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All-in-one-Modell bleibt Zukunftsmusik

Experten-Interview zur Disziplin-übergreifenden Zusammenarbeit in der Produktentwicklung
All-in-one-Modell bleibt Zukunftsmusik

Trotz des stetig steigenden Softwareanteils in modernen Produkten – insbesondere auch im Maschinen- und Anlagenbau – werden häufig noch Mechanik, Elektrotechnik und Software zunächst voneinander getrennt entwickelt und erst relativ spät zusammengeführt. Wünschenswert wäre eine frühere und engere Kopplung. Denn auf diese Weise ließe sich auch die Steuerungssoftware bereits am digitalen Prototypen testen. Die elektro Automation fragte deshalb Anbieter von Automatisierungslösungen und Entwicklungswerkzeugen nach Konzepten für die Umsetzung einer solchen Strategie – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Diskussion um die Industrie 4.0.

elektro Automation: Welche Werkzeuge bieten Sie bereits heute an, die zumindest teilweise die parallele Entwicklung von Mechanik, Elektrotechnik und Software erlauben? In welcher Form werden dazu die Entwicklungsdaten gespeichert?

Chidester (Zuken): E3.series ist Zukens Angebot für die Auslegung von Kabelbäumen, Leitungen, Bediengeräten bis hin zum Leitstand sowie Fluidtechnik. E3.3DRoutingBridge ermöglicht dabei die Zusammenarbeit zwischen Elektro- und Mechanik-Ingenieuren. Die Software verbindet die beiden Disziplinen und erlaubt so das Concurrent Engineering. Die Daten werden dazu entweder über XML-Dateien ausgetauscht, in bestimmten Anwendungen auch über eine einheitliche zentrale Datenbank. Bezüglich der Datenspeicherung bietet Zuken sowohl eine eigene proprietäre Datenmanagementlösung einschließlich Prozessverwaltung an als auch die Möglichkeit der Integration in entsprechende Lösungen aus der Mechanik-Konstruktion. Der Anwender kann auf diese Weise seine Arbeit in E3.series managen und mit der Mechanik-Seite abstimmen.
Egermeier (B&R): Mit ‚Automation Studio‘ bietet B&R ein integriertes Entwicklungswerkzeug für die industrielle Automatisierung, das die trennenden Mauern zwischen den einzelnen Disziplinen abbaut. Eine der wesentlichsten Neuerungen von Automation Studio 4 ist die Modularisierung auf einer höheren Ebene durch autonom lauffähige Applikationsmodule. Diese können unterschiedlich groß sein und einzelne Funktionen, aber auch ganze Maschinenteile oder Teilmaschinen repräsentieren. In ihrem Inneren können sie hierarchisch aus einzelnen Funktionsblöcken, ganzen Programmen oder beliebigen Mischungen davon bestehen. Neben einer erleichterten Abbildung modularer Maschinenkonzepte erlaubt die Modularisierung mittels Applikationsmodulen eine Verteilung der gesamten Entwicklungsaufgabe auf mehrere Entwickler, die nicht notwendigerweise im selben Haus sitzen müssen. Auf der Grundlage vereinbarter Schnittstellen können diese Applikationsmodule gleichzeitig entwickelt und durch Simulation der Umgebung ausführlich getestet werden, ohne dass dies gleichzeitig erfolgen muss. Darüber hinaus stellt B&R in Automation Studio 4 eine ganze Reihe vorgefertigter Bibliotheken und Funktionsmodule – etwa für die Ansteuerung von Antriebsachsen – zur Verfügung. Diese Bibliotheken und Module müssen nur noch in das eigene Projekt integriert werden.
