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„MES-Lösungen sind die Schaltzentrale“

Angelo Bindi vom MES D.A.CH Verband zum Thema Produktionsoptimierung
„MES-Lösungen sind die Schaltzentrale“

Industrie 4.0 werde überwertet, lenke aber die Wahrnehmung auf die Potenziale, die sich mit MES-Lösungen erschließen lassen, meint Angelo Bindi, 2. Vorstand des MES D.A.CH Verbands und Senior Manager Central Control and Information Systems bei der Division Chassis & Safety von Continental. MES seien die Datendrehscheibe, auf Basis derer sich Verfügbarkeit und Ausstoß steigern ließen – und damit die Wettbewerbsfähigkeit.

Das Interview führte Michael Corban, Chefredakteur elektro AUTOMATION

elektro AUTOMATION: Herr Bindi, werden MES-Lösungen zur Schaltzentrale in Industrie-4.0-Konzepten?
Bindi: MES-Lösungen sind bereits jetzt die Schaltzentrale, mit der sich die Fertigung optimieren lässt und mit der Unternehmen Aufgaben der Teile-Rückverfolgung lösen können – letzteres ist vor allem bei der Herstellung sicherheitsgerichteter Produkte unerlässlich. Das derzeit ‚hippe‘ Thema Industrie 4.0 betrachte ich deswegen aus einem anderen Blickwinkel: MES-relevante Daten fallen ja bereits mit Beginn der Produktentstehung an, unter anderem Fertigungsparameter wie Drehmomente und -winkel, die zu einer Rezeptur – einer Montageanleitung – führen. Hinzu kommen dann die Informationen aus der tatsächlichen Fertigung, die insbesondere bei der Optimierung von Produktionsanlagen vorliegen müssen. All diese Informationen lassen sich in einem MES-System abgreifen, über den kompletten Lebenszyklus eines Produktes hinweg – was wesentlich umfassender ist als der Zugriff auf rein produktspezifische Parameter in Industrie-4.0-Konzepten.
elektro AUTOMATION: Sie sprechen damit das PLM oder Product Lifecycle Management an…
Bindi: …das in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern schon sehr lange ein Thema ist, das sehr intensiv bearbeitet wird. PLM ist beispielsweise für Continental viel wichtiger und umfangreicher als das, was heute in Verbindung mit dem Thema Industrie 4.0 beschrieben wird.
elektro AUTOMATION: Das PLM bildet doch digital den Produkt-Lebenszyklus ab und soll in Industrie-4.0-Konzepten mit der Fertigungssteuerung vernetzt werden. Bildet also Industrie 4.0 nicht eine Klammer über ein fertigendes Unternehmen, die PLM und Fertigung beziehungsweise Automatisierung vereint?
Bindi: Ich sehe das genau anders herum! Das PLM beschränkt sich nicht nur auf das Digitale, sondern es fokussiert den gesamten Lebenszyklus eines Artikels. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich dagegen Industrie 4.0 mit der Frage, wie – bezogen auf die Fertigung – das Produkt weiß, was als nächstes an ihm getan werden muss. Bei uns ist dagegen das PLM schon mit der Fertigung verknüpft, bevor das Produkt selbst das erste Mal eine Fertigungslinie durchläuft. Digital haben wir vor diesem Zeitpunkt bereits festgelegt, wie und in welcher Reihenfolge es zu fertigen ist. Und die Datendrehscheibe für jedes produzierende Unternehmen ist dabei das Manufacturing Execution System. Aus der Zusammenführung von produkt- und fertigungsspezifischen Daten können wir auf diese Weise Potenziale hinsichtlich kürzerer Zykluszeiten und höherer Verfügbarkeit erkennen – bei Continental haben wir das für alle Produktionslinien weltweit auf einem Schirm.
elektro AUTOMATION: Dann lassen Sie mich noch einmal nachfragen: Sie verwalten mit dem MES die Rezepturen zur Herstellung Ihrer Produkte. Mit diesen Informationen lassen sich die Steuerungen in der Fertigung parametrieren – was bislang ja noch maschinen- beziehungsweise steuerungsspezifisch erfolgen muss. Im Round-Table-Gespräch der elektro AUTOMATION (vgl. „Gesucht wird: eine Sprache für Fertigungsanweisungen“, Ausgabe 11/2013) wurde als Industrie-4.0-Ziel definiert, im Idealfall diese steuerungsspezifische Parametrierung drastisch zu vereinfachen, um bei der Wahl der Fertigungsmittel freie Hand zu haben…
Bindi: …und das haben wir schon. Hätten wir diese Möglichkeit nicht, könnten wir in Europa nicht wettbewerbsfähig fertigen. Wir können, nachdem wir auf der Anlage A das erste Drittel des Fertigungsprozesses durchlaufen haben, problemlos auf Anlage B und später C wechseln. Was wann zu tun ist, ist in der Rezeptur abgelegt.
elektro AUTOMATION: Was dann aber voraussetzt, dass Sie diese Prozesse vorgedacht haben – sprich die Steuerungsprogramme vorliegen. Industrie 4.0 würde dann zusätzlich die Flexibilität bringen, dies nicht mehr vordenken zu müssen. Ist die Automobilindustrie denn schon viel weiter als andere fertigende Branchen?
