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Innovation in Riesensprüngen

Althen: Kraftmesssysteme bewähren sich bei Skisprungschanzen
Innovation in Riesensprüngen

Der Puls der messtechnischen Innovation in Deutschland schlägt (auch) in Sachsen – und wenn es um Kraftmesssysteme für Skisprungschanzen geht, nicht in den Industriezentren Dresden, Leipzig oder Chemnitz, sondern im erzgebirgischen Wintersportrevier. Dort entwickelt und produziert der ehemalige Skispringer Peter Riedel mit Sensorik von Althen Systeme, mit denen sich der Absprung am Schanzentisch genau erfassen lässt – obwohl die rund 3 m langen Skier der Springer das nicht gerade einfach machen.

Gerald Fiebig ist Fachjournalist in Augsburg.

Anlaufspuren für Skisprungschanzen weiterzuentwickeln, ist das Metier von Peter Riedel. Er hatte die Idee, Sommer- und Winterspur direkt nebeneinander zu führen. Da Skispringer auch in der warmen Jahreszeit trainieren müssen, brauchen die Sprungschanzen eine Sommerspur, die mit Wasser statt Eis gleitfähig gemacht wird – und bei Riedels Art der Spurführung sind die sommerlichen Trainingsbedingungen den realen Wettkampfbedingungen im Winter besonders ähnlich. Ein weiteres Plus sind die sehr genauen dynamometrischen Messungen, die mit Riedels Erfindung möglich sind. In der Dynamometrie berühren sich die Fragestellungen der Sportwissenschaften mit denen von Ingenieuren. So wie der Maschinenbauer die Kräfte kennen muss, die auf die verschiedenen Teile seiner Konstruktion wirken, interessiert sich der Trainer dafür, welche Kräfte der Sportler wann an welchem Körperteil einsetzt. Denn zwischen dem Krafteinsatz und dem Wettkampfergebnis lassen sich Zusammenhänge herstellen, die beim Optimieren der sportlichen Leistung helfen.
In Sachen Skispringen arbeitet das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) an der Universität Leipzig schon seit Jahren mit Peter Riedel zusammen. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass das Verhalten des Springers am Absprungtisch den größten Einfluss auf das Ergebnis hat. Je genauer man die Beinarbeit des Springers erfassen könnte, so die Folgerung, desto genauer müsste man auf das optimale Sprungverhalten rückschließen können. Einen Messaufbau für solche Daten gab es aber nicht. Um diese Lücke zu schließen, trat das Institut auf Riedel zu. Seine Grundidee war: Wenn man den Schanzentisch möglichst lückenlos mit Kraftaufnehmern versieht, sollte sich das Verhalten während des gesamten Absprungs aufzeichnen lassen.
Komplexe Entwicklungsaufgabe rund um die Kraftaufnehmer
Auf der Suche nach der passenden Sensorik wandte sich das IAT an den Messtechnikhersteller Althen mit Sitz im hessischen Kelkheim, mit dem das Institut bereits bei früheren Projekten Kontakt hatte. „Ich war gerade im Winterurlaub, als ich einen Anruf aus der Firma bekam: Das IAT hat uns von einem Interessenten im Erzgebirge erzählt – du machst doch gerade dort Ferien, könntest du nicht mal kurz vorbeischauen?“, erinnert sich Thomas Richter, Experte für Kraftmesstechnik bei Althen. „Und so fand der erste Kontakt mit Peter Riedel an der Après-Ski-Bar in Oberwiesenthal statt“, so Richter weiter, der als Verkaufsgebietsleiter Bayern/Österreich/Thüringen/Sachsen die Sprungschanzenprojekte von Riedel betreut.