Imbusch (Aucotec): Die Aucotec AG hat für das disziplinübergreifende Engineering eine datenbankbasierte Software-Plattform entwickelt, die schon heute die Möglichkeit bietet, Elektrotechnik und Software-Erstellung durch Verknüpfung deutlich zu optimieren. Die Offenheit von ‚Engineering Base‘ erlaubt zum einen bidirektionale, systemneutrale Kopplungen mit der mechanischen 3D-Welt und zum anderen Integrationen für die Software-Erstellung mit Leitsystemen von ABB und Siemens. Mit Engineering Base arbeiten die verschiedenen Disziplinen auf ein und demselben digitalen Objektmodell. Jede Disziplin hat dabei ihren eigenen Wertebereich, der von den anderen eingesehen werden kann. Aber jede Disziplin kann auch direkt auf den bereits erarbeiteten Daten der anderen aufsetzen. Der in die Plattform integrierte SQL-Server hält alle einmal erstellten Informationen in dem zentralen Datenmodell fest. So lässt sich diese Datenhaltung in einem gewissen Rahmen als intelligentes PDM-System nutzen, dabei sind sämtliche Informationen navigierbar verbundene Live-Daten.
Pesch (Eplan): Eplan bietet heute skalierbare Werkzeuge an, die je nach Reifegrad der Interdisziplinarität in der Entwicklung unterschiedliche Wege aufzeigen. Die Kopplung der Hardwarekonstruktion mit der Softwareentwicklung, beispielsweise auf Basis von SPSen, ermöglicht die für beide Disziplinen gemeinsame Erstellung/Nutzung typischer Zuordnungslisten. Diese enthalten relevante Daten wie etwa SPS-Adresse, Datentyp, symbolischer Operand, Funktionstext, Betriebsmittelkennzeichen und Anschlussbezeichnung. Zusätzlich kann noch die Hardwarekonfiguration für SPS-Baugruppen erstellt werden. Je nach zeitlichem Verlauf können diese Daten etwa von der Hardwarekonstruktion an die Softwareentwicklung übergeben werden oder auch umgekehrt – die Daten werden nur einmal eingegeben, Mehrfachaufwände und potenzielle Fehlerquellen entfallen. Sollten Änderungen erfolgt sein, sichern Synchronisations- und Abgleichmechanismen die Datenkonsistenz. Das Eplan Engineering Center – kurz EEC – bietet darüber hinaus sowohl die Methode als auch das Werkzeug zum baukastenbasierten, disziplinübergreifenden Engineering. Dabei wird beispielsweise eine Maschine aus vordefinierten Baukastenmodulen ‚zusammengebaut‘. Nach der funktionalen Komposition können dann diverse Unterlagen und Dokumente generiert werden, wie etwa das 3D-Modell der Maschine bezüglich der Mechanik, die gesamte Elektrodokumentation inklusive Schaltplänen und Stücklisten bezüglich der Elektrik sowie die Hardwarekonfiguration der Steuerung/SPS plus zugehörigem Sourcecode bezüglich der Software. Die Abdeckung von einzelnen Disziplinen ist auch möglich.
Widmann (WSCAD): Für das parallele Engineering bieten wir unsere WSCAD-Suite-Produktpalette an. Je nachdem, in welchem Umfeld der Planer zu Hause ist, haben wir die passenden Technologien in verschiedenen Suiten zusammengestellt. Für die Schaltplanerstellung bis hin zum mechanischen Aufbau und dem automatischen Drahtrouting sind alle projektspezifischen Informationen in einer zentralen Projektdatenbank hinterlegt und stehen jederzeit zur Verfügung. Je nachdem, welche WSCAD Suite zum Einsatz kommt, sind die benötigten Engineering-Daten bereits vor der Planerstellung in das Projekt beziehungsweise die Projektdatenbank integrierbar. Der Anwender kann somit selbst entscheiden, ob er zunächst den Stromlaufplan erstellt oder erst den Schaltschrankaufbau. Im Gegensatz zur mechanischen Konstruktion nutzen wir bei der Softwareintegration zur Zeit Excel für den einfachen Datenaustausch mit Programmiersystemen.
elektro Automation: Welche Ansätze sehen Sie, Daten zu allen drei Disziplinen zusammenzuführen – ohne dass dazu von Zeit zu Zeit Daten über Schnittstellen zwischen den beteiligten Systemen ausgetauscht werden? Und über die Entwicklungsphase hinausgehend: Wie lassen sich Service- und Wartungsinformationen möglichst effizient bereitstellen?
