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Es bleibt abzuwarten …

Experten-Interview zum Nutzen von Microsoft Windows 8 für Automatisierer
Es bleibt abzuwarten …

Mit der vor kurzem erfolgten Einführung von Windows 8 ist ein neues Betriebssystem verfügbar, das auf einer geänderten Strategie beruht und ein neues Bedienkonzept für alle Geräte – Smartphones, Tablets und PCs auch mit ARM-Prozessoren – unterstützt. Welchen Nutzen die Automatisierungswelt aus der aktuellen Version ziehen kann und welche Einschränkungen es bei der Nutzung geben wird, darüber äußern sich die die Experten im nachfolgenden Trendinterview.

elektro Automation: Eignet sich Windows 8 aufgrund seiner veränderten Architektur und Eigenschaften auch für die Automatisierungswelt; speziell als Betriebssystem für Engineering-, Steuerungs- und Bedien- lösungen?

Cord: Windows 8 bietet eine sehr hohe Kompatibilität zu seiner Vorgängerversion Windows 7. Alle Aufgaben, die bis heute mit Windows 7 erledigt werden, lassen sich auch auf Windows 8 portieren. Dies gilt besonders für Engineering- und Bedienlösungen. Die Lenze-Engineeringtools sowie das Visualisierungssystem VisiWin, das wir zusammen mit unserem Partner Inosoft entwickeln und vermarkten, lassen sich problemlos unter Windows 8 ausführen. Ob die großen industriellen Anwender jedoch firmenweit auf das neue Betriebssystem umstellen werden, ist noch offen. Es liegt nahe, dass viele nach dem Wechsel von XP auf Windows 7 abwartend reagieren werden.
Haag: Erste Tests bei uns haben bestätigt, dass die Unterstützung sowohl für Multitouch als auch für die Gestensteuerung gegenüber Windows 7 in Bezug auf Performance und Funktionalität deutlich verbessert wurde. Dadurch können zukünftige Anlagen-Bedienkonzepte in der Funktionsweise und Anwendung konzeptionell ähnlich gestaltet werden, wie wir sie von Tablet-PCs und Smartphones her kennen. Bei der Umsetzung gilt es jedoch zu beachten, dass sich das industrielle User-Interface in den Punkten Sicherheit, Zuverlässigkeit, Systemverhalten sowie Fehlerbehandlung deutlich vom Consumer-Interface unterscheidet.
Hauser: Ja, Windows 8 bietet beispielsweise Multitouch-Support, den Anwender bereits von ihren Smartphones oder Tablets her kennen und schätzen und daher auch im industriellen Umfeld erwarten. Attraktiv ist zudem die Unterstützung von mobilen Handheld-Devices, die auch einen weit- gehend nahtlosen Zugang zur bereits bestehenden Windows-Welt ermöglichen. Da derzeit mehr als die Hälfte der bestehenden Installationen im industriellen Feld auf Windows basieren, bietet Windows 8 also nicht nur hohes Innovationspotenzial sondern auch Investitionsschutz für bestehende Investitionen. Mit einem Trend in Richtung Industrie 4.0 und der daraus resultierenden Kommunikation vom ERP-System bis zur Steuerung hat es darüber hinaus seinen Reiz, eine einzige durchgängige Plattform für Bedien- und Visualisierungsaufgaben zu nutzen, die zudem auch einen – zumindest bei x86er-Plattformen basierten Lösungen – nahtlosen Übergang hin zu mobilen Geräten bietet. So ergibt sich ein einheitliches Look & Feel für alle Stufen der Automatisierungspyramide und OEMs haben völlig neue Möglichkeiten, ihre Applikationen zu vereinheitlichen. Clouds werden zudem unterstützt, um überall den gleichen Stand der Informationen zu haben. Um all das vor fremden Zugriff zu schützen, wurden zudem viele neue Sicherheitsfunktionen implementiert. Applikationsentwickler müssen hierfür aber komplett neue Lösungsansätze entwickeln. Auch können sie beispielsweise die dynamische Kachelstruktur des Startscreens nutzen, um aktuelle Applikationsinformationen anzuzeigen. Zudem können OEM die Microsoft-Shop-Funktionen für beispielsweise Upgrades oder Erweiterungen der Software nutzen. Insofern ist es nicht nur eine Frage des Betriebssystemwechsels wie früher: Wir haben jetzt nämlich komplett neue Features, die erst einmal auch in die Applikationen eingebettet werden müssen.
