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Flexibel, modular und vernetzt

Digitalisierung in der Prozesstechnik
Flexibel, modular und vernetzt

Flexibel, modular und vernetzt
Die Modularisierung verändert die Anforderungen an die Automatisierung Bild: Festo
Industrie 4.0 ist nach wie vor das Trendthema in der deutschen Wirtschaft. Hersteller von Fabrikautomatisierungstechnik bringen intelligente, kommunikationsfähige Produkte auf den Markt und Maschinenbauer vernetzen ihre Lösungen damit. Doch auch die Anlagenbauer entdecken zunehmend die Vorteile smarter Technologien. Mit Modularisierungskonzepten, einer stärkeren Flexibilisierung und digitalisierten Feldgeräten befindet sich die Prozessindustrie ebenfalls längst auf dem Weg zur Industrie 4.0.

Johannes Gillar, stellvertretender Chefredakteur elektro AUTOMATION

Wenn von Industrie 4.0 und intelligenten Technologien die Rede ist, denkt man meist an Fertigungsunternehmen und die Fabrikautomatisierung. Dabei dreht sich dann alles um das Zusammenspiel zwischen der Feld-, der Steuerungs- und der Leitebene. Insbesondere vom Digital Enterprise und der sogenannten smarten Fabrik erwartet sich die Fertigungsindustrie erhebliche Produktivitätszuwächse. Doch auch für die Prozessindustrie gewinnt die Digitalisierung der Fertigung zunehmend an Bedeutung. Somit stehen die verfahrenstechnischen Branchen sowie die Hersteller von Messtechnik und Prozessautomatisierung vor der Herausforderung, ihre Produktion stärker zu flexibilisieren und Produkte in immer kürzerer Zeit auf den Markt zu bringen.

Gefordert sind vor diesem Hintergrund unter anderem intelligente, digitalisierte Prozesssensoren. Mit ihnen lassen sich Informationen über Anlagen- und Komponentenzustände erfassen, eine wichtige Voraussetzung etwa für die vorausschauende Instandhaltung. Dass Prozesssensoren hier eine entscheidende Rolle spielen, muss man nicht extra erwähnen.

Sensoren sind die Sinne der Industrie 4.0

Prozessmesstechnik-Spezialist Jumo aus Fulda etwa hat diesbezüglich mit Digiline ein entsprechendes System entwickelt. Es besteht aus intelligenten Sensoren, Messumformern und einer Sensordatenmanagement-Software. Mit diesem System lassen sich unterschiedliche Sensoren in Stern- oder Baumstruktur miteinander verbinden. Lediglich eine einzige digitale Signalleitung überträgt die entsprechenden Daten dann noch zu einer Auswerteeinheit oder Steuerung. Zusammen mit der DSM-Software (Digital Sensor Management) des Herstellers ermöglicht diese Lösung eine lückenlose Dokumentation über den gesamten Lebenszyklus.

Ohne Sensoren funktioniert somit auch hier gar nichts. Sie sind die Sinne der Industrie 4.0. Im nächsten Schritt müssen die Daten der zahlreichen Sensoren ins Internet gebracht werden. Konnektivität ist hier das Stichwort. Schließlich sind Plattformen in der Cloud erforderlich sowie Datenanalytik, um aus „Big Data“ auch wirklich „Smart Data“ zu machen. Um dies alles herum brauche es gute Konzepte zur Cyber-Sicherheit. Vor diesem Hintergrund, da sind sich die Experten einig, müssen die Prozessautomatisierer zusammenarbeiten, um die existierenden Herausforderungen zu meistern. Dazu gehört die Definition neuer Standards im Zusammenhang mit Digitalisierung und Industrie 4.0 in der Messtechnik und Prozessautomation. So unterscheiden sich zum Beispiel die Standards der Prozessindustrie von denen in der Stückgutfertigung. Hilfreich dabei ist die von der Plattform Industrie 4.0 gestartete Normungsinitiative ‚Standardization Council Industrie 4.0‘. Ziel der Initiative ist es, Standards in der digitalen Produktion zu initiieren und diese national sowie international zu koordinieren.

Modularisierungskonzepte gefragt

Ebenfalls wichtig sind im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der Prozessindustrie Modularisierungskonzepte für Prozessanlagen. Untersuchungen zeigen, dass die Modularisierung von Prozessen möglich ist und gewinnbringend für die chemische Industrie sein kann. Insbesondere die chemisch-pharmazeutische Industrie entwickelt daher entsprechende Konzepte. Neben verkürzten Produkteinführungszeiten will man so die Flexibilität der Prozessanlagen steigern. Dass eine modulare Automatisierungstechnik in Sachen Anlagenflexibilität Vorteile gegenüber einer konventionellen Automatisierung hat, zeigen auch verschiedene Studien von Automatisierungstechnikherstellern. Mit dem Dima-Konzept wird der Spezialist für elektrische Verbindungstechnik und Automatisierung Wago hierbei beispielsweise zu einem der Vorreiter. Dima steht für „Dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen“ und viele Experten glauben, dass dieser Ansatz den verfahrenstechnischen Anlagenbau revolutionieren kann. Basierend auf dem Wago-Ansatz haben sich unterschiedliche Arbeitskreise der Namur und der Arbeitskreis (AK) „modulare Automatisierung“ des ZVEI zusammengetan, um gemeinsam eine herstellerneutrale Beschreibung von Modulfunktionalitäten, das Modul Type Package (MTP), zu definieren. Denn nach Meinung der Experten ist nur mit einer einheitlichen Beschreibung eine Integration von Prozessmodulen über Herstellergrenzen hinweg möglich.