Chidester (Zuken): Ein allgemein gültiges Datenformat wäre ideal für den Austausch zwischen den beteiligten Disziplinen; die Herausforderung liegt jedoch darin, die Performance innerhalb der Entwicklungsumgebung zu optimieren. Jede Disziplin stellt hier ihre eigenen Anforderungen und nicht jede benötigt jedes Element. Das erfordert verschiedene Datenmodelle, um eine maximale Performance der Entwicklungswerkzeuge sicherzustellen. Würde man all diese Daten in einer Datenbank zusammenführen, würde sich das nachteilig auf die System-Performance auswirken und das wiederum die Produktivität des Anwenders beeinflussen. Bereits seit einiger Zeit wird deswegen nach einem universellen Datenaustauschformat gesucht, was aber noch nicht vollständig gelungen ist. Ziel muss sein, auf einer Spezifikation aufzusetzen, die sowohl die allgemeinen als auch die speziellen Anforderungen jeder Disziplin berücksichtigt. Sollte diese gefunden sein, wird es in einem nächsten Schritt darum gehen, jeden Anbieter von Entwicklungswerkzeugen dazu zu bewegen, diese Spezifikation in seinen Werkzeugen zu implementieren. Denn letztlich ist dies der effizienteste Weg, die Anforderungen zu erfüllen.
Egermeier (B&R): Der Austausch von Daten zwischen den einzelnen Applikationsmodulen erfolgt in Automation Studio mithilfe des Mappings von Prozessvariablen, ein bereits heute bewährter Mechanismus. Die Variablen müssen nicht global von außen definiert werden. Innerhalb des Applikationsmoduls wird definiert, welches andere Modul zu welchen Bereichen des eigenen Adressraums Zugriff erhält. Auf diese Weise muss nicht im ersten Projektierungsschritt an alles gedacht sein. Auch im Lauf der Entwicklung kann die Definition von Schnittstellen zum Datenaustausch erfolgen. Das Kompilieren der Applikationsmodule erfolgt einzeln. Sie können daher für Tests und zur sukzessiven Inbetriebnahme nach und nach in die Zielhardware geladen werden, was die Fehlersuche und -behebung stark erleichtert und beschleunigt. Als Gemeinsamkeit ist für die weitgehend voneinander getrennten Komponenten lediglich eine Software-Konfiguration und eine Hardware-Konfiguration als Information über die Laufzeitumgebung erforderlich, in der sie im Endeffekt arbeiten müssen. Änderungen erfolgen sowohl in der Prototypenphase als auch im Fall späterer Weiterentwicklungen in klar umrissenen Teilen der Gesamtanlage, was das Risiko von Qualitätsverlust durch schnelle Änderungen minimiert.
Imbusch (Aucotec): Engineering Base ist, wie es auch für Maschinen- und Anlageneinheiten im Konzept der Industrie 4.0 beschrieben ist, eine kommunikationsfähige eigenständige Einheit, die in der Lage ist, mit anderen Produkten zu kommunizieren. Sie kann jederzeit von anderen Systemen angesprochen beziehungsweise abgefragt werden und selbst andere Systeme abfragen. Damit ist sie leicht in ein flexibles System eigenständiger Einheiten zu integrieren. Alle Daten des digitalen Anlagenmodells lassen sich über diese Mechanismen bidirektional er- und bearbeiten. Darüber hinaus können Service- und Wartungsinformationen entweder direkt über den Engineering Base Web-Server abgerufen oder über eine spezielle Wartungs-App auf einem mobilen System zur Verfügung gestellt werden. Die Plattform ist zudem bereits jetzt Industrie 4.0-fähig, denn diese Wartungsinformationen könnten von beliebigen autorisierten Systemen angefordert und verarbeitet werden – ohne Eingriff in die Programmierung von Engineering Base.