Hoppe: Aus der reinen Bewertung der technischen Features von Windows 8 ist alles gegeben: Alle Windows-7-Funktionalitäten sind weiterhin kompatibel verfügbar; zusätzlich kann man nun auch Windows RT Apps implementieren. Der eigentliche, fundamentale Wert von Windows 8 besteht jedoch darin, ein einziges Betriebssystem für den PC, das Tablet und das Smart-Phone zu haben. Das ist wunderbar gelungen und einzigartig am Markt.
Klein: Windows 8 ist sicher interessant als Engineering-Betriebssystem, es wird jedoch Anpassungen an der Applikationen zum optimalen Zusammenspiel geben müssen. Als HMI-Lösung wird die Applikation im Vordergrund stehen und das Betriebssystem eine untergeordnete Rolle spielen.
Knecht: Die Ziele, die sich Microsoft mit der Entwicklung von Windows 8 gesetzt hat, sind auch auf die Trendthemen im Bereich Bedienen und Beobachten sowie Engineering zugeschnitten. Die verbesserte Übersichtlichkeit und die erhöhte Benutzerfreundlichkeit auf Touch-Displays kommen der Automatisierungswelt zu Gute. Mit der Entwicklung von Windows RT für ARM-basierte Systeme steht den Herstellern von Bediengeräten und Tablet-PCs ein neues Betriebssystem zur Verfügung, welches das klassische Betriebssystem mit neuen Möglichkeiten zur Nutzung von Apps in der Automatisierungswelt ausstattet. Phoenix Contact hat eine App für den Bereich funktionale Sicherheit entwickelt. Das Werkzeug bietet einen Überblick, inwieweit Maschinen oder Anlagen den Anforderungen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG entsprechen.
Lang: Der Industriemarkt ist, gerade wenn es um den Einsatz von Betriebssystemen geht, bedeutend konservativer als der Consumer-Bereich. Auch heute noch kommt in der Mehrzahl der existierenden Applikationen Windows XP bzw. Windows Embedded auf XP-Basis zum Einsatz. Bei Neuprojekten sieht das natürlich anders aus. Wir erwarten schon in diesem Jahr, vor allem im Custo-mized-Bereich, die ersten Kundenanfragen nach Embedded-Systemen auf Basis von Windows 8. Windows 8 Embedded ist ja von Microsoft bereits für das erste Quartal angekündigt. Die erweiterte Multitouch-Unterstützung macht Windows 8 für unseren Panel-PC-Bereich sehr interessant. Damit lassen sich z.B. Maschinensteuerungen sehr einfach und schnell bedienen.
Meyer: Windows 8 ist nach unserer Ansicht grundsätzlich genauso gut geeignet wie die Vorgängerversionen. Wir planen, unsere Engineering- und HMI-Software künftig auch für den Einsatz mit Windows 8 zu testen und freizugeben. Von der Automatisierungssoftware erwarten Maschinen- und Anlagenbauer langfristige Kontinuität. Daher hat unser neues TIA-Portal eine eigene Oberfläche, die über viele Jahre stabil bleibt, unabhängig vom jeweils unterlagerten aktuellen Windows-Betriebssystem. Das reduziert den Einarbeitungsaufwand. Auch die Eigenschaften unseres echtzeitfähigen Software-Controllers Simatic WinAC sind nicht an spezielle Windows-Versionen gebunden.
