klassischen ASIC-Architektur auslagern. Wird Systemdesignsoftware mit der Plattform Zynq-7000 genutzt, können Entwickler schnell ein All-Programmable-System mit anwendungsspezifischen I/Os und heterogenen Prozessorkernen erstellen.
elektro Automation: Im 2013 Embedded Systems Outlook wird insbesondere die Bedeutung von Bildverarbeitungs-Systemen für die weitere Entwicklung von Embedded Systems erwähnt. Können Sie das kurz erläutern?
Jamal: Die Integration visueller Daten hebt die Leistungsfähigkeit von Embedded Systems auf neue Ebenen. Unser Gehirn ist beispielsweise in der Lage, Objekte zu identifizieren und Entfernungen zu messen, um schnell Entscheidungen hinsichtlich der passenden Reaktionen zu treffen. Selbst unbewusst nutzt es ständig visuelle Informationen, um das Gleichgewicht und Bewegungen zu steuern. So wie das Gehirn anspruchsvolle Algorithmen auf visuelle Darstellungen anwenden kann und ein unglaublich weitreichendes Verständnis der Umgebung ermöglicht, beginnen Embedded Systems damit, die visuelle Wahrnehmung als eines der wichtigsten Instrumente zur Erfassung von Daten und zur Entscheidungsfindung zu nutzen. Interessanterweise forschen Universitäten bereits seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts an der Verwirklichung maschinellen Sehens. Das Zusammenkommen etlicher technischer Voraussetzungen fungiert hier als Katalysator für einen Umbruch in der Embedded-Bildverarbeitung, bei dem Bilderfassungssensoren, Verarbeitungstechnologien und Softwarealgorithmen zu einer neuen Generation von Embedded Systems beitragen. So wird es nicht mehr lange dauern, bis Kameras zu den Standardfunktionen in Kühlschränken, Mikrowellen, Waschmaschinen und anderen täglich genutzten Haushaltsgeräten gehören werden. Diese Ausbreitung der Embedded-Bildverarbeitung wird sich in allen Arten von Steuer-, Regel- und Überwachungssystemen aus Branchen wie der Fertigung, den Life Sciences und dem Transportwesen fortsetzen.
elektro Automation: Kommen wir nach diesem Blick auf die Entwicklung der Embedded Systems abschließend noch einmal auf das Thema Industrie 4.0 zurück: Wie konkret wird hier aus Ihrer Sicht die Entwicklung weitergehen?
Jamal: Während sich die Diskussion zur Zeit um die Standardisierung rund um Industrie 4.0 dreht, findet eine rasante Entwicklung bei den Cyber-Physical Systems statt. Diese ist von hoher Komplexität und einer durch kommerzielle Technologien getriebenen Dynamik geprägt. Die dadurch entstehende Schnelllebigkeit macht eine Standardisierung schon fast unmöglich. Einen Standard, der bis zum Ende durchdefiniert ist, kann und wird es deshalb nicht geben. Man wird zweigleisig fahren müssen: Einerseits so viel standardisieren wie möglich, andererseits aber nicht abwarten, sondern jetzt schon aktiv werden und versuchen, mit Anwendern praktikable Lösungen umzusetzen. Wir werden also auch in diesem Markt mit De-facto-Standards wichtiger Player leben müssen und werden keine hundertprozentige Standardisierung bekommen!
elektro Automation: Herr Jamal, vielen Dank für die interessanten Informationen.
ni.com
Sensor+Test: Halle 11, Stand 410

INFO-TIPP
Eine Kurzform dieses Interviews finden Sie als Video online auf Youtube im Channel von Konradin Industrie.

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