Pesch (Eplan): Sollte die maßgebliche Randbedingung der Verzicht auf Schnittstellen sein, so ginge das meines Erachtens nur dann, wenn alle am Prozess beteiligten Werkzeuge ihre Daten im selben Modell ablegen würden. Diese Architektur hätte eine gewisse Ähnlichkeit mit der Eplan-Plattform, in der heute die Daten von Elektrik-, Fluid- und Schaltschrankkonstruktion gleichermaßen abgelegt sind. Voraussetzung wäre allerdings, dass sich alle Werkzeughersteller auf ein einheitliches Datenhaltungskonzept einigen müssten. Das erscheint mir absolut unrealistisch. Würde man Schnittstellen zulassen, gäbe es theoretisch noch die Möglichkeit, die benötigten Metadaten in einem Datenbackbone abzulegen. Das hätte gewisse Ähnlichkeit mit der Struktur heutiger PDM-Szenarien. Unabhängig davon lassen sich heute bereits Wartungs- und Serviceinformationen komfortabel und effizient bereitstellen. Über Methoden wie beispielsweise die Versionierung oder Zeitstempel können aktuelle Daten leicht und sicher den jeweiligen Personengruppen zur Verfügung gestellt werden. Setzt man dazu noch portable oder mobile Geräte wie Tablet-PCs oder Smartphones ein, so kann man unter Nutzung diverser Such- und Filtermöglichkeiten Informationen ‚on demand‘ abrufen.
Widmann (WSCAD): Ein pauschaler Ansatz, welcher eine allgemein gültige Lösung darstellt, ist sehr komplex – aber grundsätzlich nicht unmöglich. Dennoch würde die große Anzahl an Informationen, welche für die verschiedenen und unterschiedlichsten Systeme bereit gestellt werden muss, die Performance in einem derartigen Ansatz sehr beschränken. Ein optimaler Weg ist es, zunächst die benötigten Informationen sowie den gewünschten Workflow im Unternehmen zu analysieren und zu bewerten. Aufbauend auf dieser Basis erarbeiten die am Optimierungsprozess beteiligten Softwarehersteller beziehungsweise Unternehmen eine für den Kunden perfekt zugeschnittene Lösung. Denn jedes beteiligte Unternehmen ist Spezialist in seinem Gebiet und kann so dem Kunden eine solche angepasste Lösung präsentieren. Somit lassen sich Unterlagen sehr stark standardisieren und sind auch für den Service-Fall stets aktuell, was sich wiederum auf die Reaktionszeiten auswirkt.
elektro Automation: Welche Möglichkeiten gibt es bereits heute, speziell Steuerungscode – für eine Maschine oder Anlage – schon an digitalen Prototypen zu testen und zu optimieren? Welche Schwierigkeiten treten hier auf und wie lassen sie sich derzeit lösen?
Chidester (Zuken): Die Offenheit von E3.series ermöglicht es bereits vielen Kunden, ihre digitalen Entwürfe entweder mit automatischen Testmodulen zu koppeln, seien es ihre eigenen oder solche bei Partnern und Zulieferern. Das trifft vor allem für die Automobil- sowie die Luft- und Raumfahrtindustrie zu, in einigen Fällen aber auch schon für den Maschinen- und Anlagenbau. Wird diese Kopplung genutzt, führt das zu deutlichen Zeiteinsparungen und präziseren Testergebnissen.
Egermeier (B&R): Angesichts der hohen Kosten von Einzelanfertigungen sollte bereits der Prototyp einer neuen Maschine ein Volltreffer sein. Eine bewährte Methode, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Simulation, bei der Produkteigenschaften in der virtuellen Welt überprüft werden, ehe auch nur ein einziges physisches Teil gefertigt wird. Zur Unterstützung der modellbasierten Entwicklung bietet B&R bereits Konnektoren zur automatischen Übernahme von C-Code oder Structured Text aus Simulations-Softwarepaketen wie Simulink oder MapleSim mit eigens dafür entwickelten Code-Optimierungsalgorithmen zur Beschleunigung der Ausführungsgeschwindigkeit. In Automation Studio 4 wurde die Code-Schnittstelle zu den Simulationsprogrammen um die durchgängige Einbindung hilfreicher Mechanismen für die Meta-Ebene erweitert. Zusätzlich lassen sich Funktionsbausteine von Automation Studio an die Simulationsprogramme zur Überprüfung, Optimierung und Integration in Gesamtmodelle übertragen. Kunden berichten, dass die dadurch erzielten Verkürzungen der Entwicklungsprozesse über ihre Erwartungen hinausgehen, auch weil die Software-Qualitätssicherung quasi ohne zusätzlichen Aufwand ein wesentlich höheres Level erreicht.