Schagginger: Die Neuerungen in Windows 8 betreffen in erster Linie die Zielgruppe Tablets für den Consumer-Markt. Da die Basis weitgehend dieselbe ist wie bei Win-dows 7, beschränkt sich der Anwendungsbereich auf das Feld der Bediensysteme. Für die Echtzeitanforderungen der industriellen Steuerungswelt ist das neue Betriebssystem ebenso wenig prädestiniert wie seine Vorgänger – diese Welt bleibt weiterhin dedizierten Echtzeitsystemen vorbehalten bzw. kann nur eingeschränkt und mit speziellen Modifikationen (Realtime-Extender) für manche Anwendungen tauglich gemacht werden – allerdings werden die vermeintlichen Vorteile von Windows als Plattform „auf der alles schon vorhanden ist und alles läuft“ mitunter verloren gehen (z.B. Echtzeitfähigkeit von existenten Gerätetreibern).
elektro Automation: Windows 8 bietet viele Möglichkeiten, in wieweit wurde bei der Entwicklung auf die Anforderungen industrieller Anwendungen geachtet?
Cord: Microsoft bietet der Industrie mit den Windows-Embedded-Versionen eine Plattform, die speziell auch auf industrielle Anforderungen zugeschnitten ist. Auch Windows 8 wird es noch in diesem Jahr als Embedded-Variante geben. Mit Windows Embedded Standard 8 werden die neuen Features von Windows 8 auch für Embedded-Systeme und damit für die Industrie zugänglich. Hierzu zählen die Unterstützung von ARM-Architekturen und die verbesserte Multi-Touch-Unterstützung.
Haag: Beim Fokus auf „speziell“ gilt es zu differenzieren: Das neue Betriebssystem führt außer den oben genannten Features u.a. auch verbesserte Security und Protect Device Management, womit sich kundenspezifische Anforderungen hinsichtlich Systemsicherheiten optimaler gestalten lassen. Dagegen wird über „harte“ Echtzeitfähigkeit nicht gesprochen, die gerade bei Embedded-Steuerungen öfter erforderlich sein kann. Ein möglicher Lösungsweg führt hier über „dedicated“ Erweiterungen.
Hauser: Die Vollversion von Windows 8 liefert im Wesentlichen die Basis für eine komfortable Entwicklung neuer Mensch-Maschine-Interfaces mit Multitouch. Das kommende Windows Embedded 8 Industry wird zudem erweiterte Sicherheitsfunktionen bieten, beispielsweise für Multitouch-fähige Kassensysteme. Vorteilhaft ist auch die Tatsache, dass das Ökosystem von Windows in Richtung mobile Kommunika-tions-Features komfortabler und sicherer geworden ist und auch Clouds unterstützt. Damit werden auch wichtige Grundlagen für OEMs geschaffen, um ein deutlich komfortableres präventives Maintenance umzusetzen. Hierfür bieten wir bereits sehr leistungsfähige Stand-alone-M2M-Plattformen an, deren Technologie wir aber auch beispielsweise in unsere Windows 8 unterstützenden HMI-Plattformen integrieren können.
Hoppe: Vielfach wird nur die zuerst sichtbare Windows-8-Kachel betrachtet und die Frage gestellt: Braucht die SPS die Kachel? Das ist aber zu kurz gegriffen: Der AppLauncher erlaubt, die Applikation zu starten, die man benötigt – eben auch die Scada-App. Viele Entwicklungen sind für industrielle Anwendungen zugeschnitten: Beispielsweise schützen Writefilter die sensiblen Daten auf der CF-Karte. Branding bietet die Möglichkeit, alle Hinweise auf Microsoft zu eliminieren – auch die Sanduhr und alle Popup-Dialoge. Einziger Stolperstein (allerdings mit Showstopper-Qualität) könnte der Aktivierungsmechanismus von Windows-8-Consumer-Geräten sein: Sollte dieser aus dem Consumerbereich in den Industriebereich schwappen, hätte dies zur Folge, dass jedes Windows-Embedded-8-Gerät separat aktiviert werden müsste und somit Cloning-Mechanismen für Serienmaschinen nicht greifen würden. Als Microsoft-Embedded-Gold-Partner arbeiten wir – in Kooperation mit anderen Automatisierern – hier eng mit Microsoft zusammen.