Die Gründe für die Automatisierung modularer Anlagen in der chemischen Industrie und damit auch die Nutzenpotenziale für den Anwender sind vielfältig. Sie reichen von der bereits erwähnten Flexibilisierung der Produktionsanlagen durch den schnellen Austausch von einzelnen verfahrenstechnischen Modulen, über einfache Kapazitätserweiterungen der Produktion für steigende Nachfragen im Markt, bis hin zu einer Verringerung der Komplexität von Produktionsanlagen bei Engineering, Inbetriebnahme und Instandhaltung. Dadurch erwartet man Produktivitätsschübe in allen Phasen des Lebenszyklus von Produktionsanlagen. Gleichzeitig sind jedoch die Anforderungen an Automatisierungssysteme neu. Das heißt, es geht weg von einem zentralen Prozessleitsystem hin zu intelligenten Modulen mit eigenen Automatisierungsfunktionen und Steuerungen. Dieser Ansatz sieht vor, dass die Automatisierungsfunktion durch den Modulhersteller mit eigener Hardware bereitgestellt wird und dass er statische Strukturinformationen zur Darstellung des Moduls im überlagerten HMI mitliefert. Die Leitebene muss dabei natürlich alle Module überwachen und auch die Bedienung der Module sollte möglich sein. An dieser Stelle wird auch die Komplexität der Aufgabe klar, denn der Modulhersteller soll keine Vorgaben bekommen in Bezug auf zu verwendende Hardware und die Art der Darstellungen zum Beispiel von Messwerten in der Visualisierungsebene, der Anwender möchte aber die Darstellung von Messwerten in der Visualisierungsebene harmonisiert haben.

Fragt man Branchenkenner, gehören modulare Anlagenkonzepte in der Prozessindustrie mittlerweile zum A und O. Anwender wollen generell schneller auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren können – gerade wenn sie noch ausbauen oder hochskalieren wollen. Dies erfordert vor allem die Standardisierung der Schnittstellen zwischen den verschiedenen Automatisierungsmodulen.

Was genau muss man nun unter modularen Prozessanlagen verstehen und wie ordnet sich die Automatisierungstechnik in diesen Kontext ein? Es geht den Unternehmen der Prozessindustrie um ein verändertes Anlagendesign, das sich letztendlich hin zu modulbasierter Produktion entwickelt. Bei diesem Produktionskonzept wird die Kapazitätserhöhung der Anlagen nicht mehr durch den Bau kompletter, großer Anlagen, dem sogenannten Scaleup, verfolgt. Im Trend liegt stattdessen das Betreiben bestehender Anlagen nach einem flexiblen Baukastensystem. Dahinter steckt das Konzept des sogenannten Numbering-up. Das Ziel, das dabei verfolgt wird, ist die Steigerung der Produktionsflexibilität durch parallel arbeitende Prozessanlagen, die nach dem Baukastensystem zugefügt oder entfernt werden können. Dabei steigt die Bedeutung für intelligente Automatisierungstechnik, da sie die Umsetzung dieses flexiblen Anlagenkonzepts unterstützt.

Anforderungen an Automatisierung ändern sich

Wie bedeutend das Thema für die Branche ist, zeigen die bereits erwähnten Aktivitäten der Verbände Namur und ZVEI. So hat letzterer das Whitepaper „Modulbasierte Produktion in der Prozessindustrie – Auswirkungen auf die Automation im Umfeld von Industrie 4.0“ herausgegeben und einen Arbeitskreis „Modulare Automation“ ins Leben gerufen. Und in diesem Zusammenhang arbeitet der ZVEI intensiv mit der Namur zusammen, die ebenfalls einen Arbeitskreis „Automatisierung modularer Anlagen“ hat. Dieser beschäftigt sich im Rahmen eines Erfahrungsaustausches von Konzeptentwicklungen, der Formulierung von Anforderungen an Automatisierungslösungen und der Beteiligung an der nationalen und internationalen Normung unter anderem mit einer Vielzahl an Themen. Dazu zählen beispielsweise die Beschreibung der Anforderungen an die Automatisierungstechnik für modulare Anlagen aus Sicht der Namur, die Darstellung der Chancen, des Nutzens und des Aufwands einer Modularisierung aus Sicht der Automatisierungstechnik, die Untersuchung zum Stand der Technik mit Augenmerk auf fehlende oder zu erweiternde Bausteine hinsichtlich einer vollen Modularität sowie die Beschreibung einer Roadmap der notwendigen Entwicklungsschritte aus Sicht der Anwender im Bereich Automatisierungstechnik. Thematisiert werden dort auch die Positionierung der Namur hinsichtlich eines sinnvollen Maßes von Modularisierung der Automatisierung modularer Anlagen sowie die Förderung herstellerübergreifender Standards für die Modularisierung von Automatisierungssystemen und deren Schnittstellen. Beide Verbände stellen aus dieser Arbeit Anforderungen (Namur Empfehlung NE 148) an beziehungsweise geben Empfehlungen für die Automatisierungstechnik bei modulbasierter Produktion und leiten daraus verschiedene Thesen ab.