Imbusch (Aucotec): Engineering Base unterstützt den Anwender bei der Erstellung von Steuerungscode – eine automatische Generierung ist für verschiedene Steuerungen verfügbar. Diese Daten können dann wiederum von Testprogrammen und für eine virtuelle Inbetriebnahme angefordert und verarbeitet werden. Es müssen hierfür keinerlei Ergänzungen in Engineering Base vorgenommen werden.
Pesch (Eplan): An dieser Stelle ist die ‚virtuelle Inbetriebnahme‘ zu nennen. Ziel ist es, das Steuerungsprogramm bereits am digitalen Modell zu testen, das heißt vor der physikalischen Installation der Maschine am Aufstellort. Bezüglich der Umsetzung gibt es unterschiedliche Varianten. So kann man die Steuerung selbst als ‚echte‘ Steuerung aufbauen – ‚hardware in the loop‘ –, aber wie die eigentliche Maschine auch, digital simulieren. Die größten Schwierigkeiten oder eher Hürden sehen wir derzeit in dem Aufwand, der für die Erstellung von Simulationsmodellen geleistet werden muss. Das hat oft die Abwägung zwischen virtueller Inbetriebnahme und dem Aufbringen der Zeit bei der realen Inbetriebnahme zur Folge. Gerade bei Sonder- oder variantenreichen Serienmaschinen oder Anlagen sind Simulationsmodelle selbst ebenfalls so gut wie nicht wiederverwendbare Unikate. Abhilfe bietet hier die baukastenbasierte Generierung von Simulationsmodellen aus dem funktionalen Modell der Maschine beziehungsweise der Anlage heraus. Das Eplan Engineering Center bietet diese Möglichkeit in Analogie zur Generierung von 3D-Modellen oder zur SPS-Code-Generierung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Simulationswerkzeuge über geeignete, offene Schnittstellen verfügen.
Widmann (WSCAD): Um Steuerungscode zu optimieren und zu testen sind wir nicht der richtige Ansprechpartner! Wir sind aber in der Lage, beim automatisierten Engineering den Schaltungen einen Steuerungs-Code zu hinterlegen. Der Anwender erstellt mit dem WSCAD Construction Center – ähnlich wie in einem Baukastensystem – seine Dokumentation. Anschließend lässt er sich dann automatisch die komplette Dokumentation erzeugen. Dabei erhält er zugleich eine Datei mit dem entsprechenden Steuerungs-Code, welcher noch in die SPS übertragen werden muss. Diese Vorgehensweise beinhaltet einen sehr hohen Automatisierungsgrad und findet hauptsächlich Anwendung bei Kunden, die modulare beziehungsweise skalierbare Anlagen bauen.
elektro Automation: Blickt man über das eigentliche Produkt – sei es eine Maschine oder Anlage – hinaus auf die zugehörige Fertigungsanlage, könnte zukünftig auch deren Entwicklung und Programmierung von einem durchgehenden Ansatz auf Basis der digitalen Produktdaten profitieren, beispielsweise bei der Steuerung von Montageabläufen. Sind solche Lösungen denkbar und wann kann mit ihrer Realisierung gerechnet werden?
Chidester (Zuken): Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Anbietern von Entwicklungswerkzeugen ist es schwierig, die Verfügbarkeit solcher Lösungen vorherzusagen.
Egermeier (B&R): Grundsätzlich halten wir solche Lösungsansätze für denkbar. Voraussetzung dafür ist ein deutlich höheres Niveau der Standardisierung in der Welt der Entwicklungswerkzeuge. Aus heutiger Sicht sehen wir die Verfügbarkeit solcher Lösungen frühestens als mittelfristige Option. B&R bekennt sich zur Unterstützung von Standards auch auf der Ebene der Entwicklungswerkzeuge, um deren Interoperabilität zu fördern – eine wesentliche Voraussetzung für den in der Frage skizzierten durchgehenden Ansatz bei der Steuerung von Montageabläufen.