Klein: Alle neuen Möglichkeiten werden sicherlich nicht in industrielle Anwendungen zum Einsatz kommen, insbesondere weil diese überwiegend Embedded-Versionen nutzen. Für Windows 8 Embedded sind die „Spezialitäten“ noch nicht alle bekannt.
Knecht: Trends wie der Einzug von Tablet-PCs in die Automatisierungswelt und die damit verbundene Multitouch-Bedienung werden durch das neue Betriebssystem Windows 8 besser unterstützt, auch die Bedienung wird harmonisiert. Mulititouch-Bedienung ist mittlerweile kein Trend mehr, sondern eine Anforderung aus den verschiedensten Industriebereichen. Bereits heute setzen viele Anwender bei ihren Bedienlösungen auf die Dual-Touch-Bedienung. Das sogenannte Wischen, Zoomen oder auch Drehen ersetzt die klassische Bedienung. Multitouch-Bedienung ist nicht nur auf zwei Finger beschränkt. Bei der Entwicklung neuer Industrie-PCs setzt Phoenix Contact in ersten Konzepten auf die P-CAP-Technologie (Projected Capacitive Touch Controller Technology), mit der bis zu zehn Finger gleichzeitig arbeiten können.
Lang: Ich denke, dass sich das Interesse an dem Markt schon sehr gut an der Änderung des Produktnamens ablesen lässt: Der Nachfolger von Windows POSready 7 soll Windows Embedded 8 Industry heißen. Die neue Windows-8-Version ist besonders gut geeignet für den Industriemarkt, da sehr einfach eine Embedded-Betriebssysteminstallation erstellt werden kann.
Meyer: Windows 8 enthält Funktionen wie Secure Boot und Hybrid Boot, die auch für Industrie-Anwendungen interessant und sinnvoll erscheinen. Beim neuen Lizenz- und Aktivierungskonzept, bei dem derzeit der Endanwender das Betriebssystem über eine Internetverbindung oder telefonisch aktivieren müsste, wurden allerdings die Belange von Automatisierungsherstellern sowie von Maschinenbauern und deren Endkunden aus unserer Sicht noch nicht ausreichend berücksichtigt. Als Marktführer bei Industrie-PCs sehen wir uns in der Rolle des Vermittlers zwischen Automatisierungsanwendern und Microsoft und führen Gespräche, um eine praxisgerechte Lösung zu finden.
Schagginger: Im Grunde ist Windows 8 wie seine Vorgänger nicht speziell für industrielle Anwendung konzipiert. Was die im Laufe von 2013 noch angekündigten Embedded-Varianten im Detail zusätzlich bieten werden, muss nach Bekanntgabe geprüft werden. Die neue Benutzeroberfläche Modern UI mit dem App-Konzept samt zugehörigem Online-Store zielt definitiv auf die Anwendungen mit Tablet-PCs ab. Zudem verteuert die kolportierte Notwendigkeit einer zwingenden Online-Aktivierung (auch für Industrieprodukte) die Logistik enorm. Positiv aufgefallen sind der vereinheitlichte Schreibfilter zur Verlängerung der Lebensdauer von Speichermedien und ein integrierte Funktion zum Sperren gewisser Tastenkombinationen.
elektro Automation: Wie groß ist der Druck des Markts; sind Multitouch und Mobilität die zukünftigen Verfahren für Verwaltung und Betrieb moderner Produktionsstätten? Werden die Automatisierer das UI im Modern-Stile akzeptieren und einsetzen?
Haag: Das Human Machine Interface wird immer stärker als integraler Bestandteil der Usability gesehen. Unter diesem Aspekt hat der Multitouch bereits Einzug in die industrielle Automatisierung gefunden. Auch die Modern-UI-Oberfläche wird in solchen Touchpanel-Systemen insbesondere im Verbund mit mobilem Bedienen über Smartphone und Tablet mittelfristig Akzeptanz finden – während bei Office-PCs, in denen traditionell per Tastatur und Maus bedient wird, diese sich wohl weniger eignet.