Bindi: Nein, denn gerade über den MES D.A.CH Verband haben wir ja einen guten Überblick in der MES-Welt. Vergleicht man die Systeme, so bieten diese die gleichen Funktionalitäten, die wir mit unserer Eigenentwicklung bei Continental nutzen – letztlich sind also die Anforderungen der Anwender die gleichen. Im Vordergrund steht immer eine effiziente, wettbewerbsfähige Fertigung – mit hoher Verfügbarkeit und kurzen Zykluszeiten. Gerade die Möglichkeiten der Maschinendatenerfassung eröffnen hier noch zahlreiche Potenziale.
„UMCM ist das ‚bezahlbare‘ Portal ins MES für jedermann – sinnbildlich geht es um die USB-Verbindung zwischen MES und Steuerung und zurück!“
elektro AUTOMATION: Welche Rolle spielt an dieser Stelle das Thema der Universal Machine Connectivity for MES – kurz UMCM –, deren Entwicklung der Verband vorantreibt?
Bindi: An dieser Stelle muss man sicherlich unterscheiden zwischen Herstellern sicherheitsgerichteter Produkte und anderen, bei denen zwar auch Richtlinien einzuhalten sind, aber bei Mängeln keine Gefahr für Leib und Leben entsteht. Will heißen: Bei Continental und der Produktion unserer Bremssysteme ist sichergestellt, dass wir alle Daten erfassen, zusammenführen und analysieren können. In anderen Bereichen ist das nicht zwingend zu leisten, dennoch suchen die im MES D.A.CH Verband zusammengeschlossenen Anwender nach MES-Lösungen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Für viele der vor allem kleineren und mittelständischen Unternehmen sind dabei die Implementierungskosten immens hoch, verursacht durch die Sonderanwendungsprogrammierung. UMCM ist dafür nun das Portal ins MES für jedermann – ein vor allem bezahlbares Portal. Sinnbildlich geht es um die USB-Verbindung zwischen MES und Steuerung und zurück!
elektro AUTOMATION: Wo liegen die Hürden bei der UMCM-Entwicklung?
Bindi: Wir haben den ersten Schritt gemacht und eine einfache Kommunikationsschnittstelle geschaffen. Damit liegt sinngemäß ein erster Prototyp vor, der nun in der Realität zeigen muss, ob sich damit die angepeilten 80 Prozent der Anforderungen im Rahmen von MES-Implementierungen abdecken lassen. Geklärt werden muss, in welchem Maße der jeweilige Anwender Raum für individuelle Anpassungen benötigt. Dieser ist vorgesehen, aber wir wissen noch nicht, wie praktikabel sich das umsetzen lässt. Entscheidend ist dabei, dass wir ja keinen neuen Standard definieren möchten, keine neue Spezifikation. Basierend unter anderem auf der VDI-Richtlinie 5600 suchen wir vielmehr nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner und liefern für die verschiedenen SPSen IEC-konforme Bausteine, die einfach aufzurufen sind. Auch auf der Ebene der Hochsprachen bieten wir Module für .NET oder C++ an, mit denen beispielsweise über OPC UA kommuniziert werden kann – weil wir glauben, dass das der generische Zugang zu allen Steuerungswelten sein kann. In folgenden Schritten wird es dann darum gehen, mehr Prozessinformationen zu bekommen – um auf diesem Wege wiederum Verfügbarkeit und Ausstoß zu steigern. UMCM soll es ermöglichen, die eigene Anlage – auf einfache Art und Weise! – weiter zu optimieren.
elektro AUTOMATION: Nicht jeder Maschinen- und Anlagenhersteller wird Ihnen allerdings auf diesem Wege folgen wollen, weil gegebenenfalls diesen selbst Know-how verloren geht. Wie gehen Sie als Verband damit um?
Bindi: Entscheidend ist an dieser Stelle, dass wir dem SPS-Programmierer die Arbeit so einfach wie möglich machen. Dieser möchte sich ja gar nicht mit der überlagerten Ebene der Host-Systeme beschäftigen. Hier geben wir ihm mit UMCM eine Bibliothek an die Hand – und die Anbindung ist erledigt. Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, welchen Weg er gehen möchte.
elektro AUTOMATION: Wollen Sie uns abschließend noch kurz sagen, was die Besucher des Automatisierungstreffs in Böblingen in Sachen MES D.A.CH Verband erwartet?
Bindi: Wir zeigen die gesamte Bandbreite des MES-Einsatzes – von der vollautomatisierten Produktion im Automobilbereich bis hin zur manuellen im Schiffbau. Und wir wollen verdeutlichen, dass der Weg weg vom Programmieren hin zum Konfigurieren von Standardsystemen führt – mit individuellen Rezepturen.
elektro AUTOMATION: Herr Bindi, wir danken für das interessante Gespräch.

INFO-TIPP

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Anlässlich des Automatisierungstreffs vom 25. bis 27. März 2014 in der Böblinger Kongresshalle können sich Produktionsverantwortliche einen Überblick über am Markt verfügbare MES-Lösungen verschaffen. Unter dem Titel ‚Marktüberblick und Branchenbeispiele von der Automations-bis zur ERP-Ebene‘ bietet der MES D.A.CH. Verband zwei Workshops an:
  • Dienstag, 25.03.2014 09:30 bis 17:30 Uhr
  • Mittwoch, 26.03.2014 09:30 bis 17:30 Uhr
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