Imbusch (Aucotec): Ein solcher Ansatz ist durchaus denkbar. Unsere Kunden mit hohem Automatisierungsgrad hinterlegen heute schon während des Engineering-Prozesses Fertigungsinformationen in Form von Fertigungsbaugruppen in Engineering Base. Damit werden Informationen bereitgestellt, die den Fertigungsprozess von Maschinen und Anlagenteilen optimieren. Zudem unterstützt Engineering Base die Fertigungsanforderungen durch das Bereitstellen von CNC-Daten oder Drahtlängen- und Drahtwegeinformationen bis hin zur Etikettierung direkt im Engineering-Prozess.
Pesch (Eplan): Ich verstehe die Untersuchung dieser Ansätze als eines der Kernthemen von Industrie 4.0. Ich bin mir nicht sicher, ob es gelingen wird, dass ein (Fertigungs-)System durch Produktdaten quasi eigenständig und vom Menschen unabhängig komplette Abläufe ‚programmiert‘. Was ich mir gut vorstellen kann, ist die eigenständige Adaption von Prozessen abhängig von Werkstücken. Das würde dann eher auf autarke Änderungen von Parametern und Einstellungen hinauslaufen, nicht aber auf eine bei Null beginnende Neukonzeption. Ich bin mir sicher, dass es bereits prototypische Implementierungen dieser Art gibt. Produktiv und in der Breite einsetzbare Lösungen kann es durchaus mittelfristig geben, das heißt je nach Forschungsfortschritten in vier bis sechs Jahren.
Widmann (WSCAD): Dies ist auf alle Fälle denkbar. Erste Ansätze mit eigenständigen Programmen gibt es in diese Richtung bereits. Die größte Herausforderung dabei ist es, zum einen die Steuerung in dieses digitale Umfeld zu integrieren und zum anderen die Einflüsse der Umgebung mit zu berücksichtigen. Gerade die Umgebungseinflüsse wirken sich unmittelbar auf die Kenndaten der Anlagenteile aus und stellen eine große Herausforderung dar. Denn die benötigten Daten und die zugehörigen Informationen steigen mit der Komplexität der Anlage. Um diese Menge an Daten für große Anlagen in der Praxis zu nutzen, wird noch einige Zeit vergehen.
elektro Automation: Welche Herausforderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang gerade durch die Entwicklung webbasierter Industrie-4.0-Konzepte auf sich zukommen? Sprengt das nicht den Rahmen digitaler Entwicklungswerkzeuge?
Chidester (Zuken): Die Industrie-4.0-Initiative überträgt das Konzept des ‚Internets der Dinge’ auf Produktentwicklung und Fertigung. Die Idee ist, über die Lebensdauer der Produkte hinweg diese mit dem Hersteller zu verbinden und – noch wichtiger – den Kunden und seine Anforderungen in den Entwicklungsprozess zu integrieren. In der Folge erlaubt das die Entwicklung noch besserer Produkte, die diese Anforderungen immer besser erfüllen. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Hersteller seinen Entwicklungsprozess gut durchdacht und umgesetzt hat. Neben Konstruktion und Fertigungsvorbereitung gehören dazu auch Portfolio- und Anforderungs-Management. Ist das umgesetzt, kann die Produktentwicklung vom Konzept bis zur Fertigung gemanagt werden. Unternehmen, die solch eine Strategie verfolgen, sind auch in der Lage, die Konzepte der Industrie 4.0 umzusetzen.
Egermeier (B&R): In der Industrie-4.0-Initiative der deutschen Bundesregierung sehen wir einen wichtigen Impuls, über klassische Industrie-Bereiche vollkommen neu nachzudenken. Gerade die Mass-Customization, die im Bereich der Konsumgüter-Industrie in vielen Branchen schon seit geraumer Zeit erfolgreich umgesetzt wird, sehen wir auch für die Industriegüter für realistisch anwendbar und notwendig. Die daraus abzuleitenden Maßnahmen umzusetzen, stellen hohe Anforderungen an die beim Hersteller gelebten Prozesse. Die Implementation dieser Prozesse kann maßgeblich unterstützt werden durch den Einsatz geeigneter Werkzeuge, zum Beispiel in der Produktentwicklung. Diese Werkzeuge müssen sich durch ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit in den kundenspezifischen Prozess auszeichnen. Auch dafür sehen wir die Notwendigkeit der Standardisierung, um den beim Hersteller implementierten Prozess bestmöglich zu unterstützen. Werkzeuge, die in der Industrie 4.0 erfolgreich sein werden, werden also keine Insellösungen mehr sein.