Hauser: Sehen wir es doch mal ganz pragmatisch: Anwender in Konsumermarkt gewöhnen sich an die Funktionen, die Multitouch bietet. Aus diesem Grund wird die Erwartungshaltung der Anwender zunehmend in Richtung Multi-Touch gehen. Alleine aus diesem Megatrend heraus, dem sich die Automatisier nicht verschließen sollten, herrscht starkes Interesse an diesem Thema. Wir haben mit unseren Micro Client 3 sowie OmniClient passende Systeme am Markt, die Multi-Touch unterstützen und damit auch bereits von Entwicklungsingenieuren getestet werden können. Und was Mobilität betrifft: Ja definitiv wollen Endkunden ihre Joblisten über Tablet-PCs abarbeiten und ihre Pager durch vollgrafische Handheld-Geräte ersetzen, um stets an jedem Ort eine qualifizierte Information zu erhalten.
Hoppe: Das Kachel-Design heißt nun offiziell New UI style – man sieht es bereits jetzt überall im Web. Hier hat Microsoft definitiv einen neuen Standard geprägt. Der Nutzer möchte die gewohnte UI-Interaktion mit Consumer-Geräten, Tablet und Smartphone auch im beruflichen Umfeld wiedersehen, und so wird nach der Multitouch-Bedienung eben auch New UI style in die Automatisierungswelt Einzug erhalten. Für ein Modern-UI-Design ist aber kein unterlagertes Win-dows 8 erforderlich. Multitouch wird von unseren Kunden definitiv eingesetzt – unsere HMI-Panels bieten Multitouch.
Klein: Multitouch wird sicherlich eine Rolle in der Automatisierung spielen, für Bedienlösung wird immer die Applikation die erste Rolle spielen und nicht ein Modern-User-Interface. Spannend ist jedoch inwieweit die Oberfläche die Bedienung: 1. Finger = Funktion A, 2. Finger = Funktion B, etc. standardisiert. Die heutige freien Gesten und Multitouch-Interpretation zu standardisieren ist die eigentliche Herausforderung.
Knecht: Der immer größer werde Bedarf an Informationen zwingt den Betreiber von Produktionsstätten dazu, Daten überall und mobil zur Verfügung zu stellen. Mobile Endgeräte wir Tablet PCs, aber auch Smart Phones, eignen sich heute schon für den Einsatz in der Automatisierung. Komplexe Prozessvisualisierungen können sie jedoch nicht darstellen. Hierfür eigen sich Industrie PCs, die als Panel-PC im Schaltschrank oder auch als Bedieneinheit vor Ort, direkt an der Maschine montiert sind. Die neue Benutzeroberfläche bei Windows 8 ist sicherlich größtenteils für den Konsumer-Markt entwickelt worden – Kacheln ersetzen dabei Icons. Ein Vorteil für die Automatisierung kann die einheitliche Darstellung auf unterschiedlichen Geräten zum Bedienen und Beobachten sowie das Engineering sein.
Kröger: Das Interesse an Multitouch-Lösungen ist bereits heute sehr groß. Der schnell wachsende Markt von Smartphones und Tablets hat Einfluss auf die technologischen Entwicklungen in der Automatisierungstechnik. Mit dem Modern UI von Windows 8 hat es auch Microsoft geschafft, eine sehr gute und innovative Umsetzung des Multitouch-Prinzips zu realisieren. Mit einem Akzeptanz-Problem ist daher nicht zu rechnen. Ganz im Gegenteil. Wir gehen davon aus, dass ein Anwender in Zukunft einfach erwartet, dass er gewisse Bedienaktionen bei der Maschinenbedienung mit Touch-Gesten ausführen kann, so wie er es auch von seinem Smartphone oder Tablet gewohnt ist. Darüber hinaus wünschen sich die Anwender, ihr Smartphone oder Tablet mit in den Bedien- oder Analyseprozess einer Maschine oder Anlage einbeziehen zu können.
