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Autonome Systeme – wer haftet?

Netlaws-Konferenz
Autonome Systeme – wer haftet?

Rechtliche Fragestellungen hinsichtlich Industrie 4.0, E-Health und Smart Mobility sind komplex – und häufig ungeklärt. Auf der ersten Netlaws-Konferenz in Nürnberg trafen sich 150 Rechtsexperten aus Deutschland und der Schweiz, um entsprechende Fragen zu vertiefen und sich darüber auszutauschen. Mitveranstalter Eric Hilgendorf, Leiter der Forschungsstelle Robotrecht an der Uni Würzburg, beantwortete uns einige Fragen.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der elektro AUTOMATION

Eric Hilgendorf, Professor an der Universität Würzburg und Leiter der 2010 dort eingerichteten Forschungsstelle Robotrecht erklärt: „Das Recht wird durch technische Revolutionen einerseits beeinflusst und mehr oder weniger rasch verändert. Andererseits ist der rechtliche Rahmen auch für die Entwicklung und Durchsetzung von Innovationen von Bedeutung.“ Recht könne Innovation hemmen, es könne sie aber auch fördern.
Die rechtlichen Herausforderungen, die sich im Bereich der Automatisierung stellen, knüpfen eng an die juristischen Fragestellungen um autonome Systeme und Robotik an, gehen jedoch zum Teil noch weit darüber hinaus. So muss man fragen, wem in einem weitgehend anonymen, vernetzten System im Schadensfall die Verantwortung zugewiesen werden kann? Wie wirkt sich die (Teil-)Autonomie einer Maschine auf die Verantwortlichkeit ihres Herstellers, Verkäufers oder Nutzers aus? Hier könnte sich Hilgendorf vorstellen, dass die Gefährdungshaftung auch auf Industrieroboter oder ähnliche Systeme angewandt wird. Die Gefährdungshaftung stammt aus der Zeit der ersten Eisenbahnen und ist heute vor allem im Straßenverkehr zuhause: Der Halter eines Fahrzeuges ist zivilrechtlich haftbar, wenn ihm etwa ein Kind vor das Auto läuft. Seine Versicherung zahlt, obwohl er – strafrechtlich – keine Schuld am Unfall trägt.
„Die Gefährdungshaftung ist immer ein Multiplikator für die Sicherheit eines Produktes. Der Hersteller bekommt durch die eindeutig geregelte Haftungsfrage einen Anreiz, sein Produkt noch sicherer zu machen, um so die Möglichkeit einer Haftung so weit wie möglich auszuschließen“, erklärt Hilgendorf. Auf die Frage, ob im Falle der Industriesysteme dann deren Hersteller oder Betreiber haften würden, sieht Hilgendorf gesetzestechnisch beide Seiten: „Hersteller haften aber teilweise schon über das Produkthaftungsrecht – die ‚Betreiberhaftung‘ dürfte also dringlicher sein.“ Häufig wird in solchen Fällen von ‚gefährlichen Maschinen‘ gesprochen, so dass der Begriff etwas schwammig ist. „Eine eindeutigere Definition ist hier nicht nötig, weil die Gefährdungshaftung etwa an das Betreiben jedweder Maschine in der Produktion anknüpfen könnte. Dass die Maschine gefährlich war, ergibt sich ja dann daraus, dass ein Schaden aufgetreten ist.“
Klare Produkthistorie für Haftungsbeschränkung
Bei der zivilrechtlichen Haftung wird grundlegend zwischen solchen Haftungstatbeständen unterschieden, die der Schädiger verschuldet hat und die er deshalb vertreten muss, und solchen, die an der Fehlerhaftigkeit eines Produktes ansetzen. Bei der erstgenannten Haftungsform muss die Verantwortlichkeit für einen kausalen Schaden positiv bewiesen werden, um eine Ersatzpflicht auszulösen. Dagegen reicht im Rahmen der verschuldensunabhängigen Haftung das Vorhandensein eines objektiven Produktfehlers, um eine Haftung anzunehmen. Es besteht aber die Möglichkeit, diesen weitgehenden Haftungstatbestand zu beschränken und sich nachträglich zu exkulpieren, also von der Schuld zu befreien. So kann der Hersteller nachweisen, dass sein Produkt dem aktuellen Stand der Technik entsprach und er seine sonstigen Pflichten bei Konstruktion, Produktion und Instruktion des Nutzers nicht vernachlässigt hat.
Besondere Bedeutung besitzt hierbei die Dokumentation aller relevanten Abläufe, um im Falle eines gerichtlichen Verfahrens Nachweise über die einzelnen Arbeitsschritte und Verwendungen in den Stadien von der Produktidee bis hin zum Lebensende des Produktes vorlegen zu können. Hier könnte eine Norm entstehen, ähnlich etwa der penibel vorgeschriebenen Ablageform der Buchhaltungssoftware im Rechnungs- und Steuerwesen. Hersteller von PLM-Software, in welcher die Historie einer Maschine von der Idee bis zum letzten Update abgelegt wird, könnten künftig per Gesetz genau vorgeschrieben bekommen, wie die bisher unregulierte Ablage des Produktlebenszyklus auszusehen hat. So könnten Hersteller gefährlicher Maschinen künftig gerichtsfest eine saubere Entwicklung nachweisen.
Neue Gesetze und Personen
Die Automatisierung wirft also eine Vielzahl von schwierigen Rechtsfragen auf: „Diese gilt es zu identifizieren, um dann zusammen vor allem mit Technikern und Ökonomen Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Erforderlich ist daher eine interdisziplinäre Herangehensweise“, erklärt Hilgendorf. Dass Deutschland hier sehr weit vorne liegt, verdeutlicht er mit einem treffenden Vergleich: „Das deutsche Recht ist weltweit Exportschlager, ähnlich dem Silicon Valley im Bereich Technologie. Eine Rezeption des deutschen Rechts – vor allem des Strafrechts – findet in ganz Lateinamerika, in Japan, Südkorea und China statt. Zudem nimmt der internationale Einfluss des deutschen Verfassungsrechts zu.“ Dennoch mache nicht jede neue Situation, wie etwa das (teil-)autonome Fahren, auch gleich neues Strafrecht nötig. Häufig führe das sogar zu noch mehr Grauzonen, die mit jedem neuen Fall wieder angepasst werden müssten: „Neues Strafrecht macht nur Sinn, wenn als sozial schädlich empfundene Handlungen nicht verfolgt werden können, so etwa bis in die Mitte der 80er Jahre hinein das Löschen fremder Daten. Es handelte sich nicht um eine Sachbeschädigung, weil Daten keinen Sachcharakter hatten. Der Gesetzgeber musste deshalb eine neue Strafnorm, § 303a StGB, einführen“, so Hilgendorf.
Ebenso wird derzeit diskutiert, wie mit autonomen Systemen rechtlich umgegangen werden muss, als einfaches Beispiel dient etwa der Strafzettel für das autonome Auto – wer zahlt, da ja weder Halter noch Hersteller wirklich verantwortlich sind? Der Aspekt lässt sich auf alle autonomen Systeme übertragen, da sie theoretisch eigenständig ‚versehentlich‘ Gesetze brechen könnten. Die Lösung wäre eine neue Personenform, neben der Natürlichen und der Juristischen eine sogenannte ‚e-Person‘, die dann – ähnlich einer Firma – wiederum von den Verantwortlichen, etwa dem Fahrzeughalter, mit Mitteln oder einer Versicherung ausgestattet werden müsste.
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