Nachdem Riedel seine Ideen skizziert hatte, schlug Althen als Kraftaufnehmer die Plattformwägezelle AOBU für den Messbereich von 0…250 kg vor. Sie misst Zug- und Druckbelastungen in einem Temperaturbereich zwischen -20 – entsprechend den winterlichen Bedingungen an einer Schanze – und +80 °C. Dabei liegt die durch den Temperatureinfluss verursachte Abweichung unter 0,012 % vom Messwert pro 10 Kelvin.
Typische industrielle Anwendungen der Plattformwägezellen sind Serieneinsätze in Wäge- und Dosieranlagen, Füllstandsmesseinrichtungen und allgemeinen Kraftmesssystemen, in denen bei niedrigen Kosten genaue Messungen benötigt werden. Vor dieser Herausforderung stand auch Peter Riedel, denn sein Konzept setzt eine hohe Dichte und somit eine große Anzahl von Aufnehmern voraus. „Aufgrund unserer Erfahrung im Bereich der Wege- und dynamischen Kraftmessung konnten wir von Anfang an auf etablierte Aufnehmer setzen“, erläutert Thomas Richter. In jeder der von ihm ausgerüsteten Sprungschanzen setzt Peter Riedel so zwischen 60 bis 80 AOBU-Wägezellen ein.
Skier decken mehrere Aufnehmer gleichzeitig ab
Zwischen der Auswahl des Sensors und der installationsfertigen Lösung lag jedoch eine Entwicklungsphase voller komplexer Aufgaben. Unterstützt von Althen setzte Riedel zunächst eine kleine Testspur in einer Halle auf. Ausgerüstet mit einigen Kraftaufnehmern, einem Datenlogger und kurzen Alpinskiern erprobte er, ob sich das anvisierte Prinzip überhaupt praktisch umsetzen ließ. Denn die Skier bereiteten dem Erfinder anfangs das meiste Kopfzerbrechen. Unter Riedels Absprungspuren werden nämlich auf der ganzen Strecke zwischen dem Ende der Anlaufbahn und dem Absprungtisch Module mit je vier Kraftaufnehmern eingebaut. Ein Modul ist etwa 0,75 m lang, ein Sprungski aber rund 3 m! Der Ski deckt also in der Praxis bis zu vier Module gleichzeitig völlig ab und belastet die darin befindlichen Wägezellen. Gemessen werden soll aber nur die Kraft an der Stelle, an der sich das Bein des Sportlers gerade befindet – dessen Bewegung soll ja untersucht werden.
Der gewählte Messbereich von 0…250 kg bietet hierfür die nötigen Reserven. Zwar bringt ein Springer im Stand nur etwa 90 kg auf die Waage, die sich zudem auf die beiden Spuren verteilen, doch durch die Dynamik der Bewegung mit Gewichtsverlagerung können Spitzen entstehen. Hinzu kommen das Eigengewicht der Module und das ihrer Heizung, die im Winter das Zufrieren der Module verhindert, weil Eis unerwünschte Kraftnebenschlüsse verursachen könnte.
Die Versuche ergaben jedoch trotz der Kraftübertragung durch die Skier ein eindeutiges Bild: Dort, wo der Sportler steht, ist die Belastung am größten. Aus dem Nachverfolgen der Belastung ergibt sich eine große, dynamische Welle, die nicht nur die gewünschten trainingswissenschaftlichen Befunde erbringt. Mit Riedels System gemessene Daten werden darüber hinaus auch für die Ermittlung von Laufzeiten genutzt. Ein Vorteil ist dabei die Empfindlichkeit des Systems, das Thomas Richter anschaulich beschreibt: „Wenn man auf eine Spur ein Glas Wasser stellt, wird das sofort erkannt.“
Inzwischen liefert Peter Riedel die mit Althen-Sensorik gebauten Module aus seiner Werkstatt nicht nur in alle Welt, sondern er erhebt als Spezialdienstleister bei vielen Wettkämpfen vor Ort selbst die Daten. Und wenn der Puls der Skisprungwelt im heimischen Erzgebirge schlägt, sowieso. Als die neu renovierte Schanze in Oberwiesenthal Ende März 2014 in Betrieb genommen wurde, war Riedel natürlich höchstpersönlich im Einsatz – eine Herzensangelegenheit eben. co
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