Lang: Der Druck des Marktes in Richtung Multitouch ist sehr hoch. Für die Automa- tisierer ist nicht der Modern-UI-Stil entscheidend, sondern die Multitouch-Unterstützung des Betriebssystems. Bei der mobilen Verwaltung würde ich trennen zwischen Information, z.B. Meldungen der Anlagenfunktion, und einer aktiven Steuerung einer Maschine, bei der auch Sicherheitsaspekte mit berücksichtigt werden müssen.
Meyer: Das Interesse an Multitouchfunktionalität steigt, jedoch unabhängig von Windows 8, wobei derzeit nur wenige Anwender gezielt fragen. Aus unserer Sicht werden sich Multitouchgesten langfristig für die Bedienung von Maschinen und Anlagen durchsetzen. Unsere Scada-Software Simatic WinCC unterstützt in der neuen Version 7.2 bereits die Bedienung mit Ein- und Mehrfingergesten. Mit unserer Simatic-HMI-Software können die Anwender auch künftig ihre Bedieneroberflächen nach individuellem Design gestalten. Ob sich hierbei ein Modern-UI-ähnlicher Stil durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Um die mobile Bedienung von Simatic-gesteuerten Anlagen mit Smartphones zu ermöglichen, haben wir Apps in der Entwicklung, allerdings vorerst nicht für Windows-basierte Geräte.
Schagginger: Sowohl Multitouch wie auch mobile Endgeräte sind in der Industrie klar im Kommen. Komfort und natürliche Bedienkonzepte sind den Usern von Smartphones bekannt und werden erwartet – natürlich immer gepaart mit den Zuverlässigkeits- und Sicherheitsanforderungen der Industrie, was die flächige Einführung etwas langsamer voranschreiten lässt als der ursprüngliche Trend bei Privatanwendern. Speziell Multitouch gerade bei großen Diagonalen aber auch zunehmend Mobilität sind in der Industrie immer öfter Forderungen. Hier können viele positive Aspekte der Smartphone- & Tabletwelt einen guten Mehrwert bieten. Für Industrie-Bediensysteme ist Modern-UI kaum relevant – dort läuft immer eine HMI-Anwendung (Visualisierung) im Vordergrund. Diese Software muss dann die Multitouch-Unterstützung und das Gesten-Bedienkonzept implementieren. Anwender tun gut daran, sich zunächst von der Multitouch- und Gestenunterstützung des HMI-Softwareparket zu überzeugen und erst sekundär das Betriebssystem zu betrachten – Win-dows 8 unterstützt hier nicht wirklich – Multitouch mit Gesten ist auch mit Windows 7 bereits möglich (dessen Embedded-Variante von Microsoft übrigens bis 2025 offiziell unterstützt wird).
elektro Automation: Windows 8 unterstützt jetzt auch Arm-Architekturen. Mit den nun verfügbaren Windows- und Embedded-Versionen lässt sich Software prinzipiell durchgängig skalieren. Wie sieht es dabei mit der Kompatibilität aus?
Haag: Die Kompatibilität und das Systemverhalten müssen für jede Anwendung separat geprüft werden. Da unter Windows 8 die Modern-UI-Apps mit HTML5- und Java-Bytecode realisiert wurden – um von x86- bzw. ARM-Rechnerplattformen unabhängig zu sein – werden die bisherigen Programme auf den ARM-Systemen nicht lauffähig sein.
Hoppe: Früher musste man überlegen, welche UI-Technologie man einsetzt, um ein User-Interface lokal am PC aber auch Remote auf dem Tablet oder Telefon ausführen zu können. Für jeden Zweck gab es eigene Tools. Nun steht mit Visual Studio ein einziges Tool zur Verfügung, mit dem Apps auf die verschiedenen Plattformen geladen werden können. Einen Sourcecode-Stand auf verschiedene Zielgeräte zu kompilieren und zu laden ist für die Automatisierungswelt nicht neu: Unsere Kunden profitieren von der Skalierbarkeit des SPS-Codes auf die unterschiedlichen Beckhoff-Steuerungen bereits seit Jahren. Microsoft tut das nun auch – was wir begrüßen. Schön wäre es, wenn sich Hersteller auch ihre ARM-CPU basierenden Geräte mit Windows-Embedded-8-Images selber skalieren könnten. Aktuell geht das nicht, da Windows Embedded 8 nur skalierbar für x86/x64-Geräte aber fest vorinstalliert auf der Klasse der Tablets und Smartphones verfügbar ist.