Basierend auf der NE 148 hat Wago mit seinem Dima-Konzept eine Lösung für die modulare Automation mit dezentralen Intelligenzen vorgestellt. Die wesentlichen Anwendernutzen liegen dem Automatisierungsspezialisten zufolge in der offenen Architektur des Systems. Auf diese Weise lassen sich intelligente Module im laufenden System flexibel integrieren oder abkoppeln. Ein weiterer Anwendernutzen ist das kostengünstige Engineering der Gesamtanlage. Dazu erfolgt die Kommunikation zwischen der übergeordneten Leitebene und dem dezentralen Modul über eine herstellerneutrale Semantik.

Neue Ansätze steigern die Flexibilität

Welche weiteren Vorteile bietet die modulare Automatisierungstechnik gegenüber einer konventionellen Automatisierung und was unterscheidet die beiden Ansätze? Wenn man über konventionell automatisierte Anlagen spricht, muss man zunächst zwischen vollständig integrierter Automation und der konventionellen Integration von Package Units (PUs) in ein Prozessleitsystem unterscheiden. Bei der vollständig integrierten Lösung sind alle prozessnahen Komponenten in ein zentrales Automatisierungssystem eingebunden. Der Operator hat Vollzugriff auf die Anlage. Gleichzeitig bedeutet dies einen hohen Integrations- und Inbetriebnahmeaufwand nicht nur bei der Erstinbetriebnahme, sondern auch bei nachträglichen Änderungen. Die Integration von PUs, also dezentral automatisierten Komponenten mit einer proprietären Schnittstelle zur Integration, ermöglicht aber eine flexiblere Lösung. Der Nachteil dabei: Dieser Ansatz verbietet den Zugriff auf die Feldebene. Die modulare Automatisierung versucht die Vorteile beider Ansätze zu kombinieren, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die einzelnen Prozessmodule werden dabei eigenständig automatisiert. Durch geeignete herstellerunabhängige Schnittstellen lassen sich diese dezentral automatisierten Einheiten in ein übergeordnetes Prozessführungssystem integrieren, in welchem die Prozessmodule orchestriert werden. Diese Schnittstellen ermöglichen zum einen eine variable Integrationstiefe, bis zum Vollzugriff auf das Modul, und zum anderen natürlich eine Kapselung der Modulfunktionalitäten. Dies führt zu einer Verringerung des Integrations- und Inbetriebnahmeaufwands und somit zu einer hohen Flexibilität. Insgesamt, so glauben viele Experten, wird dies dazu führen, dass klassische Leitsysteme bald der Vergangenheit angehören. Die Feldtechnik mit Sensorik und Aktorik ist heute schon intelligent und wird Teil des Internets der Dinge. Und auch die IT mit ERP- und MES-Systemen verbindet sich mit der Feldtechnik. Zwar muss man immer noch in Realzeit steuern und regeln, aber das klassische Leitsystem ist in dieser neuen Architektur ein Auslaufmodell.

Prozessindustrie auf dem Weg zur Industrie 4.0

Dass sich die Prozessindustrie im Wandel beziehungsweise in der digitalen Transformation befindet, zeigen Beispiele wie das chinesische Pharmaunternehmen Chengdu Rongsheng Pharmaceutical. Es hat seine Prozesse mit einem MES von Siemens modernisiert. Die Anlage zur Produktion von Blutplasma in Chengdu arbeitet jetzt mit einer hochmodernen elektronischen Chargendokumentation und ist stabiler und effizienter. Digitalisierung und vernetzte Produktion sind in Teilen also schon Realität, Lösungen und Produkte teilweise im Einsatz. Fazit: die Prozessindustrie ist bereits ein gutes Stück auf dem Weg zur Industrie 4.0 vorangekommen.


Auch für die Prozessindustrie gewinnt die Digitalisierung der Fertigung zunehmend an Bedeutung. Die verfahrenstechnischen Branchen stehen vor der Herausforderung, ihre Produktion stärker zu flexibilisieren

Bild: chombosan/Fotolia.com

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