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Mehrproduktanlagen sicher bedienen

Prozesssicherheit
Mehrproduktanlagen sicher bedienen

Das Fahren von Mehrproduktanlagen weist ein breites Gefahrenspektrum auf. Häufige Rezeptwechsel stellen hohe Anforderungen an die Bediener und das Automationskonzept. TÜV SÜD Process Safety zeigt, wie die Produktion dennoch sicher bleibt.

Dr. Thomas Gmeinwieser, Expert Process Safety, TÜV SÜD Process Safety

Zwischen 40 und 60 Prozent aller Vorfälle in der chemischen Prozessindustrie sind auf den Faktor Mensch beziehungsweise menschliches Versagen zurückzuführen. Das zeigen Analysen von Ereignissen wie beispielsweise durchgehende Reaktionen oder Stoffaustritte. Bedienfehler lassen sich meist klar identifizieren. Die Ursachen sind aber häufig auch im Zusammenspiel mehrerer Ereignisse zu finden, die unter Umständen gleichzeitig ablaufen. Dazu gehören neben menschlichem Fehlverhalten technische Probleme, Defekte oder auch falsche Entscheidungen des Managements. Ein weiterer Aspekt: Hoher Wettbewerbsdruck zwingt zu Personaleinsparungen, so dass dem Bediener der Anlage immer mehr Aufgaben übertragen werden.
Faktor Mensch und Aufgabenverteilung
Mehrproduktanlagen bieten in Zeiten des stetig wachsenden globalen Wettbewerbs die notwendige Flexibilität und Effektivität. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrproduktchemie ein breites Gefahrenspektrum aufweist. Denn für Mensch und Maschine sind die Herausforderungen enorm: Häufige Rezeptwechsel, stark variierende Prozessparameter und sich ändernde Steuerungsaufgaben müssen sicher beherrscht werden. Der Faktor Mensch spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle: Trotz des hohen Automationsgrades ist der Einfluss des Bedieners auf Kontroll- und Sicherheitseinrichtungen groß.
Beim Fahren der Anlagen ist die zentrale Herausforderung, eine sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen dem Bediener und der automatisierten beziehungsweise teilautomatisierten Anlage festzulegen. Zuverlässigkeit und Sicherheit sind die Stärken der Automation. Aber auch sie darf nicht fehlerhaft sein. Denn dann können zusätzliche, vorher nicht betrachtete Risiken entstehen. Wird ein Rezeptwechsel vorgenommen, sind die Prozessparameter und der Grad der Automation anzupassen. Aber auch die Bediener müssen sich auf ihre neue Produktionsaufgabe einstellen. Die Umstellungen können weitreichend sein: Kennwerte und konfigurierte Alarme, aber auch Anweisungen für den Umgang mit reaktiven Stoffen. Beim Bediener ist das Vertrauen in die Automation ein entscheidender Aspekt: Ist es zu gering, greift er zu häufig unnötig ein. Denn er vertraut der eigenen Wahrnehmung und seinen Fähigkeiten mehr als der Automation. Schätzt der Bediener die ‚wahre‘ Zuverlässigkeit der Automation hingegen zu hoch ein, vernachlässigt er die für die Prozessführung wichtigen Kontrollaufgaben.
Kritische Alarme priorisieren
Mehrere hundert Alarme pro Tag sind in manchen Produktionsbetrieben keine Seltenheit. Mit Hilfe moderner Prozessleitsysteme ist es einfach, isolierte Alarme zu konfigurieren. Im Zweifelsfall wird lieber ein Alarm zu viel als zu wenig ausgelöst. Aber nicht jeder Alarm muss zwingend Konsequenzen für den Bediener haben. Verschmutzte Sensoren, zu eng gesetzte Prozessparameter oder nicht optimal laufende Regelkreise können die Auslöser sein. Wichtig ist, die Priorität eines Alarms richtig einzuschätzen, um dann geeignete Maßnahmen einzuleiten. Daher ist es notwendig, zu priorisieren und kritische Alarme für das Bedienpersonal auf den ersten Blick leicht erkennbar zu gestalten.
TÜV SÜD empfiehlt, die Systemeigenschaften mit Blick auf alle sicherheitsrelevanten Faktoren zu identifizieren. Dazu zählen Technik, Organisation und Mensch. Basis sind systematische Sicherheitsbetrachtungen gemäß den Regelwerksanforderungen und Aufgabenanalysen. Ziel sollte sein, den Bediener stets in das Gesamtsystem der Anlage und in die Prozessführung einzubeziehen. Ein weiterer Aspekt ist die stetige Weiterentwicklung der Arbeitsabläufe und deren didaktische Vermittlung an das Personal. Geplante Umstellungen und ihre Auswirkungen müssen von Mitarbeitern stets verstanden und dann auch verinnerlicht werden. Ein Rezepturwechsel sollte so eingeplant werden, dass er den Bediener nicht zu viel und nicht zu wenig fordert. Das gesamte Anlagen- und Prozessdesign ist so auszurichten, dass menschliche Fehler bei der Umstellung vermieden werden. Rein technische Sicherheitslösungen reichen hier nicht aus, weil der Faktor Mensch beim Fahren einer Mehrproduktanlage eine entscheidende Rolle spielt.
Fallbeispiel: Produktion von organischen Peroxiden
Das Unternehmen United Initiators (vormals: Degussa Initiators) stellt am Standort Pullach bei München organische Peroxide her. Die dortige Mehrproduktchemie erfordert ein hohes Sicherheitsniveau. Im Jahre 2001 wurde die technische Realisierung der Produktion überdacht. Gründe hierfür waren der hohe Wettbewerbsdruck und eine damals veraltete Prozessleittechnik. Das eingeführte Automationskonzept sollte auch die geforderte Flexibilität für die Produktion mit Batchprozessen in Mehrproduktanlagen ermöglichen. Es wurden zwei Produktionsgebäude mit acht Produktionszellen inklusive der verbundenen Messwarten und Arbeitsplätze zusammengelegt. Zudem sollten die Steuerung und Überwachung zentralisiert werden. Implementiert wurde ein Scada-System, das dem sicherheitsgerichteten Leitsystem übergeordnet ist. Ein OPC-Server stellt die Verbindung des Scada-Systems zur Sicherheitssteuerung her. Alle Produktionsprogramme und auch die Rezepte sind permanent in der SPS geladen. Die Auswahl der Programme und Rezepte wurde auf diesem Wege ebenfalls automatisiert. Das implementierte Konzept kommt bis heute erfolgreich zum Einsatz.
TÜV SÜD unterstützte den Betreiber beim Implementieren eines sogenannten ‚Hand-Shake-Verfahrens‘, das Scada mit dem Sicherheitssystem verbindet und auf dem Vier-Augen-Prinzip basiert. Bei der automatisierten Rohstoffzufuhr funktioniert die Datenkommunikation der Produktionseinheiten über Safeethernet. Das Konzept ermöglicht, den Automationsgrad der Mehrproduktanlage erheblich zu steigern und flexibler zu produzieren, ohne dabei die Schnittstelle Mensch-Prozess zu vernachlässigen. Der erreichte Safety Integrity Level (SIL) 3 entspricht dem in DIN EN 61508-1 geforderten Sicherheitsniveau. co
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