Klein: Beijer Electronics bietet seit der Vorstellung der iX-HMI-Software im Jahre 2010 eine durchgängige Lösung: von ARM bis Intel-I7-Architektur. Die Komptabilität der Betriebssysteme hat dabei immer schon eine Rolle gespielt, jedoch sind auch funktionelle Abgrenzungen einzelner Geräteserien immer ein Diskussionspunkt. Wir sind gespannt, welche neuen Möglichkeiten uns Windows 8 hier bieten wird und werden diese sicherlich in die Entwicklung neuer Produkte und Lösungen aufnehmen.
Knecht: Die Zertifizierungsrichtlinie von Microsoft für Industrie-PCs, auf denen Win-dows 8 vorinstalliert ist, sehen vor, dass diese IPCs anstatt eines konventionellen BIOS das UEFI verwenden. Diese Systeme müssen so konfiguriert sein, dass sie standardmäßig Secure Boot verwenden. Das sichere Booten soll verhindern, dass beispielsweise Viren-infizierte Software während des Boot-Vorgangs ausgeführt wird. Bei Systemen mit Arm-Architektur könnte das zu Problemen beim Booten führen. Es gibt keine Kompatibilität von Windows-8-Applikationen mit Windows RT, nur Windows-Store-Apps können installiert werden. Dadurch sind kundenspezifische Anpassungen und schnelle Reaktionen auf neue Anforderungen nicht möglich. Es bleibt also abzuwarten, ob Windows RT alle Anforderungen eines embedded Betriebssystems erfüllt und gleichzeitig eine Skalierung von einfachen Bediengeräten bis hin zu komplexen Industrie-PC-Systemen mit Windows 8 möglich ist.
Kröger: Windows 8 stellt grundsätzlich zwei parallele Ebenen zur Ausführung von Programmen zur Verfügung. Auf der einen Seite unterstützt Windows 8 die klassischen Desktop-Anwendungen. Neu in Windows 8 sind sogenannte Apps. Diese Apps basieren auf dem neuen Betriebssystem API Win RT. Win RT steht durchgängig sowohl auf ARM wie auch auf X86-basierten Architekturen zur Verfügung. Die auf dieser API basierenden Apps sind somit sehr gut skalierbar. Anders sieht es bei den klassischen Desktop-Anwendungen aus. Diese können ausschließlich auf X86-basierten Plattformen ausgeführt werden. Die Portierungsmöglichkeiten von Desktop-Anwendungen auf Win RT hängen stark von der Anwendung selbst ab. Da Microsoft mit Win RT in erster Linie touch-basierte Userinterfaces im Blick hat, fallen vor allem Anwendungen, die längere Eingaben über eine Tastatur erfordern, unter den Tisch. Für eine typische Maschinenbedienung (HMI) stellt Win RT allerdings eine sehr komfortable Plattform dar. Wer bereits heute zur Entwicklung von Desktop-Anwendungen moderne Anwendungsframeworks wie z.B. Microsoft .net einsetzt, wird sich bei der App-Entwicklung auf Basis von Win RT zudem sehr schnell zurechtfinden.
Lang: Das ist eine sehr spannende Frage. Ich denke, viele Anwender glauben an eine Kompatibilität, die es real gar nicht geben wird.
Meyer: Skalierbarkeit und Kompatibilität sind im Simatic-Automatisierungsspektrum bereits länger ein wesentliches Systemmerkmal und bleiben ein zentrales Thema bei unseren Innovationen. Wir haben diese Eigenschaften so implementiert, dass wir dabei unabhängig von aktuell verfügbaren Betriebssystemversionen sind.