Imbusch (Aucotec): Ja, den Rahmen von herkömmlichen digitalen Entwicklungswerkzeugen sprengt das Industrie-4.0-Konzept unbedingt. Aucotecs Plattform Engineering Base dagegen verfügt über eine Kommunikationsebene. Sie kann alle Daten des digitalen Anlagenmodells von anderen Systemen lesen und weitergeben sowie umgekehrt von anderen Systemen abgefragt/beauftragt werden. Damit ist dieses System unserer Meinung nach bestens vorbereitet auf die Anforderungen von Industrie 4.0. Auch die erhebliche Aufwertung der Elektrotechnik, die mit dieser Entwicklung einher geht, sehen wir als willkommene Bestätigung dafür, auf echte Datenbankbasierung gesetzt zu haben. Denn die notwendige Ausstattung der bislang rein mechanischen Anlagen- oder Maschinen-Teile mit Kommunikations- und Steuerungs-Elementen wird die Komplexität von Anlagen enorm potenzieren. Mit der grundsätzlichen Kommunikationsfähigkeit von Engineering Base und seiner flexiblen, Massendaten-geeigneten Struktur sehen wir Industrie 4.0 mit sehr positiver Spannung entgegen.
Pesch (Eplan): Ich glaube nicht, dass es den Rahmen dieser Werkzeuge sprengen wird. Es könnte eher in weitere Anforderungen hinsichtlich der Unterstützung des Ingenieurs münden. Das webbasierte Konzept – ‚Cyber Physical Systems‘, ‚Internet der Dinge‘ – wirft für mich wesentlich essenziellere Fragen nach der Sicherheit, Bandbreite und Verfügbarkeit dieser in der Regel kabellosen Netzwerke auf. Diese bilden das zentrale ‚Nervensystem‘ eines solchen Systems. Speziell die Sicherheit ist in meinen Augen ein Schlüsselthema. Zahlreiche Beispiele zeigen auf, was Schadsoftware, Trojaner und Viren anrichten können. Das Beispiel ‚Stuxnet‘ hat allen deutlich gemacht, dass industrielle Netzwerke und Anwendungen für diese Art von Angriffen auch nicht mehr tabu sind. Man mag sich nicht vorstellen, welcher Schaden im Falle eines Industrie-4.0-Szenarios für Material, aber speziell auch für den Menschen angerichtet werden könnte.
Widmann (WSCAD): Wie sich die Industrie 4.0 auf den Engineering-Prozess im Detail auswirken wird, ist noch offen. Das Engineering wird sicherlich flexibler, intelligenter und agiler als das herkömmliche Engineering. Mit dem Ausbau des Systems Engineerings wird sich der Engineering-Prozess automatisch in die Industrie 4.0 integrieren und fester Bestandteil in dieser ‚Industrie-Cloud‘ werden. Zunächst wird aber die webbasierte Industrie immer mehr in die Produktion Einzug halten. Dabei werden Produktionsprozesse optimiert und perfektioniert. Die positiven Auswirkungen werden sein: schnellere Anpassungen an neue Marktgegebenheiten, kostengünstigere Produktionen und Termintreue. co

DIE EXPERTEN
  • Steve Chidester, Head of International Marketing, Zuken EAS, Westford, Massachusetts/USA
  • Dr. Hans Egermeier, Business Manager Automation Software, Bernecker + Rainer Industrie-Elektronik Ges.m.b.H. (B&R), Eggelsberg/Österreich
  • Martin Imbusch, Produktmanager, Aucotec AG, Hannover
  • Dieter Pesch, Leiter Forschung & Entwicklung und Produktmanagement, Eplan Software & Service GmbH & Co. KG, Monheim
  • Michael Widmann, Leiter Vertrieb & Marketing, WSCAD electronic GmbH, Bergkirchen

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