Schagginger: Diese Unterstützung ist laut Microsoft auch für Windows Embedded 8 geplant, allerdings ist noch nicht klar, welche zukünftigen Versionen dies betreffen wird. Laut Roadmap sind Varianten für Kiosksysteme/POS (Industry), für Smart- phones (Handheld) und Automotive, also Fahrzeuge/Infotainment geplant. Anzunehmen ist, dass zumindest die Handheld- variante von Windows Embedded 8 Handheld ARM-Architekturen unterstützen wird. Eine Windows-8-Variante im Konsumersegment heißt Windows RT, deren Kürzel sich leider nicht auf Realtime bezieht und die ausschließlich für Vorinstallation auf kostengünstigen Tablet-PCs mit langer Akkulaufzeit gedacht ist. Auf dieser Plattform kann man nicht direkt Softwareapplikationen installieren, sondern lediglich aus dem Win-dows-Store von Microsoft herunterladen. Ob es auch ein Windows Embedded 8 RT-Derivat geben wird oder Windows Embedded 8 Handheld dieses Derivat sein wird, ist derzeit nicht öffentlich bekannt. Anwendungen die auch die ARM-Plattformen unterstützen sollen, müssen in jedem Fall speziell dafür entwickelt bzw. übersetzt werden, womit nicht wirklich von einer völlig durchgängigen Skalierung gesprochen werden kann. Wer also Windows 8 auf Steuerungen erwartet hat, wird enttäuscht sein. Wer Kompatibilität für Bediensysteme über Plattformgrenzen hinweg sucht (vom PC/IPC bis zum Smartphone), sollte sich an den neuen, rein webbasierten Visualisierungslösungen und Scada-Systemen wie ‚atvise‘ oder ‚webMI‘ orientieren – mit HTML5 und SVG sind hier seit kurzem sehr starke Lösungen unabhängig vom Prozessor oder Betriebssystem möglich geworden.

DIE EXPERTEN
    • Dr. Thomas Cord, Geschäftsführer von Lenze Automation in Aerzen ( www.lenze.com)
    • Roland Haag, Produktmanager für Customized Computer Systems bei MSC Tuttlingen GmbH ( www.msc-tuttlingen.de)
    • Norbert Hauser, Executive Vice President Marketing bei der Kontron AG in Eching ( www.kontron.com)
    • Stefan Hoppe, Produktmanager Twincat, Connectivity & Embedded Systems bei Beckhoff Automation GmbH in Verl, Microsoft Embedded MVP (www.beckhoff.de)
    • Michael Klein, Product Manager EMEA, Beijer Electronics GmbH & Co. KG in Unterensingen (www.beijerelectronics.com)
    • Dietmar Knecht, Mitarbeiter im Produktmarketing des Geschäftsbereichs Control Systems bei Phoenix Contact GmbH & Co. KG in Blomberg ( www.phoenixcontact.de)
    • Sven Kröger, Produktmanager VisiWin Visualisierungssysteme bei Inosoft GmbH/Lenze in Hiddenhausen ( www.inosoft.com)
    • Christian Lang, Leiter Marketing bei der DSM Computer GmbH in München ( www.dsm-computer.de)
    • Elske Meyer, Leiterin Marketing und Promotion Simatic PC-based Automation, Siemens-Division Industry Automation, Nürnberg ( www.siemens.de/automation)
    • Matthias Schagginger, Senior Manager Product Line Management bei Bachmann electronic GmbH in Feldkirch/A ( www.bachmann.info)

INFO-TIPP
Wer Kompatibilität für Bediensysteme über Plattformgrenzen hinweg vom PC/IPC bis zum Smartphone sucht, sollte sich an den webbasierten Lösungen orientieren. HTML5 beispielsweise ist unabhängig von Prozessor oder Betriebssystem. Was HTML5 auszeichnet:
http://dev.w3.org/html5/html4-differences/
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